Erinnerungen

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Er konnte nicht fassen, dass sie sich tatsächlich hinunter in die Menschenmasse begab, während er spürte, dass die Kopponen nicht mehr weit entfernt zu sein schienen. Für ihn war es unbegreiflich, dass man sich auf einen solch absonderlichen Rhythmus bewegen konnte.

Doch diese Meute tat es, und nun auch Sherin. Obwohl sie in der Menge beinah in ihrem kunterbunten Kleidungsoutfit unterzugehen schien, nahm er sie klar und deutlich wahr. Wie sie sich im Takt der Musik bewegte, verfolgte er für seinen Geschmack etwas zu intensiv. Ihr Körper schien sich wie von selbst zu kreisen, und brachte somit ihre Kurven umso mehr zur Geltung.

Sein Mund wurde trocken und er fuhr sich etwas verstört über das Gesicht. Ein solches Tanzspiel hatten bisher nur die Frauen vor ihm aufgeführt, bevor es zum Akt der vor Überwältigung überkommenden Begierde kam. Diesen Ritt vermisste er, und genau das war es nun, was Sherin in ihm auslöste.

Er wandte dem Geschehen den Rücken zu, doch konnte er nicht verhindern, dass ihn die Bilder der Vergangenheit einholten. Vor seinem geistigen Auge erschien eine bildhübsche Frau. Blondbraune Haare fielen ihr in das unschuldig süße Gesicht hinein. Ihre perfekten dünnen Lippen zu einem Lächeln verzogen, sah sie ihn durch ihre erdigen Augen hindurch, verspielt wie ein kleines Kätzchen, an. Nackt tänzelte sie vor ihm, drehte ihre Hüften und gab einen verführerischen Laut von sich, der ihn wie ein hungriger Köter aus der Reserve lockte. Er schnappte sich ihr Handgelenk, zog sie zu sich und schenkte ihr einen unvergesslich leidenschaftlichen Kuss, bevor sie sich auf ihn legte, um sich mit ihm der puren Lust hinzugeben.

"Ach, Lisa", wandte er die Worte an sich selbst.

Torben vermisste sie so sehr, dass allein der Gedanke an das frühere Erlebnis mit ihr sich anfühlte, als würden tausend Nadelstiche sein Herz durchbohren. Obwohl er selten jemanden an sich heranließ hatte diese einzigartige Frau es damals geschafft, seinen harten Panzer zu durchbrechen.

Er stieß einen tiefen Atemzug aus als er sich schweren Herzens, wieder dem Geschehen zu wandte. Sherin schien von der Musik vollkommen in den Bann gezogen zu sein. Mit ihrem ungewöhnlichen, aber dennoch sehr ansehnlichen Tanzstil war sie derzeit der Mittelpunkt für alle tanzenden Personen dort unten. Dass sie trotz ihres verletzten Beines so standsicher tanzen konnte, war ihm ein Rätsel.

Dann hat meine Wickeltechnik wohl eindeutig ihre Wirkung erzielt, zogen sich seine Gedanken durch den Kopf, um ein schemenhaftes Grinsen auf seinem Gesicht zu erwecken, doch es verschwand genauso schnell wieder, wie es gekommen war.

Er hatte sie die gesamte Zeit über als ein junges Mädchen betrachtet. Als Torben nun realisierte, dass sie viel mehr als das war, konnte er nicht anders, als ihre einzelnen Bewegungen fasziniert zu beobachten. Selbst von Weitem erhaschte er die Blicke der anderen Männer, die eindeutig versuchten, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Torben ballte seine Hände zu Fäusten und versuchte sich wieder zu beruhigen.

Doch das gelang ihm nicht denn mit einem Mal richtete sich sein Blick empor zum Himmel. Er konnte sie zwar noch nicht sehen aber ihr ekelhafter Gestank lag eindeutig in der Luft. Es blieb also nicht mehr viel Zeit, bis die Kopponen dieses geweihte Land verpesten würden.

Über die Hügellandschaft hinweg nahm er Anlauf, bevor ihn seine Flügel erneut durch die Lüfte trugen, bis hin zu der speziellen Stelle. Er blickte nach oben, um sich zu versichern, dass er sich hier auch tatsächlich an der richtigen Position befand. Nach einigen Sekunden stillen Hochstarrens zum Himmel, sah er ein kurzes Blinken, das ihm verdeutlichte, hier die Schwachstelle seines eingezäunten Gefängnisses gefunden zu haben.

Torben konnte sich nicht komplett hinauf zum Himmel bewegen. Die unsichtbare Sperre hinderte ihn daran. Er musste versuchen, sie zu durchbrechen, damit er mit Sherin hinauf zum Himmel gelangen konnte. Er wusste, dass es nicht leicht werden würde. Es war durchaus möglich, den Schutzwall zu durchbrechen, nur musste er sich auf einige Schmerzen gefasst machen. Engel konnte man zwar nicht so leicht beseitigen, dennoch spürten sie Schmerzen und benötigten, je nach Schmerzzustand, einige Wochen Erholung. Wie es ihm nun als gefallener Engel ergehen würde, war ihm neu und er war mehr als bereit dafür, es herauszufinden.

Er ging in die Knie und drückte sich mit aller Kraft vom Boden ab, um mit einer enormen Anspannung gegen den harten Schutzwall zu knallen. Er wiederholte das Szenario und war glücklich, als er mit ansah, dass er der Schwachstelle tatsächlich einige Risse zugefügt hatte.

Doch dann ertönte das krächzende Kreischen von den verpesteten Viechern, die er bereits erwartet hatte. Sein Zugzwang schnürte ihm die Kehle zu. Die Kopponen würden nicht sehr lange brauchen, um Sherin in der tanzenden Menschenmasse ausfindig zu machen.

"Schlag dich wacker, Kleines", war alles, was er ihr jetzt wünschen könnte. Er musste es einfach schaffen, sonst wäre sie dem Tode geweiht.

Mit einem gewaltigen Tempo raste er durch die Luft zu dem Schimmer, den er zu durchbrechen versuchte. Leider blieb er erfolglos. Einer der Kopponen hatte ihn in der Luft abgefangen und stürzte ihn in die Tiefe hinab zur Berglandschaft.

Er versuchte sich rechtzeitig zu befreien, doch der Koppone hielt ihn weiterhin in der Umklammerung. Der brutale Aufprall raubte ihm die Sinne und ließ ihn nach Luft schnappen. Er konnte weder atmen, noch realisierte er, was mit seinem Kopf passiert war. Er spürte die gewaltigen Schmerzen, die sich nun langsam bemerkbar machten und er wusste, dass es ihn stark getroffen hatte. Aber er durfte nicht aufgeben. Nicht jetzt.

Er versuchte nach Luft zu ziehen, doch sein Körper schien ihm nicht mehr gehorchen zu wollen, und der Koppone war alles andere als rücksichtsvoll. Immer wieder stach er auf ihn ein, und durchlöcherte Torben wie einen Schweizer Käse.

Dennoch war sein Blick klar, und voller Hass auf dieses abgrundtief ätzende Tier gerichtet, dass ihn langsam und stetig zu zerfetzen begann.

Schock brannte sich in sein Gesicht, als er das Antlitz des Kopponen betrachtete. Ein chinesischer Schriftzug zeichnete sich auf seiner rechten Gesichtshälfte ab. Immer noch kreischte die Gestalt und wollte ihm seine Haut entziehen, als er die Metallarme schließlich festhielt und versuchte, eine Verbindung herzustellen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass nicht nur die Haut, sondern auch die Augen einer ganz bestimmten Person gehörten. Einer Person, die schon längere Zeit nicht mehr am Leben war. Diese wunderbar erdigen Augen wusste er genau zuzuordnen. Viel zu oft hatte er hineingeblickt. Viel zu oft hatte er sie weinen und vor Freude aufblitzen sehen. Jetzt allerdings schienen sie nur noch nach vorne zu starren. Emotions- und rücksichtslos, ohne jegliches Leben darin.

"Lisa", kam es etwas zögernd über seine Lippen.


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Na? Wie findet ihr die Vermutung, die Torben nun aufstellt? Was gefällt euch bisher am Besten?

Schreibt mir Kommis, damit ich mich freuen kann ; )

BLACK FEATHER (Wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt