Kapitel 1

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Ich stand halb versteckt hinter meiner weißen Gardine und schaute aus dem Fenster. Unter mir in der von Hyazinthen und Chrysanthemen gesäumten Einfahrt stand er. Der neue Nachbar. Ich versuchte ihn genauer zu betrachten, was durch sein ständiges Umhergehen jedoch keine leichte Aufgabe war. Solange er mich nicht entdeckte, hatte ich aber Zeit. Er war sowieso voll mit dem Umzug beschäftigt, da würde er kaum zu meinem Zimmer hinaufschauen. Ich trat noch näher an die Glasscheibe heran. Mein Atem zeichnete nebelige Spuren auf die Scheibe, die schnell wieder verschwanden. Er stand direkt in meinem Blickfeld, sein Gesicht zu mir gewandt. Leicht gestikulierend erklärte er einem der Umzugshelfer, wo er einen Karton hinzubringen hatte. Der andere Mann nickte und verschwand im Haus.

In dem Moment schaute er hoch. Unsere Blicke trafen sich. Völlig überrumpelt sprang ich nach hinten, stolperte über meine Tasche und fiel rückwärts auf meinen Teppich. Überrascht strich ich mir die gebleichten Haare aus dem Gesicht. Ich war mir nicht sicher, ob er mich gesehen hatte, aber falls... Beschämt stand ich auf. Wie peinlich! Nur weil ich so einen gut aussehenden neuen Nachbarn bekam, wurde ich zum Stalker?

Adrian Aldrich. 26 Jahre alt. So viel wusste ich von seiner Vermieterin, die zufällig auch unsere war, über ihn. Gut, und dass er verdammt heiß war. Das hatte ich eben mitbekommen. Und anscheinend verdiente er gut. Sonst könnte er sich wohl kaum in dem Alter eine Doppelhaushälfte leisten. Genau genommen die andere Hälfte meines Hauses. Irgendwie faszinierte mich dieser Mann - obwohl ich ihn gar nicht kannte.

Mein Blick fiel auf die vielen Bücher auf meinem Bett und sofort meldete sich mein Gewissen. Anstatt meinem Nachbarn hinterher zu starren, sollte ich lernen. Es war zwar gerade mal September, aber in ein bisschen mehr als einem halben Jahr würde ich mein Abitur schreiben. Ich hatte also keine Zeit zu vertrödeln. Seufzend setzte ich mich auf mein Bett. Als erstes würde ich mich meinem Chemiebuch zuwenden müssen, denn da hatte ich am meisten nachzuholen. Die Alkane, Alkene und Alkine hatte ich inzwischen verstanden, aber wie ich dieses Wissen auf Experimente anwenden konnte, blieb mir bis dato schleierhaft. Vielleicht sollte ich mir das noch einmal genau erklären lassen, denn bis jetzt konnte mich auch das Schulbuch nicht aufklären. Trotzdem verbrachte ich die folgende halbe Stunde erneut damit, dieses verhasste Buch zu durchforschen. Für meinen späteren Beruf würde ich Kohlenstoffverbindungen sowieso nicht brauchen, denn ich wollte Innenarchitektur studieren. Was er wohl für einen Beruf hatte?

'Nein, nicht abschweifen!', wies ich mich selbst zurecht.

Ich entschied mich dafür, mit Biologie weiterzumachen. Da verstand ich doch schon weitaus mehr. Aber so ganz konnte ich mich doch nicht konzentrieren. Zu viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Hoffentlich hatte er mich nicht gesehen. Das würde sonst ein sehr unangenehmer Start werden... Aber trotzdem warf ich noch einmal verstohlen einen Blick aus dem Fenster. Vor meinem Fenster tummelten sich die Umzugsleute, aber Adrian war weit und breit nicht in Sicht. Abermals seufzend wandte ich mich vom Fenster ab. Das hier durfte ja nicht aus dem Ruder laufen! Ich versuchte rational an die Sache ranzugehen. Nur weil ein Model gut ausschaute, verknallte man sich ja nicht gleich in ihn, oder? Also bitte... Ich verdrängte den Gedanken, dass ich vor gerade mal zwei Jahren für David Beckham geschwärmt hatte. Aber hallo? Wer konnte schon einem Armani Unterwäschemodel widerstehen?

Ich setzte mich auf mein Fensterbrett und ließ mich von der Sonne bescheinen, während ich meine Zehennägel grau lackierte. Ein kurzer Blick auf die Uhr genügte, um mir zu sagen, dass ich genug Zeit hatte. Ich traf mich erst in ein paar Stunden mit Celia, meiner besten Freundin. Unser wöchentlicher 'Lady-Abend' war wieder angesagt. Ich überprüfte, ob meine Nägel schon trocken waren und zog mir meine leichten Sommerklamotten aus. Ich sprintete ins Bad und machte das Wasser in der Dusche an. Ich schauderte, als das kalte Element über meinen Körper prickelte. Lange Zeit stand ich nur da und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Nur allzu oft schweiften sie zum unbekannten Adrian. Nach einer gefühlten halben Stunde, stieg ich aus der Dusche, trocknete meine Haare nur oberflächlich mit dem Handtuch, was ich dann um meinen Körper wickelte.

In dem Moment klingelte es.

Mein Kopf schoss hoch. Ich überlegte schnell, wer es sein könnte. Meine Eltern würden erst spät nach Hause kommen und so viel ich wusste, erwarteten wir kein Paket. Ich runzelte die Stirn. Auf dem Weg nach unten kam mir der Gedanke, dass es vielleicht Adrian war. Träumerisch stellte ich mir vor, wie er reagieren würde, wenn er mich nur im Handtuch bekleidet sah. Grinsend verdrängte ich die Fantasie, als ich die Haustür aufmachte.

Und da stand er. 'Alter...' war mein erster Gedanke, als ich in sein Gesicht starrte. Ich stand nicht einmal zwei Meter von ihm entfernt und die Gelegenheit ließ ich mir nicht nehmen. Er strahlte aufrichtige Freundlichkeit, unglaublichen Charme und irgendwie auch Autorität aus. Mein Blick schweifte von seinem Gesicht etwas weiter abwärts und erkannte eine breite Schulterpartie und einen durchtrainierten Oberkörper. Ich schaute wieder in sein Gesicht und bemerkte, dass auch er mich musterte. Sein amüsierter Gesichtsausdruck erinnerte mich daran, dass ich tatsächlich nur in einem Handtuch bekleidet vor ihm stand. Unsere Augen trafen sich; meine erschrocken, seine vergnügt.

„Hi!", sagte er mit einem breiten Lächeln. Und spätestens jetzt war es bei diesem Lächeln vorbei mit dem rationalen Denken. Ich hätte fast einen Hitzeschlag bekommen, aber sicherlich nicht wegen der stechenden Sonne. „Sorry, dass ich störe", fuhr er fort, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. „Aber ich wollte mich nur kurz vorstellen. Ich heiße Adrian Aldrich."

Ich war so fasziniert von seinen bernsteinfarbenen Augen, dass ich beinahe seine ausgestreckte Hand übersehen hätte. Als ich sie endlich bemerkte, fing ich an, umständlich mein Handtuch mit der freien Hand fest zu klemmen, damit es nicht hinunter rutschte und mich in eine äußerst erbärmliche Lage bringen würde. Ich schüttelte ihm die Hand.

„Also... Ich... Ähm..." Ich brach ab. 'Hör auf zu stottern!', ermahnte ich mich. „Hi, ich bin Robyn Carpenter. Herzlich Willkommen!", fügte ich hinzu.

„Robyn ist ein echter cooler Name. Hört man aber leider zu selten. Können wir gleich beim Du bleiben?" Er sah mich erwartungsvoll an. 'Wir können von mir aus auch gleich zu Schatz übergehen', schoss es mir durch den Kopf, wie ich zu meinem Schrecken feststellte. Aber er fand meinen Namen cool! Mein Herz tat einen Hüpfer.

„Klar, gerne! Ähm, ich würde dich ja gerne kurz rein bitten, aber es ist gerade etwas ungelegen", sagte ich vorsichtig, um nicht unhöflich zu wirken. Sein Blick wanderte für den Bruchteil einer Sekunde an meinem knapp bedeckten Körper hinunter, aber das war wohl leider eher ein Reflex. Mein Handtuch war so kurz, -es ging nur knapp bis zur Mitte meiner Oberschenkel- man musste einfach hinsehen. Jedenfalls war dieser kurze Blick der Auslöser dafür, dass ich rot anlief. Ich spürte richtig, wie mir die Hitze vor Scham zu Kopf stieg.

„Ja, das sehe ich", antwortete er mit einem schiefen Grinsen, was zur Folge hatte, dass ich noch verlegener wurde. „Aber ich würde mich freuen, wenn du und deine Familie übermorgen zu meiner Grillparty kommen könntet. Du weißt schon, so als Einstand. Mein Haus ist leider noch nicht vorzeigbar." Er lachte kurz und zeigte dabei strahlende und wirklich gerade Zähne. Mir kam der Gedanke, dass er auch ein wenig verlegen sein könnte, aber dies gekonnt durch seine lockere Art zu überspielen wusste.

„Sehr gerne! Und ich werde auch angezogen kommen", versicherte ich ihm. Jetzt lachte er wirklich von ganzem Herzen. Ein unglaublich sexy Lachen, nebenbei erwähnt. Ich stimmte mit ein. Hatte ich das wirklich gesagt? Wo hatte ich dafür den Mut hergenommen? Mein Gedankenstrom wurde von dem Rufen eines Umzughelfers unterbrochen.

„Dann will ich dich mal nicht länger stören. Bis dann, Robyn!" Er drehte sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht um und ging. 'Ich würd dich aber gerne noch länger aufhalten...' Als ich ihm noch ein verspätetes „Ciao" hinterherrief, drehte er sich für einen Moment um und hob zum Abschied die Hand. Ganz langsam schloss ich die Tür. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen sie und konnte es nicht fassen: Ich hatte Schmetterlinge im Bauch.

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Hallo ihr Lieben :)

Hier ist das erste Kapitel von dem Buch, das ich mit Tyskerfie zusammen schreibe.

Wir hoffen, es gefällt euch! :D

Wenn ja, wäre es auch voll schön, wenn ihr unsere Geschichte teilen würdet :)

Tyskerfie & HeyGuys77


HeartsWhere stories live. Discover now