~31.1~

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Ivys POV

»Was habe ich getan?«, fragte ich und strich meinen Arm über meinen blutigen Mund.

»Du hast ihn getötet. Das passiert meist bei der ersten Verwandlung. Wenn man die animalische Seite noch nicht im Griff hat.«, erklärte die Göttin, als würde ich eine Antwort darauf wollen.

»Nein. Du warst das. Du hast es mir befohlen! Bring ihn zurück.«, forderte ich und trat wütend auf sie zu. »Du bist doch eine Göttin.« Ich schrie sie schon an. So wütend war ich, dass sie mich dazu gebracht hatte mich zu verwandeln.

»Das kann ich nicht. Meine Macht reicht nur für das Heilmittel.«, erklärte sie. »Mir sind die Hände gebunden.«

»Du wirst ihn jetzt zurückbringen. Sonst werde ich dich töten.« Sie sah mich mitleidig an.

»Du kannst mich nicht töten und ich kann ihn nicht zurückbringen.«, widerholte sie.

»Dann werde ich ihn zurückbringen. Charon wird ihn nicht einfach so....«, begann ich, bevor ich den Blick der Göttin erhaschte und abbrach. »Was ist?«

»Was ist dein Ziel?«, fragte sie und lachte glücklich. Diese Frage und ihr Lachen machte mich so wütend. Sah man das nicht?

»Luc zurückzuholen.«, gab ich zwischen zusammen gepressten Zähnen zurück.

Die Göttin kam einen Schritt auf mich zu und streckte ihre Hand nach mir aus. Reflexartig zuckte ich zurück. Sie trat einen weiteren Schritt auf mich zu und nickte mir beruhigend zu. Diesmal ließ ich es zu. Sie hob ihre Hand an meine Wange und strich, sanft drüber. Als sie ihre Hand zurückzog, hielt sie mit dem Daumen nach oben vor meinem Gesicht inne. Sodas ich den Tropfen sehen konnte, welcher auf ihrem Daumen ruhte.

»Wie kann...« Ich verstummte bevor ich meinen Satz beendet hatte. Als hätte diese Erkenntnis eine Mauer zum Einsturz gebracht, wurde ich mit so vielen Emotionen auf einmal überschwemmt. Es war ein seltsames Gefühl. Wie konnte ich wieder Dinge empfinden. Es war als hätte ein Teil von mir all diese Monate gefehlt. Wie eine Welle bauten sich meine Gefühle auf und drohten über mir einzubrechen und mich in die tiefen des Ozeans zu reißen.

»Nein!«, schrie ich.

»Das ist etwas Gutes.«, widersprach die Göttin.

»Ja. Es ist etwas Gutes. Aber nicht jetzt. Diese Emotionen dürfen mich jetzt nicht überkommen. Das muss warten. Erst muss ich Luc zurückbringen.«, bestand ich weiter.

»Charon wird dir seine Seele nicht geben. Wenn du ihn kennst, dann weißt du, dass es unmöglich ist. Eine Sache ist es, es allein mit Charon aufzunehmen und eine andere, jemanden dabei zu beschützen und diese Seele zurück zu bringen.«

Sie hatte recht. Charon zu entkommen war mir beim ersten Mal um Haaresbreiten gelungen und jemanden dabei mitzunehmen wäre unmöglich gewesen. Allerdings war er bei meinem letzten Besuch viel netter zu mit gewesen und hatte mich sogar mit Nalhyka reden lassen. Das gab meinem Herz ein Stich. Was hatte ich nur all diese Zeit gemacht. Ich war auf der Seite desjenigen gewesen, der meine Freundin Nalhyka auf dem Gewissen hatte. Wie hatte ich nur all diese Zeit mit dieser Gleichgültigkeit leben können? Wie hatte ich nur zugelassen, dass aus mir dieses Monster wurde. Ich spürte das Gewicht meines Dolches in meinem Hosenbund. All diese Seelen, welche ich genommen hatte. Ich würde niemals mit dieser Last leben können.

Energisch schüttelte ich den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit. Etwas musste mir einfallen, um Luc zurückzubringen.

»Wie konnte ich ihn töten?«, fragte ich die Göttin, obwohl ich mir vorgenommen hatte mich nicht von meinen Emotionen überkommen zu lassen. Es war zu spät. Die Schwerkraft zog mich zu sich. Ich setzte mich auf den Boden und alles brach über mich ein. Ich hatte Luc getötet. Denjenigen, der mich hier auf Gaia ausgebildet hatte und noch zu mir gestanden hatte, als ich ein dunkler Neyfrem geworden war. Er hatte an das Gute in mir geglaubt und so hatte ich es ihm bezahlt. Jetzt lag er hier zerfetzt vor mir und ich würde ihm niemals sagen können, was ich ihm schon vor meiner Verwandlung hatte sagen wollen. Niemals würde er mich wieder ansehen, mit diesem ansteckenden Lachen einen Witz erzählen oder mich aufziehen.

Das war genug. Es brachte nichts hier zu sitzen und sich die Augen auszuweinen, dachte mein Kopf. Doch mein Körper sah es anders. Ich konnte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle haben. Mein schluchzend wurde lauter und umso mehr ich es beenden wollte, umso weniger ging es.

Ich tastete nach meinem Messer in meinem Hosenbund. Jetzt brauchte Luc nicht die verweichlichte Ivy. Er brauchte den dunklen Neyfrem. Der alles darauf setzte ihn zurück zu den Lebenden zu holen. Endlich bekam ich mein Messer zu fassen. Den Dolch sollte ich hierfür nicht verwenden, sonst würde ich nur in ihm gefangen bleiben. Ich musste zu Charon. Er würde mir Lucs Seele geben. Dafür würde ich schon sorgen. Mit einem Ruck zog ich mein Messer aus meinem Hosenbund.

»Was tust du da?«, fragte mich die Göttin verwirrt.

»Ich werde meine Taten wieder gut machen.«, antwortete ich ihr.

»Warte.«, sagte sie diesmal energischer.

»Nein. Es gibt keine andere Möglichkeit. Ich werde mir da unten etwas einfallen lassen. Aber jetzt muss ich mich beeilen, bevor Lucs Seele fort ist.«, versuchte ich ihr zu erklären.

»Ich will dich nicht aufhalten. Aber es gibt einen anderen Weg.«, bot sie an.

»Welchen?«, fragte ich vorsichtig. Es konntes nichts Gutes heißen, wenn eine Göttin einen anderen Weg vorschlug. Aber alles war wohl besser, als sich selbst zu Charon zu bringen.

»Du bist ein liebender dunkler Neyfrem und du hast dich als würdig bewiesen. Das wofür du gekommen bist gehört dir.«, sagte sie glücklich.

»Was soll mir das bringen. Luc hat nichts davon. Es ist ein Heilmittel für dunkle Neyfrem. Oder nicht?«, fragte ich sie verwirrt. Ihre strahlenden Augen bohrten sich durch meine. Sie schüttelte ihren Kopf.

»So haben es die dunklen Neyfrem verstanden. Es kann ein Heilmittel für ihren Fluch sein, ja. Aber das was ich bewahre ist etwas anderes. Damit kann man jeden Fluch brechen. Alles was das Herz begehrt gehört dir.« Sie sah mich aufmunternd an und nickte mir zu.

»Wie ein Wunsch?«, hackte ich dümmlich nach.

»Mein Fluch ist meine Macht für denjenigen aufzuheben der sich als würdig erweist. Danach bin ich frei. Wünsch dir was. Es darf natürlich auch etwas anderes sein.«, erklärte sie.

Es war ein versucht wert. Ich gab mir ein paar Minuten, um zu überlegen, wie ich es am besten formulierte, bevor ich sagte. »Ich wünschte Luc wäre unsterblich und würde am Leben sein.«

Die Göttin lachte. »Das ist ein guter Wunsch.«, stimmte sie zu und nickte. Das glühen, welches sie die ganze Zeit begleitet hatte, entwich ihrem Körper und schwebte auf Luc zu. Erst strich es über seinen leblosen Körper, bis es schließlich von Lucs Körper aufgesaugt wurde. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, in der nichts geschah.

Luc schreckte auf und rang nach Luft. Wie ein ertrinkender. Ich rannte auf ihn zu und warf mich ihm um den Hals. »Du lebst.« Ich brachte nur ein Hauch zustande. Sein Herz hämmerte gegen meine Brust. Sein Atem war schwer. Er umklammerte mich, als sei ich seine Rettungsleine.

»Alles ist gut.«, sagte er beruhigend und strich mir über die Haare.

»Ich habe dich getötet und dann war da so viel Blut.« Wieder begann ich zu weinen.

»Aber ich bin noch am Leben. Es macht nichts. Das warst nicht du. Ich weiß das.«, beruhigte er mich weiter. Doch das brachte mich nur noch mehr zum Weinen. »Wie hast du mich zurückgeholt?«

»Das Heil...mittel.«, schluchzte ich. »War... ein Wunsch.« Er sah mich eindringlich an. Erst dachte ich er würde etwas sagen, doch er brach in Gelächter aus. Was war so witzig? Ich atmete tief durch und brachte mein Weinen zu erliegen.

»Ich musste also erst sterben, damit du wieder zu Sinnen kommst?« Er zog mich zu sich und küsste mich auf die Stirn.

»Du warst tot, Luc. Das ist nicht lustig. Ich habe dich einfach zerfetzt. Wie kannst du Lachen?«, fragte ich ihn ernst.

»Wenn das nötig war. Dann ist es mir recht.« Er blickte an sich runter und tastete an seinem zerrissenen T-Shirt entlang. »Es scheint alles verheilt zu sein.« Ich folgte seinem Blick und tatsächlich war von meinem brutalen Angriff nichts mehr, außer sein zerfetztes T-Shirt zu sehen.

»Ich unterbreche euch ungern. Aber es wird Zeit für mich zu gehen. Danke, dass ihr meinen Fluch gebrochen habt.«, bedankte sie sich. Dabei war ich diejenige die zu danken hatte.

»Danke, dass du Luc wiederbelebt hast und meinen Fluch gebrochen hast.«, sagte ich von ganzen Herzen. Sie nickte und schenkte uns ein letztes lächeln, bevor sie verschwand.

Dark Neyfrem #2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt