Spiegelscherbe

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Draco pov

Stumm starre ich über die Trümmerhaufen Hogwarts'. Dort hinten steht er. Harry Potter, der Auserwählte, der Goldjunge, der Junge, der lebt. Er hat Ginny, die zu weinen scheint, in seinen Armen. 

Ich wende den Blick ab und lasse ihn weiter über die Trümmer schweifen. Die Schüler, die mich anstarren und tuscheln ignoriere ich. 

Ja, ich stand in der Schlacht auf der falschen Seite und das war mir auch sehr bewusst, aber was hätte ich tun sollen? Ich hatte die Wahl zwischen meinem Tod und der Seite Voldemorts und da lebe ich lieber. 

Mein Blick fällt auf etwas Glitzerndes. Verwundert steure ich auf die Stelle zu. Zwischen den Trümmern und im Gesteinsstaub liegt eine Scherbe. Ich gehe in die Hocke und hebe sie auf. Es ist eine Spiegelscherbe, jedoch zeigt sie nicht mich in der Spiegelung. Sie zeigt ihn-den narbengesichtigen Gryffindor-Goldjungen. 

Ist es doch keine Spiegelscherbe, sondern eine Art Foto? Ohne den Grund wirklich zu kennen lasse ich die Scherbe in meiner Hosentasche verschwinden und widme mich dann wieder den Aufräumarbeiten. 

Ich schaue zu einer Gruppe Slytherins, die am Rande einer Wiese stehen. Nicht alle von ihnen standen auf der Seite des dunklen Lords, aber viele von ihnen standen bekannter Maßen in den Diensten Voldemorts und seiner Gefolgschaft. Ich blicke zu den Lehrern. Es ist seltsam meinen Patenonkel dort nicht stehen zu sehen. Auch wenn er ziemlich eigen war, vermisse ich ihn sehr. Er hatte es, genau wie die meisten, die während der Schlacht oder durch die Hand Voldemorts oder die der Todesser gestorben sind, nicht verdient zu sterben. 

~*~*~

Harry pov

Ich sitze mit meinen Freunden in der großen Halle zum Abendessen. Anders als an den ersten Abenden herrschen rege Unterhaltungen und erfüllen den Raum. Doch dann wird es auf einen Schlag still und alle Köpfe wenden sich zum Eingang. Auch ich drehe mich zu dem großen Portal hin.

Draco Malfoy kommt herein. Er hat immer noch die typische Malfoy-Haltung, wirkt aber nicht mehr so hochnäsig. Mehr als würde er sich nicht vor den Blick verstecken wollen. Seine Hände stecken in den Taschen seiner schwarzen Jeans. Seine Augenringe sind von hier aus zu erkennen. Er setzt sich auf seinen üblichen Platz am Slytherintisch und beginnt zu essen. Er unterhält sich mit niemandem oder sieht auch nur von seinem Teller auf. 

Eigentlich sind die Tischeinteilungen nach der Schlacht völlig verloren gegangen und jeder sitzt, wo er möchte, aber eigentlich halten sich alle von den Slytherins fern. Sie haben immer noch den Todesser-Ruf. 

"Dass er wieder herkommen durfte, geht doch gar nicht! Er soll nach Askaban und dort mit seinem Vater verrotten!" schimpft Ron. Ich kann verstehen, dass Ron sauer ist, nach all dem, was in der Schlacht Hogwarts' geschehen ist und wen wir alles verloren haben, aber trotzdem dürfte er sich nicht so aufführen. 

"Warum? Was hat er getan?" platze ich heraus. Ron sieht mich verwundert und auch leicht verärgert an: "Was er getan hat? Er ist ein Todesser! Er stand auf der Seite von Voldemort! Er hat versucht Dumbledore zu töten! Soll ich noch weiter reden?" "Denkst du wirklich, er hat das freiwillig getan? Ich war damals auf dem Astronomieturm. Er hatte keine verdammte Wahl! Entweder Dumbledore oder er! Und wenn ich dich daran erinnern darf: Er hat es nicht getan! Er hat ihn nicht getötet, es war Snape!" Während ich gesprochen habe bin ich immer lauter geworden und habe meinen besten Freund schlussendlich angeschrien. 

"Hör auf den Helden zu spielen, Potter! Ich will und brauche deine Hilfe nicht!" ertönt Dracos Stimme hinter mir. Einen Moment später hat er die große Halle schon verlassen. "Was glotzt ihr denn so?" keife ich die anderen Schüler an, die alle zu mir starren. 

Draco pov

Ich renne durch die Gänge des Schlosses. Wohin weiß ich nicht. Ich will einfach nur noch weg. Weg von den Blicken, weg von dem ganze Getuschel. Ich renne nach draußen, immer weiter bis zum großen See. Dort lasse ich mich auf den Boden sinken und breche in Tränen aus.

Warum hat Potter mich verteidigt? Muss er denn immer Held spielen? Sie haben doch recht, mit dem was sie sagen! Ich wollte Dumbledore umbringen! Ich wollte seinen Tod! Ich hätte tatsächlich ein Menschenleben genommen, nur um mein eigenes zu retten. 

Aber eigentlich hätte ich mein Leben, für fast jeden Toten, der durch den dunklen Lord gestorben ist, gegeben. 

Wie sehr würde ich es Potter gönnen, seine Eltern, Sirius Black oder Remus Lupin nochmal in den Arm nehmen zu können. Wie sehr würde ich es George gönnen, seinen Zwillingsbruder bei sich zu haben. Wie gern würde ich den kleinen Dobby noch mal sehen. 

All diese guten Menschen und Wesen, die gestorben sind, waren Opfer des dunklen Lords. Eines nasenlosen Mannes mit einem geistigen Totalschaden. Wie konnten meine Eltern nur auf seiner Seite stehen? Wie konnte ich nur auf seiner Seite stehen?

Ich fische die Scherbe aus meiner Hosentasche und betrachte Potters lächelndes Gesicht. Woher auch immer die Scherbe stammt, es kann nicht das ganze Bild sein. Außer Potter muss da doch noch mehr sein, oder nicht? 

Eine Träne tropft auf die glasige Oberfläche. Wie aus Reflex wische ich mir über Wange, um die Tränen loszuwerden. Draco, du bist eine verdammter Malfoy! Hör auf zu flennen! 

~*~*~

Harry pov

Ich gehe über die Ländereien Hogwarts' runter zum See. Als ich dort ankomme sehe ich Draco unter einem Baum sitzen und in einem Buch lesen. Zögerlich gehe ich zu ihm und setze mich neben ihn. Er blickt kurz auf, widmet sich aber kopfschüttelnd wieder seinem Buch. Mir fällt eine Scherbe neben ihm im Gras auf und hebe sie hoch. "Nicht!" schreit Draco, aber ich weiche seiner Hand aus, die nach der Scherbe greifen will. "Du hast allen ernstes einen Spiegel, der nur dein Gesicht zeigt?" frage ich lachend. 

Dracos Augen weiten sich und er starrt mich mit offenem Mund an. Verwirrt ziehe ich eine Augenbraue nach oben. "W-w-w-was?" stottert er. "Mach dir keinen Kopf. Ich wusste schon, dass du ein bisschen selbstverliebt bist." "Du siehst mich?" fragt er erstaunt. Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich nicke stumm. "A-aber ich sehe dich!" sagt er verwirrt. Ich rücke näher an ihn heran und halte die Scherbe so, dass wir beide hineingucken können. Jetzt sehe ich uns beide in der Scherbe, aber nicht so, wie wir hier sitzen, sondern wie wir küssen uns. "Kann es sein, dass das der Spiegel Nerhegeb ist?" frage ich, obwohl ich mich wundere, weil ich in diesem Spiegel sonst immer mich mit meinen Eltern sehe. "Was für ein Spiegel?" fragt Draco verständnislos. "Dieser Spiegel zeigt dir, was du am meisten begehrst. Er muss zerstört worden sein und das hier ist eine Scherbe davon." erkläre ich. 

"Zu meinem Verständnis: Was siehst du?" fragt Draco. "Wie wir uns küssen." gebe ich zu. Draco legt seine Hand an meine Wange, zieht meinen Kopf näher zu sich und überbrückt die letzten Zentimeter zwischen unseren Lippen. Sanft bewegt er seine Lippen auf meinen und ich erwidere den Kuss. 

In diesem Moment wird mir klar, dass ich für Draco doch einiges mehr empfinde, als ich ursprünglich geplant habe. 

"Ich kann es nicht fassen, dass ich das sage, aber: Ich liebe dich!" sagt Draco. "Ich liebe dich auch." grinse ich und drücke meine Lippen erneut auf seine. 

Vier Jahre später haben wir geheiratet und ein Jahr später Scorpius und Albus bekommen.

Drarry OneshotsWhere stories live. Discover now