37 - Der bittere Vorgeschmack von Freiheit

105 14 8
                                    

In dem Moment, in dem Ofelia ihr die Tür öffnete, hatte Asifa das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Doch die Überraschung auf dem Gesicht der anderen Frau schlug schnell in Freude um.

„Komm rein", sagte sie warm, noch bevor Asifa einen Ton von sich gegeben hatte. „Ich wäre gleich zu dir gekommen."

Asifa biss sich auf die Lippen, folgte ihrer Aufforderung allerdings. Sie hätte warten sollen, sie hätte sich diese Blöße nicht geben dürfen. Vor Ofelias Tür zu stehen, das war wie zuzugeben, dass sie ihren eigenen Gedanken nicht mehr genug traute, um mit ihnen allein zu sein. Ganz gleich, ob Ofelia sie selbst aufgesucht hätte, wenn sie nur einen Moment länger gewartet hätte.

Sie hatte die Hütte, in der die andere Frau lebte, bis jetzt immer nur von außen gesehen, noch nie das Bedürfnis gehabt, sich abends zu ihr an den Tisch zu setzen und süßes Gebäck zu essen und über Stickkunst zu reden, wie sie es bestimmt immer machte, wenn sie nichts zu tun hatte. Obwohl sie nicht luxuriöser war als die von Asifa war sie heimischer eingerichtet, bunte Decken und Tücher über Stühle und Truhen verteilt, Blumen auf dem Tisch, duftende Nadelkränze an den Wänden. Ihr Bett war von einem groben Vorhang abgetrennt, ein zweites stand in der Ecke. Nessa lebte bei ihr, wie Asifa sich blass erinnerte. Aufgenommen und umsorgt von Ofelia wie sie.

„Blancia und Nessa sind bei Ria", sagte Ofelia leise, während sie Wasser auf der kleinen Feuerstelle aufsetzte. „Wir können uns gerne anschließen, wenn du etwas Abwechslung brauchst."

„Abwechslung", wiederholte Asifa stirnrunzelnd, weil Ofelia sie ansah, als würde sie morgen dem sicheren Tod entgegen gehen. Selbst als sie noch geglaubt hatte, dass ihr Leben vor dem Drachen ihr Ende finden könnte, hatte sie ganz bestimmt keine Abwechslung gebraucht.

„Es ist nie einfach, in den Kampf zu ziehen", sagte Ofelia mit einem wehmütigen Lächeln. „Selbst für diejenigen unter uns, die diesen Weg gerne gehen. Ria schläft nicht gut, wenn sie sich zu sehr Gedanken darüber macht, wie viele Leben sie wohl nehmen muss, deswegen braucht sie Gesellschaft. Vielleicht geht es dir ja ähnlich."

Asifa wusste nicht ganz, was sie mit sich anfangen sollte, bis Ofelia nachdrücklich zu den Stühlen hin nickte. Wenn sie anderen Leuten abends einen Besuch abstattete, hatte das gewöhnlich einen Grund, bei dem sie sich nicht nett mit jemandem an einen Tisch setzte. Und nicht den, dass der Gedanke an den Tod sie wachhielt, ob es ihr eigener war oder der durch ihre Hand. Solche Sentimentalitäten, das war nur Schwäche, die einen von den wahrlich wichtigen Gedanken über Strategie und Plan ablenkte. Wie etwa den, von den Drachenjungfrauen entkommen zu wollen. Sie biss sich auf die Lippen, merkwürdig schuldbewusst.

„Ich mache mir keine Sorgen", sagte sie rasch. „Ich habe genug Erfahrung mit allem."

„Natürlich hast du das", sagte Ofelia mit funkelnden Augen. „Irgendwie will das noch nicht ganz in meinen Kopf hinein, dass du vor dem allem hier schon eine Kämpferin warst. Hier bist du so ... anders."

Asifa hätte fast aufgeschnaubt über diesen Satz, darüber, dass jemand sie wahrhaftig ansehen und vergessen konnte, dass sie ihr Leben schon als Mädchen der Klinge verschrieben hatte. Aber sie stellte auch fest, dass es angenehm war, einmal so angesehen zu werden. Weil ... weil ... der Grund erschloss sich ihr nicht gänzlich und alles was ihr blieb, war zu bleiben und zu akzeptieren, dass selbst sie noch neue Dinge lernen konnte, hier bei den Frauen.

„Der Drache", murmelte sie. „Macht er so etwas öfter? Frauen auf die Missionen mitschicken, die Luz oder Calliope sonst nicht bedacht hätten?"

Ofelia seufzte, dann setzte sie sich auf den Stuhl neben sie – nicht gegenüber, nicht mit genug Abstand, um sich gegen eine plötzliche Messerattacke wehren zu können, sondern direkt neben sie, nur ein paar Handbreit zwischen ihren Stühlen.

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt