Kapitel 93

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Meine Hände zitterten ein wenig, als ich den Zettel endlich auffaltete.

Ich las jedes Wort. Und als ich fertig war, las ich den Brief noch ein zweites Mal. Danach machte es mir ein Tränenschleier unmöglich auch nur ein Wort zu erkennen, aber das war egal, denn die Worte hatten sich bei mir in Herz und Sinn eingebrannt und ich wusste, dass ich sie nie wieder würde vergessen können.

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Brief angefangen habe. Jedes Mal bin ich schon an der ersten Zeile gescheitert, also wundere dich bitte nicht, dass es keine Anrede gibt. All die Kosenamen, die ich dir in meinen Gedanken bereits gegeben habe, kann ich dir hier und jetzt noch nicht schreiben und alles andere würde bei Weitem nicht das ausdrücken, was ich fühle und wie ich dich sehe.

Morgen werde ich in einem Flieger nach Rom sitzen und ich hasse es, zu wissen, dass die Situation zwischen uns beiden gerade so ist, wie sie ist. Angespannt. Unangenehm. Gebrochen.

Dabei will ich eigentlich nichts mehr, als mich mit dir auszusprechen. Aber als du mir gegenüber gestanden bist... Ich war wie gelähmt. Ich habe diesen ganzen Schmerz in deinen Augen gesehen und ich wusste, dass ich dafür verantwortlich bin. Glaub mir, das wollte ich nie. Alles, was ich je wollte, war, dich glücklich zu sehen.

Deshalb habe ich beschlossen, dass es wahrscheinlich besser ist, wenn ich dich in Ruhe lasse und einfach gehe.

Wenn du diesen Brief liest, dann hast du deinen Weg zu mir gefunden. Du hast den Weg in den Raum gefunden, in dem ich mich die letzten Tage fast ununterbrochen aufgehalten habe. Der Raum, in dem ich mich dir am nächsten fühle. Der Raum, der mich an einen der schönsten Nachmittage erinnert, die ich je erlebt habe. Der Raum, der mit so vielen Erinnerungen an dich gefüllt ist, dass ich deine Anwesenheit fast buchstäblich spüren kann.

Also wundere dich nicht über die Bilder, die hier hängen. Ich konnte, wollte nichts anderes sehen als dich und mich, wenn ich schon nicht weiß, ob und wann es wieder so zwischen uns sein kann, wie an diesem Tag.

Ich weiß nicht, wie es mit uns weitergeht. Aber Robyn, ich möchte, dass du weißt, wie viel du mir bedeutest.

Ich wünschte, ich könnte dich noch einmal in den Arm nehmen, bevor ich fahre. Allein der Gedanke jetzt zwei Monate von dir getrennt zu sein, bringt mich fast um. Ja, du hast richtig gelesen, ich bleibe zwei Wochen länger weg als geplant. Ich würde gerne wissen, wie dich diese Information berührt. Atmest du gerade erleichtert auf? Oder tropft vielleicht gerade eine Träne von deiner Wange und verwischt die Schrift?

Zwei Monate sind eine lange Zeit. In zwei Monaten kannst du mich schon vergessen haben. Jemanden kennen gelernt haben. Vielleicht wäre das sogar besser, ich weiß es nicht.

Seit ich dich kenne, habe ich das Gefühl manchmal gar nichts mehr zu wissen. In mir herrscht einfach nur endlose Verwirrung und dann wieder absolute Klarheit, gefolgt vom nächsten Durcheinander.

Eines weiß ich sicher: Ich denke an dich. Jeden Tag.

Adrian

Ein Schluchzer entfuhr meiner Kehle und einige Tränen tropften tatsächlich auf den Brief. Ich begann zu zittern, hob die Beine an und legte meinen Kopf auf den Knien ab. Zusammengekauert saß ich da und weinte leise. Aus Freude oder Verzweiflung war mir in dem Moment nicht klar, aber ich merkte, dass ich unbeschwerter atmen konnte, als die letzten Wochen.

Ich bedeutete ihm etwas.

Ich bedeutete ihm so viel, dass er mir einen Brief geschrieben hatte und zum Ausdruck gab, dass die Dinge sich zwischen uns wieder stabilisieren sollten.

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