29 - Weder von Rang noch Namen

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„Ich bin ein bisschen überrascht, dich hier oben zu finden und nicht in deinem Bücherloch."

Willehad hatte kaum die Muße, den Kopf von seinem Schreibtisch zu heben und Lorelei entgegen zu sehen.

„Es hat doch sowieso alles keinen Zweck", brummte er düster. „Sie sind fort. Unser kleines Abenteuer in den Tunneln ist vorbei, wenn wir damit nur diesen Fluch hervorlocken und sonst nichts. Nicht einmal dieser blöde Text ergibt Sinn."

Da war noch ein kleiner Teil in ihm, der darauf hoffte, dass sie ihm widersprach. Allerdings war der deutlich größere Teil zu frustriert, um auch nur die Lust auf einen Ausflug zur Bibliothek zu verspüren. Er hatte sich zwei Tage lang mit den Büchern um die Ohren geschlagen, die ihm die Kammerdiener ganz am Anfang gebracht hatten, auch wenn sie nur bedingt hilfreich waren, seine Motivation das Rätsel zu lösen fast völlig eingeschlafen.

Er hatte es nicht rechtzeitig geschafft, um Samir zu helfen, also war es vielleicht besser, sie würden einfach abwarten. Nicht riskieren, dass noch irgendetwas geschah, dem König nicht irgendwie negativ auffallen. Sie wollten schließlich nicht aus dem Schloss geworfen werden – er hatte bei den Reisen mit den anderen nur zu deutlich verstanden, dass er unter der gewöhnlichen Bevölkerung ungefähr so selbstbewusst herumtapste wie ein gerade flügge gewordenes Küken. In den gehobenen Kreisen war er zwar auch eher unbeholfen, aber zumindest war er damit aufgewachsen.

„Natürlich hat es einen Zweck", sagte Lorelei fröhlich. „Und zwar, dass wir etwas vernünftiges zu tun haben. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber mir ist jetzt schon langweilig bei der Vorstellung, einen Monat hier herumzusitzen und nur aus reiner Nettigkeit bei der Krankenstation auszuhelfen, wo sie ein gebrochenes Bein nicht von einer Prellung unterscheiden können. Ich weiß ja echt nicht, wie ihr feinen Leute euch gewöhnlich die Zeit herumtreibt, das muss ja furchtbar sein."

„Teegesellschaften, Jagden, Strategiespiele", murmelte Willehad seufzend. „Lange Spaziergänge. Elendige Diskussionen über die Kriegsstrategien, die man in längst vergangenen Kriegen lieber hätte wählen sollen, so etwas. Und auf die Jagden haben sie mich nicht mitgenommen."

Lorelei verzog das Gesicht. „Klingt furchtbar, sage ich doch."

Sie trat zu ihm heran und packte einen seiner Arme, um ihn nach oben zu zerren.

„Los, wir suchen uns etwas Besseres!"

„Ich gehe da nicht noch einmal runter", beharrte Willehad. „Das Zimmer hätte sich niemals einfach öffnen dürfen. Wenn ... sie jederzeit entwischen kann, dann ist das viel zu gefährlich."

„Isidora hat vergessen abzuschließen und es war ihr furchtbar peinlich, das ist doch klar", entgegnete Lorelei beschwingt. „Hat sie dir nicht mit Felice ausrichten lassen, dass alles gut ist? Nichts ist herausgekommen. Wir können gleich wieder runtersteigen. Yusuf hat seine Medizin für heute bekommen und ich habe behauptet ich muss an einem Trank arbeiten, mit dem man Pockennarben heilt. Dabei habe ich fünf Stück vorrätig."

Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu und Willehad ließ sich mit einem leisen Stöhnen vom Stuhl hochziehen. Ihr war der Sinn der ganzen Unternehmung herzlich egal, das war ihm wohl klar, aber es bereitete ihm doch Sorgen, dass sie jegliche Bedenken trotzdem so einfach in den Wind schlug. Sie war genauso panisch die Treppe hochgestürmt wie er, als sie die offene Tür entdeckt hatten und sie hatte danach fast noch schneller geatmet. Musste sie nicht auch gewisse Hemmungen verspüren, noch einmal nach unten in die Dunkelheit zu steigen, ganz gleich, ob Isidora ihre Mutter wiederentdeckt und erneut in dem Zimmer eingeschlossen hatte?

Anfangs hatte er sie noch gut mit dem geheimnisvollen Text abwimmeln können, aber da er damit genauso wenig weiterkam, war sie wieder ungeduldig geworden. Vielleicht sollte er einfach etwas erfinden, damit sie zufrieden war. Irgendwas von einem Schatz, der in den Gärten verbuddelt war, oder eine tragische Liebesgeschichte, die einen aufrechten jungen Mann in den Kerker getrieben hatte. Das würde ihr wahrscheinlich gefallen. Für ihn hatte alles Abenteuer in den Büchern völlig gereicht, nach Möglichkeit sehr sachlich erzählt und mit dem Wissen, dass die erzählende Person am Ende überlebt hatte.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now