51 - Nebeneinander, miteinander

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Für eine Nacht im Freien waren sie nicht ausgestattet gewesen, doch Samir hatte schlimmere Nächte erlebt. Sie fanden eine geschützte Senke, in der sie ein Feuer machen konnten, ihre Mäntel waren schwer genug, um die bitterlichste Kälte abzuhalten und Jester hatte sich ein so großzügiges Mittagsmahl im Wirtshaus mitgeben lassen, dass sie davon noch eine Weile zehren konnten, bevor sie auf die Jagd angewiesen wären. Jetzt war das, was zählte, dass sie einen Weg zurück fanden.

Sie waren hart geritten am letzten Abend in der kaum vorhandenen Hoffnung, dass die Dornen wenigstens an der früheren Furt weniger dicht wachsen würden, aber dort war das Dickicht genauso undurchdringlich gewesen wie im Rest des ehemaligen Flussbetts. Jester hatte Feuer entzündet und den größten Scheid gegen die Ranken gehalten, trocken, obwohl an ihrer Stelle vor ein paar Stunden noch Wasser geflossen war, aber bis sie sich einen Weg hindurch gebrannt hatten, wuchsen sie weiter vorne bereits wieder zu. Samir zog ihn danach lieber zurück, bevor etwas übleres mit ihnen geschah. Er hatte genug von dem gesehen, was die Dornen anrichten konnten, selbst wenn sie ihm genug andere Rätsel aufgaben. Bis gestern hatte er fast geglaubt, sie durchschaut zu haben, ihre ungesehene Ausbreitung wie Pestbeulen auf der Karte Candaloniens ... aber der Fluss beunruhigte ihn mehr, als er selbst Jester gegenüber zeigen wollte.

Samir vermisste den Vogel. Er hatte es vor dem Schlafengehen geschafft, ihn zu seinem ersten Botenflug zu überreden und an der Art, wie er ihn angesehen und gepiepst hatte, war er sich sicher, dass er verstanden hatte, aber die Trennung von ihm war schmerzhaft. Sein Schlaf war unruhig, durchdrungen von düsteren Träumen, in denen Djadi wieder und wieder starb und kein einziges Wort mit ihm sprach dabei, in denen Elwa ihn aus umwölkten, blutenden Augen ansah und ihn mit in die Dornen zerren wollte. Er schreckte mehr als einmal hoch, trotz der nächtlichen Kälte Schweiß auf seiner Stirn stehend, und da war nichts, das ihn beruhigen konnte – kein vertrauter hölzerner Körper, keine Prinzessin, die ihm ermutigend vom nahen Feuer aus zulächelte. Die tiefe Müdigkeit, die jede dieser Schlafphasen in ihm hinterließ, sorgte dafür, dass er das letzte Mal erst weit nach Sonnenaufgang erwachte, sein Körper steif und Jester neben ihm noch immer seelenruhig schnarchend. Er blinzelte in die hoch erhobene Sonne, die Helligkeit gepaart mit der Verwirrung der unruhigen Nacht völlig ungewohnt und setzte sich auf.

Es gab nicht wirklich einen Grund, warum sie es eilig hätten. Er kannte die Karte und was Cristian ihm zähneknirschend von seinen nächsten Wegen erzählt hatte, nur für den Fall. Der große Hauptfluss, der durch die Dornen ersetzt worden war, knickte in ihre Richtung ab, Cristian würde einem kleinen Zufluss in die entgegengesetzte Richtung, zu einem anderen Teil der Berge folgen. Wenn sie nicht in der Nähe einen Überweg fanden, dann würden sie die Gruppe verlieren, dabei half es ihnen auch nicht, früh am Morgen aufzustehen und lange zu reiten. Nur eine Lösung, das würde helfen. Samir fand seine Wasserflasche, um seinen trockenen Mund anzufeuchten, während er sich fragte, ob der Vogel Elwa wohl gut erreicht hatte, ob auch nichts schief gegangen war. Antwort von ihr zu erhalten war jetzt der erste wichtige Schritt. Dann würde er hoffentlich verstehen können, was geschehen war und dann war es möglich, mit ihr in Kontakt zu bleiben, selbst wenn es keinen schnellen Weg durch die Dornen gab und Prinz Cristian nicht länger auf sie warten wollte. Er warf einen kurzen Blick zu Jester, der weiterhin tief schlief und kletterte aus ihrer Senke nach oben, wo er das Tal besser überblicken konnte. Er hatte darauf geachtet, dass sie für ihre Übernachtung genug Abstand zu den Dornen hatten, aber sie waren trotzdem bedrückend nah, von Cristians Leuten keine Spur auf der anderen Seite. Aber sie waren schnell geritten und die Männer von dem Angriff der Flusskreaturen aufgehalten worden, vielleicht lagen sie weiterhin zurück, vielleicht war es noch nicht zu spät.

Trotzdem zögerte Samir, die ersten Schritte nach unten zu machen und erneut nach einem Pfad durch die Dornen suchen zu wollen. Sie konnten sich wahrscheinlich hindurchschneiden, so wie sie es manchmal in Ilreth hatten tun müssen, aber er wollte sie nicht herausfordern, wenn es irgendwie anders ging. Es war eine doppelte Erleichterung, als er das fröhliche Tschilpen des Holzvogels hören konnte, Sekunden bevor das kleine Wesen überschwänglich gegen seine Brust flog und flatternd seine Kleidung durcheinander wirbelte. Samir lachte leise auf, augenblicklich ruhiger, als er es die ganze Nacht über gewesen war. Er ließ den Vogel eine Weile über seine Arme und Schultern springen, an seinen Ohren picken und sich in seinen Nacken schmiegen, bevor er ihn vorsichtig auf die Finger nahm und sein Bein prüfte.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now