Kapitel 96

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Den Rest der Klassenfahrt über verhielt ich mich vorbildhaft, doch die anderen neckten mich mit meinem überraschend gigantischen Kater. Sogar Mr. Hoffmann ließ einen neckenden Kommentar fallen, was meine Laune irgendwie deutlich verbesserte. Vielleicht war er doch nicht so ein Idiot, wie bis jetzt gedacht.

Als wir wieder zurück im normalen Leben in der Schule waren, stellte ich fest, dass sogar die Jahrgänge unter uns von meiner klitzekleinen Eskapade wussten.

"Au, verdammt!", entfuhr es mir, als ich an meiner Schulter gestoßen wurde und teilnahmslos an eine der Schließfächer klatschte. Ich schaute genervt zu dem Trottel hin, der mir in die Quere gekommen war.

Na ganz toll, Ash. Ash, der Badboy der Schule. Ein Jahr jünger als ich und aus einem mir unverständlichen Grund der angesagteste Kerl dieser Schule. Ich war gegen seinen Charme und seiner Ausstrahlung immun, weswegen mich dieser ganze Zirkus um ihn nervte.

Aber im Grunde war er eigentlich ganz nett und cool drauf. Ich hatte mal bei irgendeinem Schulball Shots mit ihm getrunken - und soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich ihn fast unter den Tisch getrunken.

Ich grinste bei dem Gedanken, richtete mich auf und bekam mit ihm Blickkontakt.

"Hey sorry, Robyn!", meinte er auch schon und hob die eine Hand als beschwichtigendes und defensives Zeichen.

"Schon in Ordnung, Kleiner. Aber mach mal die Augen auf, anstatt wie ein Betrunkener durch die Gegend zu laufen", erzog ich ihn.

"Ach, so wie du in Rom, oder was?", fragte er zurück und grinste mich frech an. Seine Zähne waren fast genauso weiß wie sein Shirt, das einen starken Kontrast zu seinen übertätowierten und trainierten Armen bildete.

"Halt's Maul, Ash", grummelte ich und fragte mich, woher er das denn schon wieder wusste. "Geh lieber zu deinen Tussen, die warten schon sehnsüchtig auf dich", sagte ich und wollte gehen, als mir auffiel, wie seine Wangen leicht rosa anliefen. Was sollte das denn jetzt?

"Oooder geh zu dem einen bestimmten Mädchen, dem du dein Tomatengesicht zu verdanken hast", grinste jetzt ich und ließ Ash verdattert zurück, bevor er irgendetwas bestreiten konnte. So so, hatte es also unseren Bad Boy erwischt?

Kichernd begab ich mich zu Ceil und Fabio, die in der Aula schon auf mich warteten.

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Auch in der Aula warfen mir ein paar der Schüler Blicke zu, manche würde ich fast als ehrfürchtig einstufen. Hallo? Ich hatte nur ein bisschen zu viel getrunken, war das hier sonst noch keinem passiert?

Aber irgendwie war es auch lustig, also versuchte ich die anderen einfach auszublenden und konzentrierte mich auf meine Freunde.

"Na, du kleine Berühmtheit?", begrüßte mich Fabio mit einem verschlagenen Grinsen.

"Klappe", warf ich nur lachend zurück.

Wie einfach es mir inzwischen fiel, meine Fassade aufrecht zu erhalten. Tagsüber gelang es mir auch recht gut, aber wenn ich abends allein in meinem Bett lag, hatte ich immer das gleiche Bild vor Augen: Adrian mit dem Arm um seine hübsche Freundin.

Und er konnte mir nicht erzählen, dass er plötzlich noch eine Schwester hatte, von der ich nichts wusste!

Ich war sämtliche Möglichkeiten schon durchgegangen. Verschollene Cousinen, entfernte Nichten, Jugendfreundin aus der Kindheit - wobei mir die letzte Variante schon wieder weniger gefiel.

Oder - und das war wohl die wahrscheinlichste Version - es war eine Arbeitskollegin, die er kennengelernt hatte und in die er sich auf den ersten Blick verguckt hatte, weil sie einfach perfekt für ihn war.

Abwegig? Vielleicht. Aber ich hatte Adrian auch nur einmal ansehen müssen, um Herzklopfen zu bekommen und es hatte nicht lange gedauert, bis ich wusste, dass er mir wirklich wichtig war. Sehr wichtig. Also ja, vielleicht abwegig, ungewöhnlich, aber definitiv nicht unmöglich.

Schnell verscheuchte ich die Gedanken wieder und hörte Ceil zu, wie sie von Rom schwärmte.

"Wir können doch irgendwann einfach nochmal hinfahren", schlug Fabio in diesem Moment vor und Ceils Augen leuchteten. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass mir bis jetzt etwas gewaltig entgangen war, so beschäftigt, wie ich die ganze Zeit mit Adrian und meinen verwirrten und verletzten Gefühlen war. Jetzt, als ich mir die Zeit nahm, meine beiden Freunde genauer zu beobachten, wurde ich das Gefühl nicht los, dass sich bei den beiden eine besondere Vertrautheit eingeschlichen, sich ein hauchdünner Faden gebildet hatte, der die beiden zueinander zog. Ich lächelte verträumt vor mich hin, während ich den beiden dabei zuhörte, wie sie den nächsten Trip planten.

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Als ich nach der Schule nach Hause kam, ging ich zuerst in mein Zimmer, setzte mich auf mein Bett und nahm Adrians Brief aus meinem Nachttischchen. Ich hatte ihn, seit ich ihn gefunden hatte, schon unzählige Male gelesen und kannte den Inhalt auswendig. Seine Worte liefen in Dauerschleife in meinem Kopf ab.

Aber seit ich aus Rom zurück war, hatte ich den Brief nicht mehr in der Hand gehabt. Es tat einfach zu weh, seine liebevollen Worte zu lesen, während ich das Bild von ihm mit einer anderen im Kopf hatte.

Ich war mir sicher, dass er jedes einzelne Wort ernst gemeint hatte, als er den Brief geschrieben hatte. Aber jetzt...jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, dass er all das noch einmal sagen würde. Und inzwischen konnte ich ihm deswegen noch nicht einmal mehr böse sein.

Wenn man die richtige Person traf, dann wusste man das einfach und er wäre schön blöd, diese Chance nicht zu nutzen. Das verstand ich und ich wollte ihn glücklich sehen. Wenn ich nicht die Eine für ihn war, dann musste ich damit klar kommen. Egal wie sehr es schmerzte. Wenn ich mir nur immer vor Augen hielt, dass es Adrian damit besser ging, dann würde ich damit auch besser klar kommen.

Deswegen musste ich noch etwas tun.

Ich faltete den Zettel ein letztes Mal auseinander, las seine Worte an mich ein allerletztes Mal, sog alles in mich auf und speicherte es ab.

Er hatte einmal etwas für mich empfunden. Dieses Wissen musste im Moment einfach genügen.

Vorsichtig steckte ich den Zettel, so wie ich ihn ursprünglich gefunden hatte, wieder zurück in den Umschlag, nahm meinen Schlüssel und ging zu Adrian. Mein Weg führte mich in die Dunkelkammer. Auch hier sah ich mich noch einmal um. Betrachtete jedes einzelne Bild. Erinnerte mich an alle die Dinge, an die ich mich nicht mehr erinnern sollte. Nahm Abschied.

Ich platzierte den Brief so, wie ich ihn gefunden hatte.

Adrian würde nie erfahren, dass seine Worte mich erreicht hatten.

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Naaaa, wer kennt Ash schon? ;)

Und wie findet ihr Robyns Entscheidung, den Brief einfach wieder zurück zu legen?

Tyskerfie & HeyGuys77

HeartsWhere stories live. Discover now