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Nemesis
In dieser Nacht war nicht ich diejenige, die schrie.
Es war Naevan.

Gerade hatte ich bei der nächtlichen Wache den ruhenden Wald beobachtet, da kam dem Hüter ein gequälter Laut über die Lippen. Ein Ausdruck reinen Schmerzes, der meinen Kopf herumfahren ließ.

Auf der anderen Seite des Feuers, schlug Naevan hin und her. Die dünne Decke, die er für die Nacht über sich gelegt hatte, war ein zerknüllter Ball zu seinen Füßen. Da seine Klamotten genauso wie meine bis morgen noch trockneten, hatte er kein Oberteil an.

Schnell huschte ich um das halb abgebrannte Feuer herum und kniete mich neben ihm hin. Gerade so konnte ich einem Arm ausweichen, der nach mir schlug, als ich sein verzerrtes Gesicht musterte.
Kalter Schweiß glänzte bereits auf seiner Stirn.

Für einen Moment war ich zu überrascht zu reagieren, doch dann beugte ich mich ein wenig vor, immer darauf achtend nicht von ihm geschlagen zu werden.
„Naevan, wach auf!"
Er hörte mich nicht und ich überlegte, was ich tun sollte. Berühren wollte ich ihn definitiv nicht. Ich wusste nicht worauf der Albtraum beruhte und wollte es nicht noch schlimmer machen.

Ich versuchte es weiter. Eindringlicher.
„Naevan? Naevan!"

Er riss die Augen auf. Der Blick rasend, als er mich über sich gebeugt entdeckte.
Schneller als ich reagieren konnte, hatte er mich an den Armen gepackt und herumgerissen, sodass er mich mit seinem Körpergewicht festnagelte.

Sein Griff war ein Schraubstock, aber ich zwang mich dazu ruhig zu bleiben. Aufsteigende Erinnerungen wurden sofort abgeblockt, denn gerade war seine persönliche Hölle, in der er sich gerade befand, wichtige als meine.
Seine Brust hob und senkte sich, ähnlich wie es bei mir war, wenn die Panik mich überfiel. Jeder einzelne definierte Muskel war angespannt.

Die Nähe unserer Körper machte mir nicht mehr so viel aus. Auf der bisherigen Reise hatte ich mich an seine Nähe gewöhnt. Deswegen kamen keine zu starken Bilder hoch und ich konzentrierte mich darauf, ihm zu helfen, wie er es auch bei mir getan hatte.

„Beschreib mein Gesicht", forderte ich ihn auf und er blinzelte. Versuchte noch immer sich aus den Bildern des Albtraums zu reißen.
„Was?", stieß er hervor und ich wiederholte die Aufforderung gelassen.

Langsam wurde sein Blick klarer. Er sah mich jetzt direkt an. Im Dunkel der Nacht funkelten seine Augen wie Onyxe.
„Ebener, blasser Teint", begann er, „Stürmende Augen, markante Züge..."
Er verlor sich, also ermutigte ich ihn weiter, mein klopfendes Herz ignorierend: „Gut. Mach weiter."

Seine Augen glitten tiefer.
„Sanft geschwungene Lippen."

Schluckend stellte ich die nächste Frage:
„Was hörst du?"
Schon wesentlich ruhiger, schloss er die Augen.
„Deinen Herzschlag. Kräftig."

Die Nähe unsere Körper wurde mir überdeutlich bewusst. Ich spürte die Wärme, die von ihm ausging. Und auch ich konnte sein donnerndes Herz hören.

Sein Griff lockerte sich, seine Züge verloren die Härte und wurden ungewohnt weich. Als er jetzt die Augen öffnete, glänzten sie verräterisch.
Nun glitt er von mir runter und ließ sich neben mir ins Gras sinken. So lagen wir nebeneinander, unsere Arme nur Zentimeter voneinander entfernt.

Ohne mich zu bewegen drehte ich den Kopf. Er selbst sah hinauf zum Himmel. Ein einzelne Träne lief aus seinem Augenwinkel die Wange herab.

„Weißt du, was das Schöne ist?", wollte er heiser wissen. Wobei er den Blick nicht vom Lichtermeer über uns abwandte. Keine Wolke wagte es, es heute Nacht zu verdecken.
Kopfschüttelnd verneinte ich. Im Gegensatz zu ihm mied ich es die Sterne zu betrachten.
Das Mädchen, dass sie voller Faszination bewundert hatte, war gestorben.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt