Kapitel 13.2

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Der Schock war in mein Gesicht eingebrannt. Noch immer konnte ich nicht fassen, was ich da vor mir sah.

Remmes zerschundener Körper. Er hing an seinen einstmals wundervollen weißen Flügeln oben an der Decke an einem Metallseil fest. Wie eine Attraktion auf einem Jahrmarkt fuhr seine leblose Hülle zwischen dem Türeingang hin und her. Diese nervige Jahrmarktsmusik, die im Hintergrund spielte, machte das gesamte Szenario nicht gerade besser. Remmes misshandelter Körper bewegte sich im Rhythmus zur Melodie. Seine einstmals weißen Flügel waren mit Blut besudelt. Die Metallhalterungen waren durch das Gefieder gebohrt, als wäre er ein gerupftes Huhn, welches ihn hin und herschwingen ließ. Sein freier Oberkörper war übersät von Verletzungen. Das getrocknete Blut klebte an seinem toten Leichnam, wie eine zweite Haut zum Abziehen. Seine Mundwinkel wurden durch einen Draht nach oben gezogen, sodass ein zwanghaftes, scheußliches Lächeln entstand. Ich wollte mir nicht vorstellen, welche Qualen er hatte erleiden müssen und dennoch nisteten sich in meinem Kopf unsagbar schreckliche Bilder ein, die ich sofort darauf wieder versuchte zu verdrängen. Hinter mir brüllte Torben. Ich hatte ihn noch nie so aus der Haut fahren sehen. Unsanft schubste er mich zur Seite und ging an Remmes totem Leib vorbei.

"Zeig dich endlich du Dreckskerl! Damit ich dich zu Hackfleisch verarbeiten kann!"

Remmes lebloser Körper baumelte unbeholfen an der Decke. Vorsichtig schritt ich seitlich an ihm entlang, als mich ein Hoffnungsschimmer packte.

Engel können erst sterben, wenn ihnen die Flügel abgetrennt wurden und Remmes hat Seine noch.

Doch meine Euphorie hatte sich schnell wieder in Luft aufgelöst. Erschrocken starrte ich auf seine Flügel, die man ihm brutal abgesägt hatte.

Remmes! Was haben sie dir nur angetan?!

Schlagartig fiel mir meine Familie wieder ein und die Panik packte mich, als ich ein langsames, lautes Klatschen vernahm. Ich ahnte nichts Gutes und dennoch näherte ich mich dem Geräusch. Meine Nackenhaare stellten sich zu Berge und ich atmete stoßweise die verpestete Luft ein, die vor Blut geradezu triefte. Ich wollte glauben, dass alles okay wäre, dass mich meine Familie lächelnd im Esszimmer begrüßen würde und mich fragten, wo ich denn so lange gewesen sei.

Doch meine Wunschvorstellung wurde nicht erfüllt. Vor mir bot sich ein Anblick des Grauens, der mich erneut zu Boden riss. Meine Hände knallten auf die Fliesen, während ich ununterbrochen: "Nein! Nein! Nein!", schrie.

Mein Atem raste, als wäre ich vor wenigen Sekunden einen Marathon gelaufen. Die Anspannung zog sich durch meinen gesamten Körper und hinderte mich daran auch nur irgendeine Bewegung zu vollziehen. Schwerfällig hob ich meinen Kopf in die Höhe, um mir erneut das Schreckensszenario anzusehen, das mich beinah um den Verstand brachte. An unserem Esszimmertisch saß ganz oben am Kopf, der Henker der Hölle. Über seinem schwarzen Anzug hing eine blutrote Serviette. Ich wollte nicht wissen, ob sie vorher weiß war oder sie sich durch sein Schlachtfeld auf dem Tisch verfärbt hatte. Der Tisch war definitiv als eine Art Schlachtbank genutzt worden. Dennoch hatte er die Innereien sorgfältig in Schüsseln verteilt und aß nun genüsslich den Rest auf seinem Teller auf. Viktoria, meine Ziehmutter, stand neben ihm und hielt, wie eine Bedienstete, eine weiße Stoffserviette parat. Wenn man nicht genau hinsah, hätte man tatsächlich meinen können, sie wäre noch am Leben, ohne die riesige Blutlache unter ihrem Körper zu berücksichtigen. Sie stand nur noch kerzengerade da, weil sich weitere Metallseile in ihr Fleisch gebohrt hatten. Wie ein Stück Vieh hatte er sie allesamt ausgeweidet, ausgestopft und als Attraktion vor uns aufgestellt. Ich nahm nur am Rande wahr, wie Torben versuchte, auf ihn loszugehen und hierbei kläglich versagte. José hatte er wie eine Puppe in der Küche postiert und Adam saß mit am Tisch, eine Gabel in seine rechte Hand gelegt, so, als würde er diesen Fraß mitessen. Sein lebloser Blick und die milchigen Pupillen nahmen mir vollkommen meine Kraft und meinen Kampfgeist. Die Übelkeit machte sich bemerkbar und ich erbrach mich auf dem Boden.

"Na, na, na. Begrüßt man so etwa seine Familie?"

Dumpf nahm ich den amüsierten Tonfall des Henkers wahr. Seine roten Schlitzaugen fixierten mich eingehend. Für ihn war alles nur ein Spiel. Mir allerdings hatte er gerade ein riesiges Loch ins Herz getrieben.

"Liam, du verdammter Bastard!", brüllte Torben, der einen erneuten Angriff startete, allerdings ohne großartigen Erfolg.

Die Schlange verursachte meinem Arm höllische Schmerzen, trotzdem war es kein Vergleich zu meinem inneren tiefsitzenden Schmerz. Im Moment war mir alles egal. Der Tod konnte kommen, ich war mehr als bereit dafür.

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Habt ihr es geahnt oder konnte ich euch überraschen?

BLACK FEATHER (Wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt