11 - Rosennächte

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Schon lange nicht mehr hatten sich ihre Nächte so einsam angefühlt – nicht seit dem letzten Schloss. Ihre Begleiter waren immer in der Nähe gewesen, oft genug im selben Raum, in der selben Höhle oder im selben Zelt und ihr leises Atmen und Schnarchen hatte ihr gezeigt, dass sie nicht allein war, selbst wenn sie als einzige wachte. Samirs Schlaf war immer leicht gewesen, rasch unterbrochen von ganzen Stunden der Klarheit in tiefster Nacht und sie hatte so viele dunkle Mitternachtsstunden mit ihm am Feuer verbracht, dass sie sich viel zu sehr daran gewöhnt hatte. Und an das andere.

Elwa vermisste Samir, aber sie wusste, dass sie ihm das nicht sagen konnte. Sie hatte ihn das letzte Mal beim Abendessen gesehen und nach dem Nachmittag allein, während er bei seiner Besprechung mit dem König gewesen war, hatte sie sich nach seiner Gesellschaft gesehnt, einfach nur nach seiner Stimme, seinen Erzählungen, seinen Gedanken. Aber sie hatte auch den Blick der Dienerin bemerkt, als sie seine Gemächer kurz nach ihrer Ankunft aufgesucht hatte und allein bei ihm geblieben war und sie konnte nur ahnen, wer sie alles beobachten würde, wenn sie die Nacht in den Gemächern des Prinzen statt ihren eigenen in einem ganz anderen Teil des Schlosses verbrachte.

Hadid hatte Diener gehabt, aber von ihnen war niemand in der Nacht wach geblieben, weil es nie nötig gewesen war. Wenn das Haus zur Ruhe gekommen war, dann hatte sie ganz einfach die Tür ihres Zimmers öffnen können und zwei Türen weiter in das Zimmer von Samir schlüpfen, seinen Schlaf beobachten, mit ihm sprechen, wenn er wach war, ihn berühren ... Schlafen konnte sie noch immer nicht, aber neben ihm hatte sie wenigstens die Augen schließen können, zur Ruhe kommen, ausruhen.

Jetzt durchwanderten die Wachen die Gänge des Schlosses zu jeder Tages- und Nachtzeit, und die Dienerinnen warteten rund um die Uhr auf Aufträge, ihre Ohren gespitzt auf jedes Geräusch, das sie zur Arbeit rufen konnte. Sie wollte ihnen nicht noch mehr Grund für Gerüchte geben, selbst wenn sie alle wahr gewesen wären. Also konnte sie nichts tun als in der geöffneten Balkontür sitzen, die kühle Nachtluft auf ihrer Haut spüren, auf das Wellenrauschen am Fuß der Klippen lauschen und darauf warten, dass die Nacht vorüber ging.

Das leise Quietschen des Dienstboteneingangs zu ihren Gemächern ließ sie überrascht aufmerken. Es war lange nach Mitternacht, die staubigen Klamotten, in denen sie angereist war, längst von den Dienerinnen zum Waschen abgeholt worden und auch sonst gab es wenig, wofür sie Bedarf gehabt hätte. Ganz sicher nicht so spät. Sie erhob sich von ihrem Platz auf der Fensterbank, das Mondlicht im Rücken und ging dem unerwarteten Besucher entgegen.

„Oh!", kam ihr ein überraschtes Keuchen aus dem Schatten zuvor. „Verzeihung, ich dachte, ihr würdet schlafen, meine Dame!"

Es war ein Mädchen, das vor Elwa stand, nicht älter als zehn Jahre. Ein Alter, das bei ihr selbst Jahrzehnte zurücklag, länger noch, wenn man all die Zeit bedachte, die sie verschlafen hatte. Über dem Arm trug sie einen Korb, der gefüllt war mit Rosen, dunkel und grau im fahlen Licht der Nacht.

„Kein Grund, sich zu entschuldigen", sagte sie leise, als sie die Angst in der Stimme des kleinen Mädchens erkannte. „Was machst du so spät hier?"

Das Mädchen drückte sich gegen die Wand und schob die Unterlippe vor, trotzig im Angesicht ihrer eigenen Angst.

„Unten haben sie gesagt, Ihr seid die Prinzessin des Rosenreichs", sagte sie dumpf. „Sie wollten, dass ich Eure Kammer mit den Rosen aus dem Garten schmücke, damit Ihr Euch heimischer fühlt."

Elwa lächelte überrascht.

„Das ist sehr freundlich", erwiderte sie. „Ich kann dir helfen, wenn du magst."

Das Mädchen zog den Korb zur Seite, als Elwa danach greifen wollte.

„Ich glaube das aber nicht", sagte sie, schon deutlich selbstsicherer. „Ich kenne die Märchen. Das Dornröschen ist von einem mutigen Prinzen wachgeküsst worden und dann haben sie geheiratet und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage!"

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt