34 - Drachenaugen

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So spät sie am Abend zu vor zu Bett gegangen waren, so früh wurden sie alle wieder aus den Federn gerissen. Ein ohrenbetäubendes Rauschen ließ Asifa aufschrecken, noch bevor die Sonne am Horizont hoch genug geklettert war, um in den Kessel hineinzufallen, begleitet von einem Tosen, das an ihrer Hütte rüttelte und draußen alles zum Klappern brachte.

Sie warf sich rasch das Kleid über und stürmte hinaus, wo sie den anderen aufgeregten Frauen in die Arme lief. Über ihnen senkte sich der Schatten des Drachen hinab, gewaltig und prächtig, der Sturm allein ausgelöst von seinen mächtigen Flügelschlägen. Asifa blieb stehen und hielt den Atem an.

Sie hatte den Drachen seit ihrem Kampf nicht gesehen, zumindest nicht von nahem. Er kam nur selten in den Kessel hinein, selbst wenn die Jungfrauen mit ihm flogen, wählten sie den Ausgang durch die Drachenhöhle – damit kein Beobachter auf die Idee kam, etwas könnte sich im Kessel verbergen. Die anderen Frauen hielten alle respektvollen Abstand vor ihm, auch wenn sie vor allem Aufregung und freudige Erwartung auf ihren Gesichtern erkennen konnte, keine Angst.

Etwas später erkannte Asifa auch, warum. Der Drache zielte auf die Mitte der freien Wiesen ab, mit Abstand zu den Übungsplätzen und zu den Feldern, aber selbst so wurden die Pflanzen dort bis zum Boden niedergedrückt, das Gras unter ihm geplättet. Sogar der Wald ächzte unter dem Anflug, obwohl er auf der anderen Seite des Kessels lag. Allein Calliope trat ihm entgegen, und die heftigen Winde peitschten ihr Haare und Gewänder mit solcher Macht nach hinten, das klar zu sehen war, wie anstrengend es sein musste, sich dagegen zu stemmen.

Als der Drache schließlich landete, spürte Asifa die Wucht des Aufpralls selbst bei ihrer Hütte noch. Calliope, die nur ein paar Längen entfernt von seiner Schnauze wartete, blieb dennoch standhaft, winzig im Vergleich zu dem riesigen Biest. Asifa hatte das Gefühl, er wäre seit dem Kampf noch gewachsen, so sehr nahm er den Bergkessel ein. Der Drachen war gelandet.

Sie sah die beiden Frauen erst, die auf seinen großen Vorderpranken gestanden hatten und sich während dem Flug an seine Beine geklammert hatten, erst, als sie sich von ihm lösten und rasch auf Calliope zueilten. Die Kleidung, die sie trugen, ein eng um den Kopf geschlungenes Tuch eingeschlossen, war vollständig in dem selben dunklen Purpur eingefärbt, in dem auch die Schuppen des Drachen glänzten.

Asifa sah, wie die erste von ihnen mit ernstem Gesichtsausdruck etwas zu Calliope sagte, ein sehnige, spitzgesichtige junge Frau mit seidig langen schwarzen Haaren, die sie währenddessen aus ihrem Tuch befreite. Weder sie noch die andere schienen Gepäck dabei gehabt zu haben. Der Drache faltete unterdessen elegant seine Flügel zurück auf den Rücken und blieb stehen, so regungslos wie eine Statue, hoch über sie alle aufragend. Allein seine golden glänzenden Augen waren so voller Leben, dass Asifa genau wusste, dass er trotzdem genau wahrnahm, was um ihn herum vorging. Während die anderen Frauen aufgeregt auf die Wiese zu ihm eilte, waren ihre Schritte nur zögerlich.

Das hier war keine wilde Bestie, wie sie vor dem Kampf angenommen hatten, sondern ein intelligentes Wesen. Ein gutes Wesen, trotz aller widersprüchlicher Annahmen dort draußen. Vielleicht hatten die Frauen im Chaos des Kampfes nicht gemerkt, was ihre Absicht gewesen war, aber der Drache konnte es nicht übersehen haben, das spürte sie. Allein der Gedanke ließ sie erzittern und nur noch langsamer vorwärts treten, obwohl sie eine der letzten verbliebenen Frauen zwischen den Hütten war.

Sie versuchte, sich stattdessen auf Calliope zu konzentrieren. Die Anführerin stand wieder alleine, direkt vor dem Drachen und aus ihrem Gürtel hatte sie einen Stab gezogen, der Asifa die Stirn runzeln ließ. Er war zu kurz, um als Waffe besonders nützlich sein zu können, sie konnte nicht einmal eine metallische Spitze oder etwas ähnliches erkennen. Der oberste Teil war nur ein wenig knorriger als der Rest, und Rillen verliefen über den ellbogenlangen Griff darunter. Dann hob Calliope ihn an und ein purpurnes Glitzern aus der Mitte des Knotens im Holz fing Asifas Aufmerksamkeit auf. Purpur wie die Drachenschuppen ...

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now