43 - Keine Wiederkehr

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Die dunklen Erkenntnisse, mit denen sie Isidoras Gemächer nach dem langen Ausflug verlassen hatten, wirkten sich rascher und drastischer aus, als sie es sich selbst in den übelsten Szenarien hätten ausmalen können.

Der König schickte die neue Zofe fast sofort, eine strenge, hochgewachsene Matrone mit rundem Gesicht und breitem Kreuz, die auf den ersten Blick vielleicht nett und nachsichtig aussah, aber ganz genau alles beobachtete, was vonstatten ging. Isidora konnten sie nur noch sehen, während sie das Mittagessen holte oder spät abends in ihrer kleinen Kammer in den Gemächern schnarchte und Willehad und Lorelei hatten es sich angewöhnt, lange Stunden in der Bibliothek zu verbringen, bis Felices oder Agnesias vorsichtiges Klopfen ihnen sagte, dass die Luft rein war.

Selbst wenn die Zofe aus dem Weg war, war da immer noch der König selbst, der Isidora jetzt fast täglich besuchen kam mit der Ausrede, nach Ndakasharwa zu sehen und das auch zu so unterschiedlichen Zeiten, dass Willehad schon auf dem Weg zur Bibliothek beide Augen offen halten musste, um ihm nicht aus Versehen in die Arme zu rennen. Einmal hatte er ihn tatsächlich getroffen und sich gerade so mit seinem Interesse an den Büchern herausreden können, auch wenn König Maddeo ihm auf seine klare, direkte Art mitgeteilt hatte, dass er seine Bücher nur von seinen Kammerdienern zu beordern hatte, um den Bibliothekar nicht in seiner Arbeit zu stören. Noch einmal konnte er also nicht riskieren, dort unten entdeckt zu werden.

Der andere Eingang war nicht viel besser, denn dafür mussten sie sich entweder durch das Waschzimmer oder die Küche schleichen, ohne dass jemand ihre Anwesenheit dort bemerkte oder gar in Frage stellte. Lorelei hatte die gestohlenen Dienstbotenuniformen herausgezogen, aber Willehad versuchte lieber, sich einfach so schlicht und neutral wie möglich zu kleiden, damit sich niemand, der ihn als Prinzen kannte, über den Aufzug wundern konnte.

„Dabei erkennt man dich wirklich nicht", murmelte Lorelei ihm einmal genervt zu. „So wie dich gibt es hunderte Männer hier! Wenn du die Brille abnimmst und diese Kleider anhast, dann schaut dich keiner zweimal an, ich verspreche es dir!"

Ihr Versprechen war nicht genug, leider, und Yusuf machte alles nicht viel besser. Er versuchte nicht mehr oft, sie zu Isidora zu begleiten und hatte es sich stattdessen zur Aufgabe gemacht, den König selbst im Blick zu halten, so schlecht die Idee Willehad auch erschien. Immerhin war er erfolgreicher als er und Lorelei – nach ein paar Tagen, die sie keinen weiteren Ausflug nach unten in die Tunnel zustande bekommen hatten, konnte er ihnen den Eingang zeigen, über den der König gewöhnlich einstieg und der nur von einer einzelnen Wache besetzt war und wusste sicher, dass Maddeo bevorzugt am späten Abend nach unten stieg, wenn die Gänge leerer waren und er niemandem auf dem Weg begegnen konnte. Bis jetzt hatte er ihn aber noch nicht dabei gesehen, wie er wieder etwas mit nach oben gebracht hätte, und umgekehrt genauso wenig; und ohne eine genauere Idee, wohin der König verschwand, half ihnen das nicht viel weiter.

Nach fünf Tagen, in denen Willehad überhaupt nur zwei kurze Male mit Isidora hatte sprechen können, wurde er ungeduldig.

„Ich mache mir Sorgen", sagte er zu Lorelei, die auf dem kalten Steinboden neben der Bank lag und gelangweilt durch einen schweren Folianten blätterte, ohne die Seiten mit mehr als einem kurzen Blick zu streifen. „Was, wenn der König ihr doch noch etwas angetan hat? Oder die Verbindung zwischen den Tunnelteilen kennt, oder ..."

„Sie dich vergisst, wenn sie dich nicht jeden Tag sieht?", fragte Lorelei grinsend.

„Du nimmst das nicht ernst genug", brummte er und ließ es bleiben. Es war Loreleis Art, sich mit nichtigen Kleinigkeiten von der wahren Dringlichkeit, den vielen Fragen und düsteren Geheimnissen abzulenken, deren Lösung ihnen gerade verwehrt war, aber es machte ihn nur gereizt, wenn sie wieder versuchte, ihm und Isidora eine wachsende Liebschaft anzudichten. Darum ging es hier nicht, dafür hatte er keinen Kopf – er hatte ja kaum an Elwa gedacht, seit sich das Tunnellabyrinth vor ihnen aufgetan hatte, selbst wenn die Erinnerung an ihre tiefen Augen noch immer sein Herz ein wenig schneller schlagen ließen. Allerdings lange nicht mehr so heftig wie noch zu Anfang, mehr wie das Echo seiner alten Gefühle.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now