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Vollkommene Dunkelheit umhüllte mich. Es war nicht, als sei ich weggetreten. Ich war wach und noch völlig bei Bewusstsein. Aber ich konnte nichts sehen. Es war als würden meine Augen mich verspotten wollen und sich von meinem Körper abgekapselt hätten. Panik stieg in mir auf. Ich fühlte mich in meinem eigenen Körper eingesperrt. Ein Gefängnis aus Fleisch und Kochen, umhüllt von einer Schicht Haut, die alles beisammenhielten. Erst wurde mir die Unendlichkeit der Dunkelheit bewusst.
War das etwa die Fähigkeit von Calebs Vater? Konnte er Leute die Sehkraft stehlen? Ich versuchte meine Arme zu heben. Wenn ich nur blind geworden war, konnte ich mich zumindest wehren und ihn besiegen. Mit all meiner Kraft hob ich meine Arme. Aber es ging nicht. Ich hatte keine Arme mehr. Also war mein Geist nicht mal in meinem Körper eingesperrt, sondern durch das Fehlen einer Hülle paralysiert. Es war als wären meine Synapsen in den Urlaub gefahren und hätten mich in einem funktionslosen Körper zurückgelassen. Mich zu bewegen war schier unmöglich. Ich konnte nicht einmal an mir hinuntersehen um mich zu versichern, dass ich kein Körper hatte.

Die Dunkelheit umarmte mich und neckte mich. Es war etwas Vertrautes in ihr, etwas Friedvolles. Wie in dem Schlaf. Wie in dem Tod.

Oh nein.

Auf einmal wurde mir bewusst wo ich war. Diese unendliche Dunkelheit und die Unfähigkeit mich zu bewegen. Ich war wieder gestorben. Diese vertraute Dunkelheit. Hier war ich schon einmal gewesen. Wie konnte ich wieder hier sein? Das war unmöglich!

»Wenn haben wir den da.« Diese Stimme würde ich überall wiedererkennen. Sie gehörte zu Charon. Genau wie beim letzten Mal sprach er ohne Worte zu benutzen. Seine Stimme klang alt und weise. Allein seine Gegenwart durchflutete meinen Geist mit Energie. Kein Wunder, dass ich mich nicht bewegen konnte. Hier war ich körperlos. Nur meine Seele war hier. Nur durch sie konnte ich mich bewegen. »Das Neyfrem Mädchen, dass mir durch die Finger ging.« Ein tiefes beben ging durch meinen Geist. Hatte er da gerade gelacht? Fühlte es sich etwa so an, wenn ein uraltes Wesen belustigt war?

»Du sagtest selbst, dass meine Zeit nicht gekommen war.«, erwiderte ich vorsichtig. Es fiel mir schwer zu sprechen. War es nicht gewohnt ohne einen Mund Wörter zu bilden.

Die Kreatur kam näher. So nah. Es fühlte sich an, als würde es mich streifen. »Wir hatten ein Deal, Mädchen.« Ich spürte seine Präsenz sehr deutlich. Vor allem, als er sich vorlehnte und meinen Geist berührte. »Du hast dich verändert. Du hast mehr Macht. Naja zumindest im Verhältnis der sterblichen. Nicht in meinem Verhältnis.«

»Wie kann es sein das ich hier bin?«, fragte ich ihn. Irgendwie musste ich wie beim letzten Mal Zeit schinden. Vielleicht gelang es mir wieder einen Weg hier raus zu finden.

»Du hast keine Angst vor mir.«, überging er meine Frage. »Gestern auf dem Fest hattest du auch keine. Du wolltest nach mir greifen. Niemand hat das jemals versucht. Furcht ist was ich verbreite.«

Es stimmte also, dass es eine Feier für Charon gewesen war. »Furcht ist was für die schwachen.«

»Entweder du bist sehr mutig oder sehr dämlich.«, erwiderte er bedrohlich. »Keine Angst vor mir zu haben, könnte ein fataler Fehler sein.«

»Es bringt nichts Angst vor etwas zu haben. Angst paralysiert nur, hindert einem am Gewinnen.«, erklärte ich. »Ansonsten wird geschehen, was geschehen muss. Ohne Angst hat man bessere Chancen.«

»Das Stimmt. Aber nicht jeden paralysiert die Angst. Adrenalin kann auch ein Werkzeug sein.«, flüsterte er. »Oder soll ich dir die Geschichte eines Neyfrem Mädchens erzählen, welches nach einer Begegnung mit mir ihr Leben behielt. Sie hatte Angst und war mir ausgeliefert. Doch als sich ihr die Chance bot mir zu entkommen war sie nicht paralysiert.«

Dark Neyfrem #2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt