62 - Freischlag

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Die Pferde gingen wie dunkle Vogelschwärme über dem Lager nieder, Soldaten aus allen Richtungen auf ihren Rücken tragend. Prinz Cristian musste einen Weg gehabt haben, sie alle ohne die Reise einer Taube zu benachrichtigen, denn anders hätten sie nie so schnell so viele Männer zusammenrufen können, bereit für den Kampf. Die Pferde holten sie von den unterschiedlichsten Stützpunkten, mehr, als sie insgesamt Reiter brauchten, aber in Cristians Augen wahrscheinlich gerade gut genug, um die Höhle des Drachen zu belagern – oder was immer dort in der Sierra Incendia auf sie wartete.

Von dem weitläufigen, geschäftigen Lager aus konnte Samir die Gipfel der Flammenberge sehen, auch wenn sie seit ihrer Ankunft am letzten Abend keinen roten Schein gesehen hatten, die von der Nähe des Drachens kündeten. Vielleicht beobachtete er sie längst von einem der Berge aus, vielleicht nicht. Vorbereitet waren sie auf jeden Fall. Selbst wenn Prinz Cristian den Drachen nicht beim ersten Angriff töten würde, so konnte er zumindest das Nest ausräuchern, in dem seine Helfer lebten. Selbst wenn der Drache sie erwartete, konnten sie ihn von allen Seiten, aus der Luft wie von der Erde aus, umzingeln, ohne von den schroffen Bergseiten eingeschränkt zu werden. Der einzige Weg, wie er ihnen jetzt entkommen konnte war, dass ihnen die Pferde alle miteinander durchgingen, aber Dimontero und Prinz Cristian hatten ganze Arbeit damit geleistet, sie unter ihre Kontrolle zu bringen und ein forscher Reiter war genug, um sie seinem Willen zu beugen.

Samir fühlte sich taub, während er alles beobachtete. Unter anderen Umständen hätte er jetzt fieberhaft an einem Plan gearbeitet, wie er sie stoppen konnte. Wie er das Unausweichliche verhindern konnte, die Aufmerksamkeit zurück auf die Dornen lenken, von denen sie mehr als genug auf ihrem Flug gesehen hatten, deutlich mehr als auf dem langen Weg hoch zu den Bergen. Aber er war fast glücklich darüber, dass Jester noch immer den Vogel hatte und ihm damit die Hände gebunden hatte, denn seine Gedanken waren überschattet von seiner Sorge um Elwa.

Sie war nicht tot, da war er sich sicher. Vielleicht war sie tief gefallen, aber er hatte es in ihrem Gesicht gesehen, der Klarheit in ihrem Blick, dass sie nicht erwartet hatte zu sterben. Aber er wusste nicht, was sie getan hatte, ob sie sich verletzt hatte, was ihr Plan war. Nur, dass sie nicht damit gerechnet hatte, bald wieder zu seiner Seite zurückzukehren. Die Dornen haben ihren Anfang im Schloss. Sie hatte ihm das gesagt, was das wichtigste war, wo er ein Ende für all das hier finden konnte. Er spürte die Dornen selbst, die Spannung in der Luft, auch ohne dass er sie sah. Etwas hatte sich verändert, war stärker geworden und mächtiger und lange würde es sich nicht mehr einzwängen lassen.

Aber da war auch der zweite Satz gewesen und er erinnerte sich daran, wie er sie beim letzten Mal mitten zwischen den Dornen gefunden hatte, ohne dass sie danach frei hatten sprechen können. Ich muss sie retten. Die Sorgen nagten an ihm schwerer als je zuvor, wenn sie in seiner Nähe gewesen war. Er hatte sie vermisst, während er und Jester die Nachricht an den König geschickt hatten, aber da hatte er gewusst wo sie war und wann er sie wiedersehen würde, da hatte er noch geglaubt, dass sie bei Prinz Cristian zumindest in sicheren Händen war.

„Ihr wollt nicht mit den anderen zu Abend essen, Prinz Samir?"

Samir musste sich kurz auf die Lippen beißen, damit seine Miene neutral blieb, als er sich zu Prinz Cristian umdrehte, dessen Blick in trotz der unschuldigen Frage scharf durchbohrte.

„Ich bin nicht hungrig", erwiderte er tonlos. Er hätte es außerdem nicht ertragen, Schulter an Schulter mit den wenigen verbliebenen Begleitern zu sitzen, die Prinz Cristian oben im Bergdorf nicht aufgehalten hatten, während Jesters Scherze ganze Kompanien von frischen Soldaten unterhielten, die nichts anderes im Sinn hatten als ihren Ehrgeiz, endlich dem Drachen seinen verdienten Todesstoß zu geben. Trotzdem fand Jester immer die Zeit, ihm warnende Blicke zuzuwerfen, wenn sein fehlender Enthusiasmus allzu eindeutig wurde und lange würde Samir nicht mehr still bleiben können, selbst mit dem Gedanken daran, was er dabei zerstören würde.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now