52 - Dornenprinzessin

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Sie hatten den fernen Schrei alle gehört, aber da war nichts gewesen, obwohl die Soldaten die Hänge des Kammes auf beiden Seiten ausgiebig abgesucht hatten. Keine Dörfer, keine anderen Reisenden – kein Grund, warum dort irgendwo in der Morgendämmerung eine Frau schreien sollte. So hartgesotten die Männer sich auch gaben, Elwa merkte an ihrem unruhigen Tuscheln und den Blicken zurück, dass es ihnen nicht wohl dabei war.

Geist, hörte sie einen von ihnen sagen. Dämon. Monster.

Selbst wollte sie sich gar nicht vorstellen, woher der seltsame Schrei gekommen sein konnte, warum sie das Gefühl bekommen hatte, nicht mehr allein zu sein, beobachtet. Irgendetwas, noch irgendeine ungesehene Kreatur der Magie musste sich auf ihre Spuren geheftet haben und verfolgte ihre Schritte für ein Ziel, das sie nicht einmal erahnen konnte. Sogar Thabohani musterte ihre Umgebung misstrauischer, als sie weiterzogen und Prinz Cristian und Dimontero rührten den Quellgeist nicht mehr an, als fürchteten sie die Rache der neusten Gräuel, die irgendwo da draußen lauerten. Es war schwer zu sagen, ob die Kreatur noch in der Nähe war oder nur das allgemeine Unbehagen der Dornen sie angesteckt hatte, ihr letzter Wegabschnitt hielt sie noch immer nah an dem dornigen Flussbett, während sich die andere Seite des Bergkammes immer weiter anhob. Eine Biegung weiter und die imposanten nördlichen Berge ragten vor ihnen auf, nah genug, um den Anstieg noch an diesem Tag zu erreichen. Sie beeilten sich, als würden die steilen Hänge sie vor den unbekannten Gefahren der Ebene schützen können.

Daran, dass Samir und Jester noch immer nicht zurückkehren konnten, schienen sie sich kaum noch zu erinnern. Der Quellgeist war halb auf seinem Pferd eingenickt, erschöpft von einer Nacht voller Qualen und Schmerzen und sie ließ sich selbst zurückfallen, um Blicke in Richtung des Flussbettes erhaschen zu können. Die Dornen blieben undurchdringlich genug, den ganzen ehemaligen Lauf des Wassers entlang, nicht einmal der Anschein von dünneren Stellen, an denen es vielleicht ein Durchkommen für Samir geben würde. Der Knick des Flusses vor den ersten Ausläufern der Berge war nicht mehr weit und damit der Punkt, an dem sie selbst ihn verlassen würden. Zwei Stunden, drei Stunden, nicht mehr, bis sie sich von der Flussseite abwenden würden, auf der Samir feststeckte. Sie suchte die Dornen nach irgendeinem Hinweis ab, irgendetwas, hielt die Augen offen nicht nur nach einer Möglichkeit zur Überquerung, sondern auch nach einer Rückkehr des Vogels.

Die Dornen waren die ersten, denen ihr Fokus auffiel.

Komm zu uns. Du willst uns, wir wollen dich.

Sie biss sich hart auf die Lippen und versuchte nicht auf sie zu hören, auch wenn die Stimme lauter wurde, je mehr sie ihre tränenden Augen ihnen entgegen richtete. Es wurde schwerer, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren und sie war froh, dass ihr Pferd von allein dem Pfad der anderen folgte, wenn sie es gerade nicht zur Seite trieb für einen besseren Überblick. Die Berge warfen ihre Schatten schon über sie, der Weg stieg an und ihr Nacken schmerzte von den vielen Blicken zurück und auch wenn der Fluss, die Dornen, hinter ihnen nach und nach zurückblieben, änderte sich die Stärke ihrer Macht nicht mehr. Sie hatten Elwa eingefangen wie einen Fisch an der Angel, und selbst wenn sie zog und zerrte und sich dagegen wehrte, so kam sie doch nicht mehr los. Auch weiter fort vom Fluss gab es sie noch, ein dünner Strang nur, genug, um darüber zu springen aber genauso verschlingend, der Bachlauf, dem sie den Hang hinauf hatten folgen wollen, genauso ausgelöscht wie der Fluss.

Sie erreichten den schmalen Pfad, der die erste steile Bergflanke empor führte und Cristian wies sie an, von den Pferden zu steigen.

„Ab sofort werden wir zu Fuß unterwegs sein", sagte er. „Wir lassen die Tiere hier unten, wo sie gut zu weiden finden."

Thabohani hob skeptisch die Augenbrauen und sagte sonst nichts.

„Sie kommen aus einem candalonischen Stall, sie werden nicht weglaufen", erklärte Dimontero. Einige der Soldaten sahen ebenfalls sehr skeptisch aus, wandten ihre Blicke aber lieber ab, anstatt sich zu versichern. Viele waren von ihnen nicht mehr übrig.

Dornen - Das Königreich in FlammenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora