45 - Der Quellgeist

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Elwa sah als erste, was die seltsamen Tätigkeiten von Prinz Cristian und Dimontero für Auswirkungen hatten. Es war früh, die Sonne stand kurz vor dem Aufgang und bis auf die üblichen Wachen, die oben auf den Steinen saßen und den See genauso wie das Moor überblickten, war noch niemand wach. Sie hatte sich etwas abseits vom Lager hingesetzt, wo sie den See besser im Blick hatte, ohne seinem Ufer allzu nahe zu kommen – etwas lauerte darin, etwas, das Prinz Cristian mit der magischen Tinktur auf ihre Fährte locken würde. Obwohl sie nicht wusste, wonach sie Ausschau hielt, ging es ihr besser, ihm den Rücken nicht zuzukehren.

Das satte Platschen des Wassers, als sich ein Körper daraus hervorschob, erklang etwas weiter entfernt, mehrere Längen weg vom Lager und wahrscheinlich gerade gedämpft genug, dass es die Wachen nicht alarmieren würde. Hätte sie selbst nicht alle Sinne auf den See gerichtet, sie hätte es wohl für einen großen Wasservogel gehalten, der auf der Seeoberfläche gelandet war, aber so hörte sie das leise, angestrengte Japsen, dass dem Geräusch des Wassers folgte. Atmen, unstetig und rasselnd und verletzt. Sie sagte niemandem Bescheid, als sie den Geräuschen hinterher eilte, besorgt um ihre Quelle, nur zu bewusst, auf welche Art Prinz Cristian am vergangenen Abend von dem gesprochen hatte, was er sich zu fangen glaubte. Fangen, das war das Stichwort. Festsetzen, einschränken, fesseln. Es ging nicht darum, dieser Kreatur etwas Gutes zu tun.

Etwas leckte an den Steinen vor ihr und sie musste die Augen zusammen kneifen, um in den nur langsam heller werdenden Dämmerungsstunden mehr zu erkennen als das schwach in Bewegung geratene Wasser. Auf den ersten Blick saß es wie eine Pfütze aus, die sich etwas oberhalb der Wasserlinie in den Stein festgesetzt hatte, aber auf den zweiten sah sie, dass die glänzende Oberfläche sich vom glatten Fels anhob, statt in ein Loch eingegraben zu sein. Erste Sonnenstrahlen drangen über den hohen Horizont in ihrem Rücken, vom Moor her und je heller es wurde, desto fassbarer wurde auch die Gestalt.

Das Wesen hatte vage menschliche Proportionen, aber es war wie aus dem Seewasser selbst geformt, seine Glieder durchsichtig mit trüben Schlieren, feine Wellen über seine Haut ausbreitend. Es stöhnte qualvoll auf und sein Arm schob sich langsam vor, klammerte sich an den oberen Rand es Felsens, als wollte es sich mit letzter Kraft höher ziehen, nur damit seine Finger unter dem Griff weicher wurden und an Form verloren.

Die Kreatur sah aus, als würde sie sterben.

Elwa zögerte nicht länger, sondern stürzte vorwärts, neben ihre unsteten, fließenden Arme. Dort, wo das Wasser seines Körpers zu Beinen verlief, schien sein Oberkörper zu zerfließen, zurückzustreben zum See, aber in den unsteten, schwer festzusetzenden Zügen im Gesicht des Wesens lag eine erschütternde Verzweiflung, während es erneut weiter nach oben zu kriechen versuchte. Es erblickte Elwa und etwas verformte sich in seinem Gesicht, wie ein runder Mahlstrom dort, wo sein Mund sein musste. Ein Geräusch drang daraus empor, zwischen einem satten Schmatzen und einem tiefen Keuchen und in den trüben Schlieren fokussierte sich etwas wie Augen, zu ihr hochgerichtet.

„Wie kann ich dir helfen?", flüsterte sie, der Anblick härter, als sie es gedacht hätte. Das Wesen versuchte vom Wasser fortzukommen, obwohl es so offensichtlich dafür gemacht war, ein Teil davon war, aber sie wusste wohl, wer daran Schuld trug. Sie fasste vorsichtig nach der feuchten Hand der Kreatur in dem Versuch, ihr zu helfen und spürte die Magie wie einen Blitzschlag durch den Körper fahren, Magie, die dem See in dieser Nacht erst mit Gewalt entzogen worden war. Die Wasserkreatur konnte dort drinnen nicht mehr atmen, sie würde sterben, sie ...

„Ich sehe, Ihr habt unseren Führer entdeckt, Prinzessin", kam Prinz Cristians Stimme von hinten, erstaunlich beschwingt für den bedauernswerten Anblick des Wesens.

Sie rührte sich nicht vom Fleck.

„Er ist verletzt", murmelte sie und wieder kam dieses feuchte Keuchen von der Kreatur.

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt