57 - Dornenwurzeln

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„Werdet Ihr mich töten?", fragte Willehad schluckend. Seine eigene Ruhe überraschte ihn, Angesicht zu Angesicht mit der Frau, die genug Wachen das Leben gekostet hatte, die der König absichtlich auf seine Spur gehetzt hatte. Deren Fluch sich als Dornen entpuppte, wie er sie auf seinem allerersten, kurz gewordenen Abenteuer erlebt hatte. Die Ranken schlängelten sich von ihr weg am Türrahmen entlang, über die grob behauene Wand, weiter zu den Käfigen – selbst, wenn er voller Wagemut nach vorne gestürmt wäre und versucht hätte, an ihr vorbei zu kommen, wäre ihm der Weg versperrt gewesen. Und in der großen Höhle selbst hatte er sich nicht lange genug umgesehen, um zu wissen, ob es einen weiteren Fluchtweg gab.

Doch Ndakasharwa, die Magierin aus Munhumgabwe, Isidoras Mutter und die ehemalige Geliebte des Königs Maddeo, machte keine Anstalten, ihn anzugreifen.

„Nicht, solange ich es zurückhalten kann", sagte sie leise und trat in die Höhle hinein. Es waren mehr und mehr Dornen, die sich wie Schlangen um die Käfige wanden und anfingen, nach den glücklosen Wesen darin zu schnappen. Ndakasharwa atmete scher und angestrengt wie eine Verdurstende, ein sehnsüchtiger Blick in ihren Augen, aber sie selbst ging geradewegs auf den Käfig der alten Hexe zu, während Willehad ängstlich zurückstolperte.

„Du warst es, nicht wahr?", fragte Ndakasharwa heiser. Die Hexe kicherte und tastete nach ihrer Brust, woraufhin das Kichern von einem gequälten Stöhnen unterbrochen wurde, begleitet von einem unappetitlichen, feuchten Schmatzen. Willehad würgte, als die Hexe ein kleines Stück Fleisch aus ihrem eigenen Körper hervorzog und der verfluchten Magierin entgegenhielt, die es gierig in den Mund stopfte und verschlang. Fast augenblicklich zogen sich die Dornen zu ihr zurück, nur noch einzelne Ranken lagen in ihren Haaren, reglos jetzt. Ndakasharwa atmete tief ein.

„Danke", sagte sie, ihre Stimme dunkler und voller als noch zuvor. „Du hast mich befreit."

„Nur weil du mich zum Guten gebracht hast", erwiderte die Hexe und konnte bereits wieder kichern, obwohl sie sich gerade noch das bisschen Herz, das ihr nachgewachsen war, aus der Brust gerissen hatte. „Oh, ich fühle wie es in dir brodelt. Lange dauert es nicht mehr, bis es dich überwältigt."

Ndakasharwa nickte schwer.

„Der Fluch wird unruhig", sagte sie. „Er ist gewachsen, während ich gelähmt war und jetzt brauche ich all meine Kraft, damit er nicht sofort ausbricht. Auch, wenn er das will."

„Ich verstehe nicht", entfuhr es Willehad und schlug sich sofort die Hand vor den Mund, als die Köpfe beider Frauen fast verwundert zu ihm herumfuhren, als hätten sie seine Anwesenheit bereits vergessen. Er hätte die Ablenkung nutzen sollen, um einen Ausweg zu finden, sich an ihnen vorbei zur Tür schleichen und die Flucht ergreifen, irgendwas ...

„Der Fluch in mir will Euch töten", sagte Ndakasharwa und sah ihn an, und auch wenn ihre Gestalt ohne die Dornen deutlich weniger einschüchternd war, erzitterte er doch unter der Intensität ihres dunklen Blickes. „Der Fluch in mir will mich töten. Und danach wird er auf die Person übergehen, die seine Wut rechtmäßig erbt und die gleichzeitig die Macht hat, ihn ihrem Willen zu beugen und wird sie zerstören und für sich einnehmen, dass ihn nichts mehr davon abhält, sich über das ganze Land und weiter auszubreiten."

Sie trat einen Schritt auf ihn zu und Willehad konnte nicht zurückweichen, weil der Käfig mit dem Hölzernen Kapitän im Weg war.

„Ihr kümmert Euch um sie. Ihr müsst sie davor bewahren, was ihr Vater die ganze Zeit für sie angedacht hat."

Willehads Augen weiteten sich.

„Isidora!", flüsterte er. „Sie ist in Gefahr?"

Ndakasharwa nickte grimmig.

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt