5 - Glühender Horizont

145 21 6
                                    

Sie saßen eine ganze Weile mit Antonez und seinen Männern am Feuer, ein kläglicher Ableger des Spektakels am Horizont. Gänzlich dunkel wurde es nicht, auch wenn es bald auf Mitternacht zugehen musste.

„Drachenfeuer", erklärte Antonez. „Es brennt heller und länger als gewöhnliches Feuer. Bis zum nächsten Jungfrauenopfer dauert es nur noch ein paar Tage, da wird der Drache immer ein wenig rastlos."

Rastlosigkeit bedeutete Angriffe auf Dörfer, Lager, Wachtürme; alles was von Menschenhand gemacht war. Gäbe es kein monatliches Opfer, um den Drachen etwas zu besänftigen, er hätte sicher längst ganz Candalonien in eine wüste, schwelende Einöde verwandelt.

Anfangs hatten sie noch mehr bewirkt, die monatlichen Jungfrauen, da hatte der Drache sie noch in Frieden gelassen zwischen den Opfern und sich mit verirrten Ziegen der nächsten Bauern begnügt. Aber die letzten Jahre war es schlimmer geworden, die Angriffe tödlicher und ihre Reichweite größer. Einmal hatten sie ihm kein Mädchen geschickt, weil sie nicht daran glaubten, dass es noch furchtbarer werden konnte. Sie waren schnell eines Besseren belehrt worden.

Die düsteren Geschichten trieben Samirs Begleiter nach und nach zu den kleinen, gedrungenen Steinhütten, die sich in die Felsen um das befestigte Lager eingruben. Die meisten von ihnen standen leer, bereit dafür, mehrere hundert Männer aufzunehmen, wenn es einmal nötig sein sollte. Allein Sharif war am Feuer mit ihm verblieben, hin und wieder gähnend, während er das dunkle, bittere Bier trank, das man ihnen angeboten hatten.

Samir lauschte den Geschichten über den Drachen aufmerksam und ruhig, während die Gewissensbisse seine Schultern schwer nach unten wogen. Vor gar nicht allzu langer Zeit wäre ein Schicksal wie das Candaloniens etwas gewesen, für das er ohne zu Zögern jeden anderen Plan über den Haufen geworfen hätte, aber jetzt war der Drache nur ein Vorwand. Vielleicht hätten sie die Gelegenheit, etwas gegen ihn zu unternehmen, wenn sie erst mit dem Hölzernen Kapitän gesprochen hatten, versuchte Samir sich selbst zu beruhigen. Vielleicht würden sie Djadi schon sofort wiederbekommen und sie könnten Seite an Seite gegen den Drachen ziehen, wieder ihr Leben riskieren wie damals ... nur dass es nie wieder wie damals sein würde, jetzt wo er die Konsequenzen kannte.

Er presste die Zähne zusammen, als der Schmerz über Djadis Tod in ihm aufwallte wie ein nie verklingendes Echo. Zu spät merkte er, dass Antonez in musterte, Neugier in seinem Blick.

„Es ist nicht das erste Biest, gegen das Ihr auszieht", stellte er sachlich fest.

„Nein", sagte Samir knapp und atmete langsam durch die Nase ein. An den Gesichtern der verbliebenen Männer sah er, dass sie Geschichten erwarteten. Natürlich taten sie das. Wo immer sie hinkamen gab es Geschichten, zu hören und zu erzählen. Hier war es weit zu den nächsten Dörfern, die Gesellschaft nicht besonders abwechslungsreich und er war gerade mit einer so buntgemischten Gruppe angekommen, dass es geradezu nach faszinierenden Erzählungen schrie. Aber heute war er nicht in der Stimmung dafür.

„Im Morgenland haben wir uns einmal mit ein paar Riesen angelegt", sagte Sharif mit einem raschen Seitenblick zu ihm und unterdrückte ein weiteres Gähnen. Er schien es sich hier zur Aufgabe gemacht zu haben, an Samirs Seite zu bleiben und er erinnerte sich ganz vage an eine Zeit, als genau das seine Pflicht gewesen war. Gerade hatte er ihn auf andere Art gerettet als die Male, die er mit gezogenem Säbel zwischen ihn und den Feind gesprungen war. Samir ließ ihn reden, von den Riesen, die ihr Gefolge damals wie Vieh eingesperrt hatte. Sie hatten Asifa in ihren Palast entführt und Samir und die Zwillinge war es gelungen, dort einzudringen und sie zu befreien und dabei auch die Riesen unschädlich zu machen.

Samir hatte dabei die Hilfe eines Dschinnwunsches gehabt, aber das erwähnte Sharif nicht. Dass noch einer dieser Wünsche übrig war genauso wenig. Nur Samir dachte daran, während er Sharifs Erzählung als willkommene Pause nahm, um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ein letzter Wunsch ... einmal hatte er den Entschluss gefasst, mit jedem Wunsch jemandem zu helfen. Er hätte Djadi damit zurückgebracht, wenn die Regeln der Magie es nicht verboten hätten und inzwischen wusste er nicht mehr, was er mit ihm anfangen sollte, hatte keine hochtrabenden Pläne mehr. Natürlich könnte er mit dem Wunsch den Drachen fortwünschen und Candalonien befreien, doch der Gedanke ließ saure Galle in ihm aufsteigen. Solange es noch irgendeine Möglichkeit gab, dass er mit dem letzten Wunsch näher an Djadi kommen könnte, durfte er ihn nicht verschwenden.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now