63 - Vorbereitung, Voraussicht, Vorahnung

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„Asifa."

Die Sonne wurde warm durch die Vorhänge gefiltert, als Asifa erwachte, ihre Muskeln schmerzend von der halb aufrechten Position, in der sie eingeschlafen war, ihre Ellbogen auf dem Rand des Bettes abgestützt. Sie blinzelte, erst nach einigen Sekunden bewusst, dass jemand aus dem Bett auf sie herabsah, ein schiefes Grinsen auf dem Gesicht, abwartend.

„Sharif", sagte sie und sprang hoch. Für einen kurzen Moment hatte sie den Drang, ihm um den Hals zu fallen, doch bevor sie sich bewegen konnte, kam ihr die Idee zu absurd vor und sie blieb stehen. Sie musterte ihn. Seine Haut war blasser, seine Wangen eingefallen und die Knochen schärfer herausstechend, aber er sah schon deutlich besser aus als fiebernd versteckt in der Höhle. Ofelia hatte einen dünnen Vorhang um das Bett aufgebaut so wie in ihrer eigenen Hütte, sodass Sharif nicht gleich vom Eingang aus zu sehen war und auf dem Schemel neben dem Bett stand ein halbvoller Wasserkrug und ein Teller mit letzten Krümeln.

„Sie hat sich um dich gekümmert", flüsterte sie und wusste nicht, warum der Anblick so erleichternd war. Natürlich hatte Ofelia sich um ihn gekümmert.

Sharif sah sie noch immer fest an, etwas anderes, tieferes in seinem Grinsen mitschwingend.

„Ich habe deinen Brief gelesen", sagte er. „Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob er nicht doch ein Teil der Fieberträume war."

Sie schüttelte den Kopf.

„Kein Traum", murmelte sie. Sie musste länger an seiner Seite eingenickt sein, dem Stand der Sonne nach zu urteilen, aber geträumt hatte sie selbst nicht. „Und nur der Anfang. Der Drache ist gut und es sind Dornen, die das Land bedrohen. Samir hat es nicht gewusst. Jetzt schon."

Sharif nickte langsam, obwohl deutlich war, dass er ihre Worte nur bedingt verstand.

„Ich war lange weg vom Fenster, was?", versuchte er sich an einem leichtherzigen Scherz, aber Asifa konnte darüber nur die Stirn runzeln. Seine Miene wurde wieder ernst und er seufzte.

„Ich habe nicht geglaubt, dass unser kleines Drachenabenteuer so enden würde", sagte er dann.

„Ich auch nicht", sagte Asifa und merkte, dass sie um Worte verlegen war. Wie sprach man mit einem Bruder, den man wochenlang für tot gehalten hatte? Mit dem man das letzte Mal gesprochen hatte, als ihr geteiltes Weltbild noch ein ganz anderes gewesen war? Sie atmete ein, öffnete den Mund, stockte wieder. Dann setzte sie sich auf die Kante des Bettes.

„Ich habe geträumt, auf dem Weg zurück", begann sie, ohne ihn anzusehen. „Der Dornenfluch wartet im Klippenschloss auf uns und wenn wir uns nicht beeilen, dann wird es zu spät sein, ihn aufzuhalten."

„Oh", sagte Sharif und hob die Augenbrauen, als ihr Kopf doch zu ihm hin zuckte. „Und weiter?"

Danach ging es leichter. Sie berichtete ihm in möglichst knappen, sachlichen Worten, was geschehen war, wer die Drachenjungfrauen waren, was sie über den König und Prinz Cristian erfahren hatte. Schärfe war in Sharifs Blick zurückgekehrt, während er ihr lauschte, konzentriert auf die wesentlichen Informationen, so wie sie es beide gelernt hatten. Mit einem Mal vermisste Asifa Yusuf. Sie waren nie besonders herzlich gewesen, ihre Brüder und sie, sie und Yusuf am allerwenigsten, aber dieser Moment, so kurz vor dem Umbruch, so kurz vor dem offenen Kampf, fühlte sich wie etwas an, das sie teilen sollten. Ein wortkarges Treffen, nur sie drei, bevor sie an Samirs Seite treten würden und sich dem Bösen entgegenstellen, so wie es immer gewesen war. Asifas Stimme wurde dünn mit der Erkenntnis und Sharif merkte es sofort und sah sie fragend an.

„Ich bin nicht daran gewohnt, ohne Samir für das Gute zu kämpfen", murmelte sie.

„Wo auch immer er gerade ist, ich bin sicher, er tut das Richtige", sagte Sharif aufmunternd und griff nach ihrer Hand, um sie leicht zu drücken. Sie hätte sie fast zurückgezogen, die Geste ungewohnt – aber sie hatte sich in den letzten Wochen an Körperkontakt gewöhnt und Sharif merkte die Veränderung, wie sie an seinem vielsagenden Grinsen sah.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now