~10.2~

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Immer mehr durchgingen ihre Prüfungen und verkündeten den Rang des Verlierers. Mit jeder neuen Runde neigte sich der Tag, der Nacht zu. Um sechs Uhr zeigte das Hologramm in der Mitte der Arena gerade Nixon mit einem anderen Jungen, der immer der unscheinbare in unserem Kurs gewesen war, in einer Art Wüste kämpfen. Wenn ich mich nicht irrte, dann hieß er Jam. Nixon war aber wie auch im Training der weitaus unterlegene. Selbst ich hätte gegen Nixon gewinnen können und das mochte was heißen. Jam stach auf das Kyr ein letztes Mal ein und es fiel reglos zu Boden. Kyre waren besonders gefährlich, denn sie besaßen ähnlich wie eine Biene einen langen und dünnen Stachel. Wenn sie jemanden damit auch nur streiften, starb die Person innerhalb von Minuten. Da wir dunklen Neyfrem unsterblich waren erlitten wir ein weitaus schlimmeres Schicksal. Ein dunkler Neyfrem würde für immer und ewig in seinem eigenen Körper gefangen sein, ohne sich bewegen zu können. Es war wie ein Gefängnis für die Seele und ohne Ausweg. Ich war so von Jam gebannt gewesen, dass ich erst jetzt bemerkte, dass Nixon sich sein blutigen Arm hielt. Sein Gesicht wurde mit jeder Sekunde dunkler und dunkler, bis er schwarz angelaufen war. Mit einem dumpfen Schlag fiel er zu Boden und rührte sich nicht mehr. Es war jedes Mal eine Schande einen dunklen Neyfrem zu verlieren, da wir nicht besonders viele waren. In unseren Reihen gab es aber andererseits auch keinen Platz für Schwächlinge. Die Menge brüllte und applaudierte, als Jam in die Arena zurückkehrte. Die Arena war gefüllt von Siegesrufen, die eine lange Zeit nicht verstummten. Ich sah zur Tafel hinüber und wie es schien war Nixon der erste der heute ein so schreckliches Schicksal erlitten hatte und das obwohl fast alle schon dran gewesen waren. Aber wenn wunderte es? Attica war eine großartige Trainerin gewesen und sie verdiente das ganze Lob, welches sie heute bekommen würde. Es gab nun mal auch hoffnungslose Fälle, wie Nixon und mich.

Es kam der Zeitpunkt in dem Jam bestimmen sollte, welchen Rang Nixon einnehmen sollte. »Es ist Zwecklos ihm ein Rang zuzuweisen. Er ist gelähmt und zu nichts mehr zu gebrauchen. Wir sollten ihn irgendwo aussetzen.«, verkündete Jam erbarmungslos. Wieder brach die Menge in Beifall aus. Mehyl nickte, als Zeichen, dass er einverstanden war und Nixon wurde von zwei Soldaten weggetragen. Das grausamste Schicksal von allen. Bis in die Ewigkeit jede einzelne Sekunde zu leben und sich nicht bewegen können. Jeden Tag zu verhungern, weil man mitten im Nirgendwo ausgesetzt wurde. Aber Jam hatte weise gewählt. Solche Entscheidungen waren diejenigen, die einen das Respekt von anderen einbrachten. Ich hätte genau dieselbe Entscheidung getroffen. Keine Minute später wurden die nächsten Prüflinge aufgerufen und es ging weiter, als sei nichts passiert.

Es war bereits abends, als Hiyon und ich aufgerufen wurden. Wir waren soweit ich gesehen hatte die letzten. Selbstbewusst ging Hiyon in die Mitte der Arena und schaute entschlossen in die Menge. Um seine Macht zu demonstrieren lief er vor mir. Ich überging dieses Detail und ging ebenso selbstbewusst wie er hinter ihm her. Ich hatte mich schließlich doch für die Peitsche entschieden und Hiyon trug eine Katana bei sich. Belustigt musterte er meine Peitsche und grinste überlegen. Uns wurden die Regeln erneut aufgezählt und es wurde noch mal ausdrücklich hervorgehoben, dass wir unsere Fähigkeiten nicht mehr benutzten durften, ab dem Zeitpunkt an dem wir an dem neuen Ort waren. Uns würden jedoch keine Handschellen angelegt, die unsere Fähigkeiten unterdrücken sollten, da es unsere Entscheidung war diese zu benutzen. Dieselben Soldaten wie zuvor kamen auf uns zu und reichten uns die Hände, um uns zu unserem Prüfungsort zu bringen. Wir reichten ihnen die Hände und augenblicklich waren wir an einen anderen Ort teleportiert worden und die Soldaten waren verschwunden.

Wir standen mitten im Wald und Hiyon stand nur einige Meter von mir entfernt. Wie auf Absprache gingen wir nicht sofort aufeinander los, sondern sahen uns erst mal um, um andere mögliche Gefahren zu finden. Das es bereits dunkel war, machte es uns nicht gerade leichter irgendetwas deutliches auszumachen. Auch bei Tageslicht hätte er mich Haushoch besiegt, aber diese Dunkelheit machte alles nur noch schlimmer. Irgendeine Gefahr musste hier auf uns lauern, sonst wären wir hier nicht abgesetzt worden, aber ich konnte nichts sehen, was weiter als zehn Meter von mir entfernt war. Aber irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass ich schon einmal hier gewesen war. Ich wusste, dass wir westlich eines Flusses waren, welches Ebber hieß. Doch woher ich das wusste war mir ein Rätsel. Ich wusste es einfach. Wenn ich nicht Hiyons Blick plötzlich auf mir gespürt hätte, wäre mir noch bewusstgeworden, wieso dieser Ort mir so vertraut war.

Hiyon und mein Blick trafen sich und dieses Hiyon typische grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Keine Sorge. Ich erledige dich schnell.«, sagte er selbstsicher. Er deutete mir mit seiner Hand an, dass er mir den ersten Schritt gewährte. Ich war noch nicht bereit zuzuschlagen, denn ich wusste genau, dass das mein Untergang sein würde. Irgendwie musste ich ihn noch hinhalten. Wir umkreisten uns, wie Wölfe, die sich gegenseitig einschätzen. Aber er würde nicht lange untätig rumstehen. Er wusste genau wie er mich besiegen konnte. Das hier war für ihn reine Zeitverschwendung. Bestimmt wollte er das schnell hinter sich bringen, um zu zeigen wie weit überlegen er mir war und um seine Mama stolz zu machen. Was ein Muttersöhnchen. Irgendwie brachte mich dieser Gedanke zum Grinsen. Ich spürte, wie Hiyon durch meine Belustigung wütend wurde.

Genau wie ich erwartet hatte kam Hiyon schließlich ungeduldig wie er war auf mich zu. Da das einzige, was ich im Training gelernt hatte war mich vor seinen Schlägen zu ducken, tat ich genau das. Es war wie ein Reflex. Er schlug in die leere. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie die dunklen Neyfrem in der Arena gerade lachten und die, die auf mich gesetzt hatten ihre Wetteinsätze zurückzogen. Aber ich wollte nicht wie ein Feigling dastehen, der sich nur wegduckte und zurück zuckte vor seinen Schlägen.

Es fing an zu regnen. Innerhalb von Sekunden schüttete es, als würde die Welt untergehen. »Du kannst mir nicht für immer entgehen.«, sagte Hiyon zwischen zusammengepressten Zähnen. Ich ging einige Schritte zurück und ließ meine Peitsche peitschen. Wenn ich schon unterging, dann wenigstens mit Stil. Ohne sichtbare Mühe entging er meinen Peitschen hieb. Er kam wieder näher und zielte mit seiner Faust in mein Gesicht, einige Schläge gingen in die Leere, doch genau wie er vorhergesagt hatte, traf er schließlich mein Bauch. Ich keuchte, hielt mich jedoch aufrecht. Noch einmal konnte ich mich erfolgreich ducken, bevor er mir diesmal mit voller Kraft seine Faust ins Gesicht schlug. Kurz wurde mir schwarz vor Augen. Orientierungslos stolperte ich einige Schritte zurück und schaffte es noch auf beiden Beinen zu stehen. Diesmal holte ich weiter aus und zielte auf sein Gesicht. Zu spät sah er es kommen und die Spitze meiner Peitsche hinterließ eine lange Stramme auf seinem Gesicht. Es sah ziemlich übel aus. Von seinem Haaransatz, über sein Augenlied, bis hin zu seinem Ohrläppchen verlief eine blutige Linie. Das würde eine wuchtige Narbe hinterlassen. Seine Augen zeigten jetzt puren Hass. »Das wirst du bereuen Mayser. Damit hast du dein Schicksal besiegelt. Ich hatte mir überlegt dir einen niedrigen Rang zu geben, aber hiermit hast du es dir verbaut.«, sagte er hasserfüllt. »Ich werde dir den niedrigsten Rang von allen geben. Du darfst auf die Neyfrem aufpassen. Die Eltern und auf die Kinder, bevor sie dunkel sind.« Davon hatten wir viele. Die dunklen Neyfrem, die es nicht mehr mit ihren nicht dunklen Partner aushielten kamen mit der ganzen Familie zurück und gaben ihre Kinder in eine Betreuung, bis sie alt genug waren den nicht dunklen Elternteil zu töten. Dieser wurde im Kerker am Leben erhalten. Es galt als die abscheulichste aller Tätigkeiten unter den dunklen Neyfrem.

Er kam immer näher und schlug diesmal agressiver auf mich ein. Ich konnte viel mehr Schläge abwehren und sogar einige landen, als im Training, aber es reichte dennoch nicht. Er traf mich mit voller Wucht im Gesicht. Wieder und wieder, bis ich auf den matschigen Boden fiel. Ein Schatten beugte sich über mich und hob wieder die Faust. Doch diesmal ließ ihn etwas innehalten. Ein lautes Brüllen ertönte rechts neben uns. Hiyon richtete sich auf und hob seine noch unbenutzte Katana vom Boden auf. Benommen suchte ich nach meiner Peitsche, die ich während meines Sturzes verloren hatte. Schnell hob ich sie auf und richtete mich auf. Ein Brüllen ertönte in unserer Nähe. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt wusste ich, warum mir dieser Ort zu vertraut vorkam. Hier hatten Mehyl und ich unsere erste Prüfung gehabt. Wir waren geschickt worden, um ein Ivok zu töten. An den Höhlen hatten wir einen rausgelockt und schließlich hatte ich ihn umgebracht, weil Mehyl es nicht über sich gebracht hatte.

»Dein Bruder ist wohl nicht so gut auf dich zu sprechen. Es scheint, als hätte er diese Prüfung für mich maßgeschneidert.«, sagte Hiyon überglücklich. »Wie du sicher weißt war mein Vater der Anführer der Ivokbändiger. Und das eben war das Brüllen eines Ivoks.«

»Erzähl mir nicht dein Leben.«, erwiderte ich genervt. Um uns herum kamen immer mehr Ivoks zum Vorschein. Nachts war genau die Zeit, in der Ivoks sehr aktiv waren. »Wenn wir schon in Fetzten gerissen werden, dann will ich nicht auch noch durch deine Stimme gefoltert werden.«

Ein halbes duzend Ivoks umkreisten uns bald. 

Dark Neyfrem #2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt