7 - Drängen

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Erst kam die Dunkelheit. Dann folgten die Flammen.

Sie hingen überall in der Nachtluft, um ihn herum, über ihm, unter ihm, ihre Hitze dennoch kaum spürbar, deutlich ferner als die blanke Angst, die Samir bei ihrem Anblick erfasste.

„Nein", hauchte er entsetzt und versuchte nach dem nächsten Flammenball zu greifen, um ihn mit seinen Gewändern zu ersticken, aber er entglitt seinen Fingern, die plötzlich starr und gefühlslos waren wie Stein. Erfolglos versuchte er es mit dem nächsten Flammenball, doch sie hüpften und tanzten vor ihm fort wie substanzlose Sonnenstrahlen, in welche Richtung auch immer er sich wandte.

Plötzlich ertönte hinter ihm ein fröhliches Tschilpen. Er fuhr herum und sah den Holzvogel, der gefährlich eng zwischen den Flammenbällen hindurchschoss, auf ihn zu und über ihn hinweg.

„Vorsicht!", rief er voller Panik. Nur ein falscher Flügelschlag und der Vogel würde in Brand stehen wie alles andere, das letzte bisschen Leben, das sich außer Samir in der endlosen Nacht fand. Der Vogel schien nach seinen Worten langsamer zu fliegen, aber er hielt nicht inne oder kam zu ihm, wo er ihn vor den Flammenbällen hätte beschützen können.

Samir rannte los, immer wenige Schritte hinter ihm, während die Flammenbälle aus seinem Weg sprangen. Er achtete nicht einmal mehr auf sie, hatte nur Augen für die Umrisse des kleinen, tollkühnen Vogels vor ihm, wollte ihn so sehr in Sicherheit wissen wie nichts anderes auf der Welt.

Dann war das endlose Flammenmeer mit einem Mal vorüber. Samir stolperte, als er aus der Dunkelheit plötzlich auf kargen, kantigen Fels traf und als er sich gefangen hatte war da nur noch eine endlos weite Felsenlandschaft um ihn herum. Obwohl er weder Mond noch Sterne über sich erkennen konnte, war sie erleuchtet von äschern grauem Licht, bedrückend und energieraubend. Sein eigener Atem tönte laut durch die Einöde, als er sich hastig zu allen Seiten umsah und nach dem Vogel suchte. Stattdessen sah er eine Gestalt in der Ferne, die ihm den Rücken zugewandt hatte, verhüllt von einem Umhang, der genauso grau und eintönig war wie alles andere um ihn herum.

„Hallo?", rief Samir. „Hallo, wo bin ich hier?"

Er stolperte vorwärts, die Ritzen und Ausbuchtungen trügerisch in den falschen Schatten des fahlen Lichts. Kurz bevor er die Gestalt erreicht hatte, tat sich ein Graben zwischen ihnen auf, der breiter wurde mit jedem Schritt vorwärts. Samir wollte anhalten, doch seine Beine trugen ihn ohne sein Zutun weiter, immer weiter, bis er ins Leere trat und fiel. Er war zu überrascht, um zu schreien, den Mund stumm aufgerissen. Vielleicht war es auch gar nicht sein Mund, nicht seine Beine, nicht seine steinernen Arme. Kein Teil seines Körpers fühlte sich mehr nach ihm an, während er haltlos nach unten trudelte.

Der Aufprall schmerzte nicht, aber er trieb wieder Gefühl durch ihn, löste die Starre seiner Arme und gab ihm die Kontrolle über seine Glieder zurück. Weiches Gras hatte ihn aufgefangen und Wind strich über seine entblößten Arme und Beine. Er trug nicht mehr als sein Unterzeug.

„Vorsicht", sagte eine warme Stimme und jemand reichte eine Hand zu ihm herab. „Du musst achtgeben, wohin du deine Füße setzt, Samir."

„Djadi", hauchte er und ließ sich widerstandslos von ihm hochhelfen. Bis auf sein Gesicht und seine Hände war er völlig eingehüllt in seinen grauen Mantel, ein starker Kontrast zu Samirs beinahe-Nacktheit. In seinen Augen spiegelten sich helle Flammenpunkte, ihr sanftes Rot und Orange und Gelb die einzige Farbe in der stetig grauen Umgebung, aber es war unverkennbar er. Um sie herum war das Gras so endlos wie es die Felsen gewesen waren.

„Ich habe 99 Jahre hier gewartet", sagte Djadi ruhig. „Lange werde ich nicht mehr bleiben."

Samir wollte auf ihn zustürzen, seine Arme um ihn schließen und ihn nie wieder loslassen, aber der Graben war wieder zwischen ihnen, höchstens einen Fuß breit nur, aber mit dem stetigen Versprechen weiter aufzubrechen, sobald er nur eine falsche Bewegung machte.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now