27 - Das Herz einer Kämpferin

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Es war seltsam, unter den Frauen zu leben. Nicht, weil Asifa die Männer vermisste, ganz bestimmt nicht. Wäre Samir nicht gewesen, wäre die Welt außerhalb des Bergkessels nicht gewesen, vielleicht hätte sie sich hier sogar wohlfühlen können. Aber alles, was die Frauen taten, alles, wofür sie standen, ging so gegen ihre Erfahrungen, dass es schwerer war einen Überblick über ihre Situation zu gelangen, als sie je gedacht hätte.

Zwei Tage nach ihrem ersten Erwachen wusste Asifa, dass nicht ganz zweihundert Frauen im Dorf lebten – in den knapp zwanzig Jahren der Drachenrettung hatten es also mehrere Dutzend Jungfrauen nicht geschafft. Sie würde sich hüten nachzufragen, wie viele davon versucht hatten, zu fliehen.

Erst war die offene Art der Frauen befremdlich gewesen. Sie schienen keinerlei Geheimnisse zu haben, ihre Strategien und Angriffspläne wurden alle an den Abenden vor allen diskutiert, ob sie Teil der Missionen waren oder nicht. Gleich am dritten Tag erlebte Asifa auch die erste davon mit: ein Dutzend Jungfrauen wurden ausgewählt, um mit dem Drachen über Nacht fortzufliegen und eine entlegene Kaserne anzugreifen, am nächsten Morgen kamen sie mit rußigen Gesichtern und ihrer Beute zurück, die gerecht aufgeteilt wurde, ohne Bevorzugung für die ausgezogenen Kriegerinnen.

„Wir müssen unserer neusten Drachenjungfrau Asifa danken", sagte Calliope an dem Abend. „Sie hat gekämpft – und wir haben eine Entschuldigung, warum der Drache diesen Monat wütend ist."

Obwohl sie immer noch nicht darüber gesprochen hatte, was genau sie zu dem Kampf verleitet hatte, begegnete ihr niemand mit Misstrauen. Ihr wurde klar, warum sie sich das leisten konnten, als sie das erste Mal in die Nähe des einzigen Ausgangs kam: nicht nur lag irgendwo auf der anderen Seite der Drache, der Felsendurchgang war auch durch ein großes Tor versperrt, das nur durch die vereinte Kraft von vier Frauen an den Seilwinden geöffnet werden konnte. Solange sie nicht unter denen war, die ein Auftrag nach draußen führte, war es für sie unmöglich zu entkommen. Je länger sie das Zusammenleben der Frauen beobachtete, desto sicherer war sie sich, nur als eine der Kämpferinnen überhaupt nach draußen zu gelangen.

Aber zum ersten Mal in ihrem Leben vermied Asifa den Kampf. Früher oder später würde sie es auf diesen Weg versuchen müssen, das ahnte sie schon vom ersten Tag an, aber solange sie nicht jede andere Möglichkeit ausgeschöpft hatte, würde sie ihre Fähigkeiten nicht in den Dienst der Drachenjungfrauen stellen, nicht solange dort draußen irgendwo der Wanderprinz auf sie wartete. Nur mit der Feldarbeit zu helfen oder stumm Kräuter für die gemeinschaftliche Suppe zu schneiden, die Ofelia ihr reichte, schien ihr weniger verräterisch als ihnen auch nur die geringste Kostprobe ihrer Kampfeskunst zu geben. Sie hätte gar nichts tun müssen. Im Dorf der Frauen bekam jeder seinen Teil, selbst wenn er nicht bei den zahlreichen anfallenden Aufgaben zur Hand ging, aber sie brauchte Beschäftigung, und eine Entschuldigung, genau alles zu beobachten, was dort vonstatten ging. Ganz abgesehen davon, dass sie viel wieder wettmachen müsste, sollte sie letztendlich den Weg des erschlichenen Vertrauens wählen müssen.

Sie nutzte die Entschuldigung, sich an die neue Umgebung gewöhnen zu müssen, um selbst schweigsam zu bleiben. Ofelia hatte es sich zu ihrer Hauptaufgabe gemacht, sich um sie zu kümmern, selbst als die Schwäche und Erschöpfung verflogen und die Kratzer verheilt waren und Asifa ließ sich klaglos von ihr mitnehmen und in den verschiedenen Pflichten des Dorfes unterweisen. Es war eine seltsame kleine Gruppe, in die sie dadurch geriet – andere Frauen wie Ofelia, die zwar wie jede im Dorf im Kampf unterrichtet worden waren, ihn aber so sehr hassten, dass sie sich lieber anderen Pflichten verschrieben. Es war nur eine Handvoll von ihnen, in denen die Wut auf all die Männer, die sie in den vermeintlichen Tod geschickt hatte, nicht stark genug glühte, um bei jeder Gelegenheit Schwert oder Bogen in die Hand nehmen zu wollen. Etwas, das für den Großteil der Frauen, genauso wie auch für Asifa eigentlich völlig unverständlich war.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now