8 - Das Klippenschloss

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Trockene Berichte und erklärende Texte hatten Willehad nicht auf das Klippenschloss vorbereiten können. Zu wissen, dass die mächtige Steinmauer zwischen Schloss und Stadt zu ihrer stattlichen Höhe von 70 Fuß fast 100 Fuß breit war, war eine Sache; vom Eingangstor der Mauer zum Ausgangstor auf der anderen Seite durch völlige Dunkelheit zu schreiten eine ganz andere.

„Über diesem und den anderen beiden Durchgängen haben sie winzige Tunnel in die Mauer verbaut", murmelte er, um seine eigene Nervosität über die Massen an Stein über ihren Köpfen niederzuzwingen. „Im Fall eines Angriffs könnten sie etwa die Angreifer hier hinein locken, die Tore zu beiden Seiten wieder schließen und sie mit heißem Öl übergießen."

„Dann hoffen wir einmal, dass König Maddeo uns nicht als Angreifer eingestuft hat", erwiderte Samir mit einem leisen Lachen. „Was hast du noch gelesen, das uns weiterhelfen könnte?"

Willehad musste dank dem fehlenden Licht die Überraschung auf seinem Gesicht nicht verbergen. Klar, Prinz Samir hatte ihn immer wieder nach Rat gefragt, wenn es um seine Lektüren ging, aber das hier – fremde Könige treffen, sich mit Eleganz und Selbstverständlichkeit in die Herzen eines weiteren Volkes reden – war ganz sein Element. Er konnte sich eines gewissen Stolzes nicht erwehren.

„Das Klippenschloss ist die größte Festung im ganzen Abendland", antwortete er. „Und eine der sichersten, auch wenn man es ihr nur bedingt ansieht. Die Wehrmauer ist nur eine von mehreren Verteidigungsmechanismen – zu den Klippen hinaus sind die Felsen so scharf poliert worden, dass selbst der geübteste Kletterer niemals bis nach oben kommen würde, die Räume der Außengebäude lassen sich in Windeseile zu gut bewachten Verteidigungsposten umfunktionieren und im Schloss selbst ist die Architektur so verwinkelt und einem Labyrinth gleich, dass es für einen Eindringling unmöglich ist, auch nur die Hauptküche ohne Hilfe zu finden. Früher waren es sieben streng bewachte Mauern, die jeder Ankommende durchschreiten musste, aber die anderen sechs wurden aufgegeben und in der wachsenden Stadt verbaut."

Er unterbrach sich, bevor er sich zu sehr in den Ausführungen verlor. Die Klippenstadt war nicht geplant gewesen – aber die candalonischen Könige hatten mit dem Klippenschloss ein solch gewaltiges Bauwerk geplant, dass es eine Heerschar an Architekten, Steinmetzen, Tischlern, Arbeitern und Soldaten gebraucht hatte, um es zu vollenden. Drei Könige hatte die Baustelle gesehen, bis sie schließlich in das Schloss einziehen konnten und zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Arbeiter längst zu seinem Fuß niedergelassen und ihre Familien gebracht. Ursprünglich als leicht zu verteidigender Standpunkt im Krieg gegen die Piratennationen der westlichen Inseln gewählt und viele Längen über dem Meeresspiegel, hatten die Statdbewohner nach Ende ihrer Bauarbeiten erfinderisch für ihren Lebensunterhalt werden müssen – und mit dem Klippenhafen ein weiteres, atemberaubendes Monument der menschlichen Willenskraft geschaffen.

Willehad hatte nur von weitem einen Blick darauf werfen können und kaum etwas gesehen, die Tarnung einer der einzigartigen Vorzüge des Hafens, der fast vollständig in natürliche Höhlen, Ausbuchtungen und Vorsprünge eingegraben war. Die alten Candalonier hatten die steilen Klippen der Bucht neben dem Klippenschloss nicht nur gezähmt, sondern sich ihre Herausforderungen der Natur zum Vorteil gewandt. Der Klippenhafen war der sicherste an der ganzen Küste und jahrelang auch der ertragreichste – bis König Maddeo jeglichen Schiffsverkehr verboten hatte zumindest. Was genau das für Auswirkungen auf die Stadt hatte, hatte seinen Weg noch nicht in geschriebene Worte gefunden, aber Willehad konnte es sich durchaus denken.

Ein frischer Seewind erfasste sie, als sie auf der anderen Seite der Mauer wieder ins Freie traten, mehrere Fuß höher als bei ihrem Eingang. Von den Außengebäuden bis zum Herz des Schlosses lag jeder Teil ein bisschen höher, die Wege steil, schmal und nur zu Fuß zu erklimmen. Sie überholten einen stetigen Strom von Stadtbewohnern und Dienern, die mit schweißnassen Gesichtern große Körbe zum Schloss hochtrugen, stetig überwacht von Soldaten, die wie zufällig verteilt auf den Vorsprüngen der Felsen standen.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now