61 - Verbunden

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Erst: nichts.

Dann ein leises Brennen, das in ihren Eingeweiden zieht. Schmerzen? Vielleicht sind es Schmerzen.

Die Stimme.

Wir kommen, Dornenprinzessin.

Sie fühlt sich, als würde sie ertrinken. Etwas nähert sich ihr, das ihr helfen wird. Bahnt sich seinen Weg glühend durch ihren Kopf, den dicken Sirup ihrer Gedanken und dem, was auch immer sie dort unten hält, wo sie ertrinkt.

Keiner wird es wagen, Euch anzurühren, wenn wir eins sind.

Wir haben deinen Ruf gehört, Dornenprinzessin.

Ein Gedanke: Nein. Der Gedanke wird lauter: Lasst mich in Frieden, lasst mich denken.

Dann denke, Dornenprinzessin. Befreie dich selbst. Wir warten.

Etwas hatte die Kontrolle über sie erlangt, zwang ihre Beine vorwärts, ihre Arme durch die Dunkelheit tastend in dem blinden Verlangen, jemandem wehzutun. Grüne Energie umfloss sie und schob sie weiter, ließ sie nach Chaos gieren. Da waren Stimmen und da waren Rufe, andere Menschen. Vorwärts, verletzen. Aber nein, nein.

Als Elwa klar wurde, dass ihr Bewusstsein nicht mehr ihr eigenes war, befand sie sich schon weit weg von dem Stall, wo die Verwünschung sie erfasst hatte. Die Erkenntnis zuckte in sie hinein und aus ihr heraus wie ein Pulsschlag, halb gesteuert von der fremden Energie, halb dagegen ankämpfend. Es wollte sie kämpfen lassen und erfüllte sie mit Kräften und Gelüsten, die ihr völlig fremd waren und noch war sie überwältigt und musste es zulassen, die ihr fremden Emotionen. Aber sie wehrte sich. Sie wollte niemanden verletzen, sie wollte nichts zerstören, sie wollte nicht mit voller Absicht einen Kampf suchen, sie wollte gut sein.

Sobald sie diesen Gedanken vollendet hatte, spürte sie ein scharfes Reißen in ihren Eingeweiden, als die Dornen innehielten, wo sie zu ihr hingekrochen waren, angezogen von einem Verlangen wie ihrem, das sich nach Elwa angefühlt hatte aber nicht ihrem eigenen Bewusstsein entstammte.

Die Dornen waren nah, aber sie waren noch nicht hier.

Die Eindrücke waren wie Gemälde, die sich vor Elwas Augen abwechselten. Sie sah Prinz Cristian und Dimontero zum Stall hin eilen, ohne ihr oder den anderen Frauen einen zweiten Blick zuzuwerfen. Sie sah Samir. Sie spürte Jesters Griff an ihrem Arm, als er sie fesselte und die Bitterkeit darüber, dass Samir nur zusah, gefolgt von Verständnis, weil er wahrscheinlich ... Sie lag auf dem Rücken eines fliegenden Pferdes, das sich jederzeit in die Lüfte erheben würde und sie spürte die Dornen mächtiger werden.

Beim letzten Mal hatte sie die Dornen gespürt als wären sie Auswüchse ihres eigenen Körpers, unvorstellbar weit reichende Arme, während es dieses Mal mehr ein Gefühl in ihr war, etwas das anwuchs wie ein Geschwür, auf ihre Eingeweide drückend. Doch je stärker die Dornen wurden, desto schwächer war die Macht der Verwünschung über sie. Prinz Cristian steckte dahinter, sie war sich sicher und Jester musste Samir den Vogel offenbart haben und deswegen war er hier mit dem Prinzen, ohne sich zu wehren, ohne etwas gegen die Ungerechtigkeit zu tun. Elwa spürte die Schmerzen der Stammesleute, die Angst und Wut und Aggressionen und sie spürte ihren eigenen Hunger, tief und dunkel, eins mit dem der Dornen.

Wir sind hier. Wir fangen dich auf.

Und zwischen den zwei Mächten, die sich um sie stritten, um ihr ganzes Wesen, wachte Elwa für einige kostbare Momente vollkommen auf und wusste, wie rasch sie von allem davongetragen wurde. Es hätte sie erleichtern sollen. Die Dornen brachen unter ihr am Boden auf wie in den Nestern, die sie unterwegs gesehen hatte und die Wut von Prinz Cristians Zauber laugte ihren Körper aus mit all ihrer Fremdheit, aber mit der Klarheit erinnerte sie sich auch an das, was bevorstand. An Jesters Drohungen, an Prinz Cristians Ruchlosigkeit, an den Ursprung der Dornen, den es zu finden und vernichten galt, anstatt sich dem Drachen gegenüber zu stellen. Wenn sie zuließ, dass sie mit den Männern davonritt, dann war sie weiterhin Jesters Forderungen ausgeliefert. Dann würde sie den Leuten im Dorf nicht helfen können zwischen Dornen und Verwünschung. Wenn sie richtig lag, dann ahnte Jester nicht, dass sie für genug winzige Fetzen die Kontrolle über sich selbst zurückerlangt hatte, dann konnte er nicht guten Gewissens Samir für ihre Taten bestrafen.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now