32 - Bevor

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„Du solltest zu Bett gehen", sagte Jester, als er vom Austreten im Gebüsch zurückkehrte und Samir weiter am Feuer saß. „Morgen geht es fast nur bergauf, da werden wir wahrscheinlich selber laufen müssen. Nichts, was man ohne eine gute Mütze Schlaf angehen will."

Samir sah zu ihm auf und entrang sich ein knappes Lächeln. Sie nächtigten dieses Mal in einer alten, verlassenen Baracke, erhoben über die umliegenden Bäume und mit genug Abstand zum Unterholz, dass sich niemand ungesehen anschleichen konnte. Der Überfall war zwei Nächte her und auch wenn sie keine Verluste zu beklagen hatten, war Prinz Cristian seitdem deutlich strenger mit den Wachen. Auch, wenn er sich letztendlich darauf beschränkt hatte, den eingeschlafenen Soldaten ihre Unachtsamkeit mit Stockhieben zu vergelten, war jedem klar, dass die nächsten nicht so leicht davonkommen würden und die beiden Wachen jetzt starrten grimmig in die Dunkelheit hinaus, ohne auch nur von den Vorgängen im Lager Notiz zu nehmen.

„Ich habe nie viel Schlaf gebraucht", sagte Samir und sein Blick wanderte zu der dritten Gestalt, die wach war und allein auf einem Felsen saß, abseits von ihnen und dem Feuer. „Und ich will sie nicht zu lange allein lassen."

Jester seufzte. „Ich weiß wohl, was du meinst", sagte er. „Aber pass auf, dass der Prinz dich so nicht hört und auf die falschen Gedanken kommt."

Er tippte sich vielsagend an den Kopf.

„Natürlich", erwiderte Samir mit einem leisen Schnauben. „Glaub mir, das ist mir allzu bewusst."

Sie hatten die Dornen niedergebrannt, nachdem sie Elwa bei ihnen gefunden hatten, aber sie war seitdem so still geworden, dass selbst Cristian es bemerkt hatte. Noch hatte er nicht gewagt, ihre Fähigkeiten offen anzuzweifeln und sie zurück zu schicken – nicht, nachdem ihre Verfolgung des Anführers die anderen Angreifer zur Flucht angestiftet hatte -, aber wenn er den Eindruck hatte, dass ihre Nerven zu schwach für Kämpfe wie den letzten waren, dann würde es nicht mehr lange dauern.

Jester setzte sich mit einem Ächzen zurück neben ihn und Samir sah überrascht zu ihm hin.

„Was?", sagte er mit einem Grinsen. „Dir wird es auch nicht viel besser ergehen, so allein herumzusitzen und zu grübeln. Da leiste ich dir lieber ein wenig Gesellschaft, selbst wenn ich es morgen bitter bereuen werde."

Völlig ungeplant konnte es nicht sein, denn Jester zog eine kleine Flasche aus seinem weiten Mantel hervor und entkorkte sie sicher mit den Zähnen. Er spuckte den Korken ins Feuer, bevor er einen langen Schluck nahm.

„Du hast deine Meinung zum Trinken nicht geändert, nehme ich an? Den Gin habe ich noch aus Anglien, aufgespart für einen besonderen Moment. Wobei ich jetzt eher aus Hoffnung trinke, dass ich bald wieder mehr davon kriegen kann."

„Ich dachte, wir müssen morgen gut ausgeruht sein", sagte Samir und Jester lachte leise auf und trank einen weiteren Schluck.

„Glaub mir, damit schläft man nur besser", entgegnete er.

Er versuchte es jedes Mal wieder, obwohl er inzwischen gut genug wusste, dass Samir dem Alkohol nicht zusprechen würde. Auch, wenn es nach der vorletzten Nacht vielleicht geholfen hätte, einfach um nur für eine Weile nicht mehr an die Realität denken zu müssen, die ihn genauso wie Elwa tief zurück in den Dornenwald von Ilreth katapultiert hatte. Der Vogel schlief auf seiner Schulter, als ahnte er, was in ihm vorging und an Jesters knappem Blick hatte er bemerkt, dass er es ebenfalls ahnte.

Eigentlich hätte er versucht, mit Elwa zu sprechen. Sie hatte kaum ein Wort verloren über die Dornen, die zu Asche verbrannt hinter ihnen lagen, ihm nur versichert, dass es ihr gut ging. Er wusste, dass da mehr war und er wusste, dass er selbst mit jemandem sprechen musste, bevor die zähe schwarze Masse in seiner Magengrube mehr wurde als nur ein unguter Nachgeschmack, aber er fürchtete dieses Gespräch, das Aufbrechen der alten Wunden auf Wege, die er nie hätte vorausahnen können.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now