Kapitel 18.2

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Ich hörte Torbens wilden Schrei, wie er mit geballten Fäusten gegen die geschlossene und vermutlich doppelt verglaste Vitrine hämmerte. Doch all das brachte die Vitrine nicht zum Fall.

"Manchmal ist es besser den Kopf zu benutzen, Torben."

Ich erschrak, als hinter mir Delian auftauchte. Seine Blutergüsse und Wunden des letzten Kampfes, waren kaum noch zu sehen. Nevia hatte ihn also bestens versorgt. Er schlenderte an mir vorbei und nahm die Vitrine etwas genauer in Augenschein, während er wieder sein Wort an Torben richtete: 

"Wenn er einen Zettel dagelassen hat, dann will er auch unbedingt, dass ihr sie öffnet. Ah ja, da haben wir es ja."

Delian streifte sich seine blonden Strähnen aus dem Gesicht, bevor er seinen Zeigefinger in eine kleine Öffnung steckte, um die frontale Glastür schließlich zu öffnen. 

"Voila."

Schmunzelnd ging er zu Torben hinüber, der mittlerweile aufgehört hatte, wie ein wildes Tier die Vitrine zu bearbeiten. Delian klopfte ihm leicht auf die Schulter. 

"Mach dir nichts draus. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Ich habe eben Köpfchen und du ... deine Fäuste."

Torben knurrte, und wollte Delian hinterherjagen, als ich mich schließlich vor ihn stellte und einen symbolischen Riegel davorschob. Trotzdem drehte ich mich noch einmal zu Delian, der immer noch grinsend dastand, wartend darauf, dass Torben angriff. 

"Hast du denn kein Mitgefühl? Torben hat vor wenigen Momenten erst seinen besten Freund und du deinen Anführer verloren! Jetzt finden wir verlorene Flügel und dir fällt nichts Besseres ein, als einen Streit anzuzetteln? Wie würdest du dich fühlen, wenn du wüsstest, es wären Nevias Flügel in der Vitrine?"

Es schmerzte so sehr in meinem Herzen, als ich Delian diesen Vergleich darlegte, und ich genau wusste, dass nicht  ich es war, die Torbens Herz erobert hatte. Doch meine Worte hatten auch Delian etwas berührt, zumindest sah ich ihm an, dass er darüber kurz nachdachte. Also redete ich weiter mit meinem energischen Unterton auf ihn ein:

"Auch wenn es dir im Moment richtig gut geht, weil du endlich mit Nevia zusammen bist, so gibt es andere, denen diese Situationen sehr nahe geht und das sollte man respektieren."

Delian schaute mich mit seinen großen, goldfarbenen Augen an. Ich hatte den Eindruck, als wüsste er nicht, was er darauf antworten sollte. Als er schließlich strahlend in die Hände klatschte, wusste ich, es hatte nicht wirklich viel gebracht.

"Wow! Hast du dir schon einmal überlegt damit zur Kirche zu gehen? Du wärst mit Sicherheit eine tolle Pfarrerin."

Verständnislos schüttelte ich den Kopf. 

"Du bist und bleibst ein Arsch. Los verschwinde."

"Ich mein ja nur ..."

"RAUS!"

Jetzt war ich diejenige, dessen Geduld am Ende war. Unsanft schob ich Delian zum kleinen Ausgang, bis er schließlich eigenständig seinen Gang fortsetzte.

"Schon gut, schon gut, ich geh ja schon. Überleg es dir aber bitte nochmal Sherin. Du wärst die perfekte Pfarrerin", hallten mir seine Worte hinterher, als ich ihm in Gedanken hinterher sah und mich fragte, ob er überhaupt irgendetwas davon verstanden hatte, was ich ihm versucht hatte zu erklären.

Eine Hand landete auf meiner Schulter und strich sanft über meine nackte Haut. 

"Danke, meine Kleine."

Diese raue unglaubliche Stimme und der würzige Duft, der schwer in der Luft hing, ließen meine Beine beinahe schwach werden. Noch immer stand ich mit dem Rücken zu ihm gewandt und traute mich kaum, mich umzudrehen. Er kam mir jedoch zuvor. Seine starke Hand drehte mich zu ihm, doch noch immer sah ich ihm nicht in die Augen. Ich hatte Angst davor, mein inneres Gefühlschaos würde meine körperliche Motorik stören, denn dann würde ich definitiv den Halt am Boden verlieren. Als er schließlich seine Hände unter mein Kinn schob, und meinen Kopf soweit nach oben drückte, bis meine Augen Seine trafen, blieb mir nichts anderes übrig, als dahin zu schmelzen. In seine stahlgrauen, glänzenden Augen, die mich freundlich, dankbar und gleichzeitig ... voller Verlangen ansahen? Oder interpretierte ich etwa zu viel hinein?

"So etwas hätte ich dir gar nicht zugetraut."

Sein blond, braun gesträhntes Haar fiel ihm wild über die Schultern. Ich musterte ihn kurz und nicht zum ersten Mal fiel mir auf, wie sexy er eigentlich war. Sein braungebrannter, muskulöser Oberkörper, andem sich beinahe jede einzelne Muskelpartie abzeichnete, brachten mich wieder einmal vollkommen aus dem Konzept. 

"Ich auch nicht", kam es trocken aus meinem Mund. Ein amüsiertes Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab, dann wuschelte er mir wieder einmal über den Kopf und ging zur Vitrine hinüber.

Na toll!

Jetzt war die berauschende Atmosphäre wieder futsch. Dass er mir auch immer, wie ein blöder Köter, über den Kopf fahren musste. Manchmal kam es mir so vor, er würde es extra tun. Aber wieso?

Natürlich. So kann er sich perfekt aus der brenzligen Lage befreien.

Stillschweigend sah ich ihm nach und realisierte erst jetzt wieder, dass ich mit ihm nicht allein war. Sole, Levente und nun auch Artis, der am Eingang lehnte und das Ganze misstrauisch verfolgte. Vorsichtig öffnete Sole die erste Vitrine und sofort darauf kam uns ein modriger Gestank entgegen. Ich hatte bereits eine vage Vermutung, dass der Gestank vermutlich das tote, abgefallene Fleisch an den Engelsflügeln sein musste. Ich versuchte den Geruch weitestgehend nicht zu beachten, als ich mich der Vitrine näherte. Dieses Arschloch hatte die Flügel tatsächlich im Originalzustand zusammengeflickt aufgebahrt und beleuchtet. So unschuldig erstrahlte das Weiß im Glanz der Scheinwerfer. Es war eine wundervolle Federpracht. Der Gedanke daran, wie sie der Person genommen wurde, ließ mich erschaudern. Ich traute mich gar nicht ein Stück näher zu treten.

Sole untersuchte den Kasten, während Torben sich ihr näherte. 

"Schon eine Ahnung, wem die Flügel gehörten?", erkundigte sich Torben vorsichtig und ich wusste bereits jetzt, was mir bevorstand.

"Noch nicht."

"Ich wüsste, wie sich das ändern lässt", entgegnete Torben und blickte über seine Schulter zu mir hinüber.

Ich hatte bisher immer nur Federn von lebenden Engeln in den Händen gehalten. Ich wusste nicht, welche Auswirkung die Feder eines Toten auf mich haben würde. Auch Levente inspizierte mich mit einem scharfen Blick, mit seinen eisblauen Augen, und ich konnte eindeutig an seiner Geste erkennen, dass ihm Torbens Vorschlag missfiel. 

"Habe ich da etwas nicht mitbekommen?"

Sole schien ziemlich irritiert. Scheinbar wusste sie als Einzige nichts von meiner Fähigkeit mit den Federn. Wie wohl auch? Ich rannte bestimmt nicht umher und erzählte Jedem über meine Gabe. Für mich war es eher ein Fluch, als dass ich darauf stolz sein konnte. Schwerfällig bewegte ich mich zur Vitrine hinüber. Wieso ich damals Torbens Feder in der Hand gehalten hatte, und eine Erinnerung von mir wahrgenommen hatte, war mir schleierhaft.

Vielleicht lassen mich die Federn genau das sehen, was ich möchte oder was ich mir wünsche zu sehen, kam mir die plötzliche Erkenntnis. Möglich wäre es.

Trotzdem war es keine wirkliche Erleichterung für mich. Es machte meinen Gang zur Vitrine nur noch schwerfälliger. Sole zupfte eine perlweiße Feder von dem Gestell und reichte sie mir. Kaum berührten meine Fingerspitzen die reine Feder, stellten sich meine Nackenhaare zu Berge. Es war nicht das, was ich sah, sondern das Gefühl nahm vorerst meine gesamte Aufmerksamkeit in Besitz. Dieser unvorstellbar schreckliche Schmerz an meinem Rücken, ließ mich zu Boden sinken und lauthals losschreien.

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Hier das letzte Kapitel für das Jahr 2021. Ich hoffe, ihr seid im nächsten Jahr wieder mit dabei, wenn es weiter geht ; ) 

BLACK FEATHER (Wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt