24 - Die Last der Verantwortung

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Es war schwer geworden, nach einem langen Tag nicht sofort dankbar ins Bett zu fallen und zu schlafen, bis er vor dem Morgengrauen erneut geweckt wurde.

Damit, dass Prinz Cristian ihre Mitreise annahm, war es lange nicht getan gewesen – jetzt erwartete er sie jeden Morgen bei Sonnenaufgang unten auf dem Übungsplatz, wo sie und die anderen Mitstreiter ihre Fähigkeiten mehrere Stunden lang erprobten, bevor sie sich zusammensetzten und Strategien, Pläne und Karten durchgingen. Es war ihr Glück dabei, dass Lord Jester und General Thabohani beide ebenfalls nicht allzu sehr in Wissen über das Land und seine Herausforderungen bewandert waren, da sie den Großteil ihrer Zeit in Candalonien zu Hofe verbracht hatten. Thabohani beherrschte ohnehin nur bedingt das Abendländische, Jester hatte ihnen erklärt, dass er wohl trotz langjährigem Aufenthalt zu Hofe noch immer hoffte, in seine Heimat zurückkehren zu können. Ähnlich wie Jester zählte er darauf, dass Candalonien mit dem Sieg über den Drachen wieder genug Stärke zurück erlangen würde, um ihn dabei zu unterstützen.

Sehr gesprächig war er nicht und Samir hatte noch keine Gelegenheit gehabt, seine Mittagsländisch-Kenntnisse bei ihm zu nutzen. Wenn er nicht mit ihnen an seinen beachtlichen Kampfesfähigkeiten feilte, dann folgte er meistens dem König oder dem Prinzen wie ein schweigsamer, einschüchternder Schatten, seine Form der Schuldbegleichung. Erstaunlich viele Höflingen schien allein seine Anwesenheit schon unangenehm genug, um den König auf seinen täglichen Geschäften unbehelligt zu lassen, obwohl Samir inzwischen mehrere Mittagsländer unter ihnen entdeckt hatte.

Munhumbabwe im Nordwesten des Mittagslandes war ein enger Handelspartner von Candalonien gewesen, auch weil es mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte – Magie hatte das Königshaus gestürzt und alle Ordnung durcheinander gebracht. Thabohani und einige seiner Leute waren nach Candalonien geflohen und hatten dort Asyl gefunden, wenngleich sie nicht vorhatten, länger als nötig zu bleiben. Samir war gespannt darauf, mehr von dem General zu erfahren, da er selbst das Mittagsland nie besucht hatte, doch bei ihrem rigorosen Übungsplan blieb dazu wenig Zeit. Sie waren fokussiert auf Candalonien, die befestigten Städte der Hochebenen, in denen das Leben noch einigermaßen geregelt verlief und das Chaos an halb zerstörten, verbrannten, oder geplünderten Dörfern, ganze Landstriche, die vom Heer erst wieder unter Kontrolle gebracht werden mussten. Samir sagte nichts, wenn Prinz Cristian abschätzig über die Plünderer und Wegelagerer sprach, aber er und Elwa wechselten kurze Blicke die klar machten, dass sie dasselbe dachten: In Candalonien lief noch mehr falsch, als nur die Zerstörung, die der Drache verursachte. Es machte ihn fast versucht, doch noch auf Willehads Warnung zu hören. Allem den Rücken zuzukehren, einen anderen Weg zu finden. Was Candalonien brauchte war kein fremder Prinz, der es rettete.

Aber was der fremde Prinz brauchte, waren Antworten, und zwar schnell. Er hatte nicht wieder von Djadi geträumt, jeder Schlaf von ihm seit Beginn der Drills schwer und traumlos, aber jedes Mal wenn er den Vogel sah, musste er an die letzten Träume denken. 99 Jahre ... Er konnte nicht aufgeben, nicht jetzt.

Der Kammerdiener hatte ihm ein Bad eingelassen, und er ließ sich dankbar mit den staubigen Klamotten helfen, bevor er in das warme, nach Rosen duftende Wasser sank. Die purpurne Rose von Djadis Grab hatte er über das Bett gesteckt, zu besorgt darum, sie bei den täglichen Übungskämpfen zu beschädigen, aber der Vogel kam herein und setzte sich zwitschernd auf den Rand des Waschzubers. Rosenduft. Es war nicht wie in Ilreth, ganz bestimmt nicht, aber dass so ein raues Reich und ein so einschüchterndes Schloss genauso Gefallen an den Blumen gefunden hatte, schien ihm wie ein seltsamer Wink des Schicksals. Einer von wenigen Beweisen, dass er noch immer auf dem richtigen Weg war, egal wie sehr die Zweifel in seinen Begleitern und in ihm anstiegen. Er hatte Willehad seit dem Gespräch in der Bücherei nur flüchtig beim Essen gesehen, ohne auch nur genug Zeit, um mehr über die Bergstämme oder zusätzliche Informationen zu dem, was sie von Cristian erfuhren, auszutauschen. Lorelei sah er ebenfalls kaum noch, auch wenn das daran liegen mochte, dass Yusuf sich inzwischen nicht mehr in der Krankenstation festhalten ließ und ihn am Übungsplatz aufsuchte, wo er sich mit einer Grimasse gegen die Schlosswand lehnte, das Angebot von Schemeln und Truhen zum Hinsetzen ablehnte und Samir knappe Hinweise auf seine eingerostete Technik und Schwachpunkte gab, wie vor Jahren noch, als er und Sharif seine Lehrer in der Schwertkunst gewesen waren.

Dornen - Das Königreich in FlammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt