~19.2

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Freyas POV  

Wieder schrie der Anführer, doch diesmal brach seine Stimme und damit auch etwas in ihm. Sein Widerstand löste sich in Luft auf. Er begann Ivy leise etwas zuzuflüstern. Sie lauschte ruhig seinen Worten.

Als er fertig gesprochen hatte, erschien ein Lächeln auf Ivys Lippen und sie trat zufrieden einen Schritt zurück. Erleichtert atmete ich aus. Sie würde ihn nicht töten. Er hatte ihr etwas Wichtiges verraten. Der Anführer hatte ihr seinen Wert bewiesen.

Mit einer schnellen Bewegung, der ich nicht mit meinen Augen folgen konnte, schlitzte sie ihm die Kehle auf. Fast hätte ich aufgeschrien. Ich wollte wegschauen. Meine Augen von dem Anführer abwenden -der auf dem Boden lag und röchelnd nach Atmen rang-, doch ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Sein Anblick hielt mich gefangen.
Er griff sich mit den Händen an den Hals und versuchte so das Blut am Auslaufen zu hindern, doch ohne Erfolg. Die Augen des Diebs bohrten sich panisch in meine und schienen mich anzuflehen ihm zu helfen, bis jegliches Leben aus ihnen herausgesickert war.
Panick stieg in mir auf. Wie hatte Ivy das nur tun können, wenn ich mich schon so elend fühlte? Und das nur von zusehen. Es war als hätte ich den Dolch geführt. Bittere Galle kam in mir hoch. Neben dran zu stehen und keinen Finger zu rühren, um einen Mann vor dem Tod zu retten, so etwas konnte nur ein Monster ertragen. Ivy hatte mich zur Mittäterin gemacht. Sie hatte nicht nur sich selbst, sondern uns allen zu Monstern geformt.
Wir hatten alle kein Wiederstand geleistet und das alles zugelassen. Zusammen hätten wir sie aufhalten können. Wir hätten es gegen sie aufnehmen können. Doch jetzt war es zu spät. Jeder war Tod.
Wir hatten nur unsere eigenen Probleme im Kopf gehabt. Die Konsequenzen, die es für uns gehabt hätte, wenn wir uns gegen sie aufgelehnt hätten.

Caleb lag falsch. Ivy würde nicht unsere Rettung sein. Sie war unser Untergang. Selbst jetzt konnte man beobachten, wie sie langsam in unsere Köpfe kroch und unsere Gedanken vergiftete.
Hätte mir vor einem Jahr jemand gesagt, dass ich untätig dastehen würde, während ein Mann neben mir ermordet wurde, hätte ich dem niemals Glauben geschenkt. Doch genau das war eingetroffen.

Attica und Ivy traten zu uns. Sie wechselten einige Blicke, die ich nicht deuten konnte. Es schien, als würden sie telepathisch miteinander reden. Etwas stieß in mir auf und ließ mich vor Hass keuchen. Sie taten so, als wäre nichts geschehen. Als hätten sie nicht eine Gruppe von Neyfrem getötet. Sie verhielten sich, als sei das für sie eine übliche Nachmittags Beschäftigung. Unsere Angreifer mochten Diebe gewesen sein, aber das rechtfertigte nicht Ivys Taten.

»Was seid ihr das magische Duo?«, fragte ich wutgebannt. Ich wusste selbst, dass meine Worte kindisch klangen. Wenn ich die Fassung verlor, warf ich oft mit Sätzen um mich, die kein Sinn ergaben.

»Ich glaube sie sind ineinander verliebt.«, warf Caleb ein, als wüsste er was ich meinte. Das hatte ich allerdings nicht gemeint. »Attica war heute in Ivys Bett.« Ivy verdrehte nur genervt die Augen. Attica hingegen brach in lautes Gelächter aus. Luc sah schockiert zwischen Ivy und Attica hin und her. Armer Kerl. Seine Chancen standen nicht gut, Ivy für sich zu gewinnen.

»Schatz. Ich glaub es ist zu spät, um es geheim zu halten.«, erwiderte Attica und presste Ivy ihre Lippen auf den Mund.

»Attica, lass den Scheiß.«, warnte Ivy bedrohlich und schob sie von sich. Sie wandte sich an uns. »Der Dieb wusste, wo sich in diesen Wäldern eine Gruppe Wölfen befinden.«, lenkte sie von Thema ab.

»Warum suchen wir nach Wölfen?«, hackte Luc nach. Wir wussten alle genauso wenig wie er.

»Meine Cousins sind welche und es wird Zeit für ein Familientreffen. Wir brechen morgen früh auf.«, befahl Ivy und warf Attica einen letzten warnenden Blick zu. »Sobald die Sonne aufgegangen ist.«

»Spinnst du? Die Wolfbestien sind wortwörtlich Bestien!«, beharrte Luc weiter und schien nicht locker lassen zu wollen. »Auch wenn sie mit dir verwandt sind, solltest du dich nicht mit ihnen anlegen.«

»Wie gesagt. Du musst nicht hier sein. Wenn du Angst hast kannst du gehen.«, entgegnete sie kalt.

Luc wandte sich -ohne ihr zu Antworten- ab und begann sein Schlafplatz einzurichten. Zach, Caleb und ich taten es ihm gleich. Caleb nahm einen Schlafsack aus seinem Rucksack und ging auf Rrru zu. Bevor ich ihn aufhalten konnte, rollte er sich neben ihn ein.

»Caleb?«, versuchte ich so ruhig wie möglich, telepathisch mit ihm zu reden. »Willst du nicht bei uns schlafen?«

»Nein. Dann ist Rrru ja ganz allein.«, zeigte er empört auf und schüttelte energisch den Kopf.

»Ich glaube Rrru hat nichts dagegen.«, versuchte ich es weiter.

»Ich bleibe hier.«, entgegnete er und rollte sich zur Seite und beendete damit unser Gespräch.

Es blieb nichts mehr zu sagen. Caleb war viel zu dickköpfig. Er würde sich nicht von Rrru fernhalten, egal wie oft wir es ihm sagten. Deshalb mochte ihn Ivy wohl so sehr. Er war furchtloser, als wir alle zusammen. Ob es wirklich Mut oder kindliche Naivität war, wusste ich allerdings nicht.

Als Zach und ich unser Lager für die Nacht fertig hergerichtet hatten, gingen auch wir schlafen. Ich hatte erwartet, dass ich sofort einschlafen würde, nachdem anstrengenden Tag, doch dem war nicht so. Zach wälzte sich auch hin und her und schien nicht zur Ruhe zu kommen.

»Freya?«, flüsterte er. »Kannst du auch nicht schlafen?«

»Nein.«, erwiderte ich.

»Wir müssen etwas tun.«, zeigte er das offensichtliche auf. »Wollen wir wirklich zulassen, dass die dunklen Neyfrem gewinnen?«

Ich drehte mich zu ihm um und sah in diese Augen, die eigentlich nicht ihm gehören sollten. Dennoch war Zachs vertrauter Blick in ihnen gefangen. »Wenn du einen Plan hast, dann raus damit.«

»Ohne dich können sie nichts tun.«, erwiderte er. »Wenn wir fliehen...«

»...töten sie alle Zoyats auf der Erde.«, beendete ich seinen Satz. »Willst du das deine Familie und Freunde sterben?«

»Natürlich nicht. Aber was willst du tun? Ihnen helfen und dann zurück zur Erde gehen und so tun, als wäre das alles nicht passiert?«, flüsterte er aufgebracht. »Könntest du wirklich mit dem Wissen leben, dass hier Leute sterben wegen uns?«

»Wenn ich das muss ja. Das sind die Entscheidungen, die eine Anführerin treffen muss.«, erwiderte ich und versuchte entschlossen zu klingen. »Wenn ich mich zwischen meinem Volk und ihrem Volk entscheiden muss, werde ich mich immer für unser Volk entscheiden. Und du solltest dasselbe tun. Nur weil du jetzt in diesem Körper steckst, heißt es nicht, dass du zu ihnen gehörst.«

»Aber wer sagt dir, dass wir nicht die nächsten sind, die sie holen?«, fragte Zach.

»Ich werde das sicherstellen. Blutschwüre dürfen nicht gebrochen werden. Jeder dunkle Neyfrem wird ihn auf seine Blutlinie schwören müssen, damit ich ihnen helfe.« Zach sah mich undurchdringlich an. Ich wusste, dass ich ihn überzeugt hatte, obwohl ihm mein Plan genauso wenig gefiel wie mir. Aber das war der einzige Weg.

Ich warf einen Blick zu Caleb, der immer noch unversehrt neben dem schlafenden Rrru eingerollt war.

»Ich habe dich vermisst. Nie wieder lasse ich zu, dass sie dir etwas antun.«, sagte Zach.

»Sie haben mir nichts angetan. Lyhem braucht mich.«, erwiderte ich.

»Du lässt es so klingen, als wäre es etwas Gutes. Er ist ein Monster. Wegen ihm habe ich unverzeihliche Dinge getan.« Zach spuckte die Worte angewidert aus.

Wir schwiegen. Es verging einige Zeit, bis Zach einschlief. Als alle eingeschlafen waren schlich sich Luc weg. Einen Moment kam ich in Versuchung ihn zu folgen, ließ es jedoch bleiben. Das würde nicht nur mich, sondern mein ganzes Volk in Gefahr bringen. Ivy beobachtete mich nicht einmal, weil sie wusste, dass ich es nicht versuchen würde. Sie kannte mich. Wusste, dass ich meine Leute nicht im Sticht lassen würde. Mit einem letzten Blick auf Caleb schlief auch ich schließlich ein.

***

Mal ein kürzeres Kapitel. Hatte über die Feiertage keine Zeit zu schreiben. Ich werde versuchen die Tage noch ein Kapitel hochzuladen. Hoffe ihr hattet schöne Feriertage und -einige glückliche von euch vielleich sogar- Ferien :)

Dark Neyfrem #2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt