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Nemesis
Naevans Mund eroberte meinen, als er mich an die Wand drückte, eine Hand in meinem Haar, den andern Arm an der rauen Steinwand abgestützt, wobei mich sein Duft umgab und ich willig darin versank.

Währenddessen fuhr ich über seinen Rücken, seine Arme entlang, zeichnete das Spiel seiner Muskeln nach. Je länger der Kuss dauerte, desto mehr wollte ich von ihm.

Eine Sekunde lösten wir uns, damit ich meine Beine um seine Hüften schlingen konnte, ehe unsere Lippen wieder aufeinander trafen. Reine Elektrizität jagte durch meine Adern und nichts hatte sich je so gut angefühlt. Diese Verbindung zwischen uns war immer noch da und brannte mit jeder Sekunde heller, bis es zu einem unbändigen Verlangen in meiner Brust wurde.

„Verdammt, was machst du nur mit mir?", flüsterte er zwischen zwei Atemzügen, ehe ich seine Worte schon mit dem nächsten Kuss verstummen ließ.

Ich zerzauste sein Haar genauso sehr wie er meines, erkundete seinen Körper und schließlich riss ich ihn in einer entschiedenen Bewegung die Stoffbahn vom Oberkörper.

Seine Hände umfasste mein Tunika, die Augen dunkel vor Verlangen, aber er zog seinen Kopf einen kleinen Zentimeter zurück.
„Ist das in Ordnung?"
Seine Augen waren hab geschlossen, als er zu mir aufsah, die Wangen gerötet und ich spürte seinen Atem auf meinen Lippen, der genauso schwer und hitzig war wie meiner.

Ich nickte sicher und er stellte mich sanft wieder auf dem Boden ab, um mir behutsam die Tunika über den Kopf zu ziehen. Abgesehen von der Binde um die Brust, war da also nichts mehr, was meine Narben vom Oberkörper verdeckte.

Kurz hielt ich den Atem an, als seine Augen langsam über meine Arme glitten. Die vielen kleinen, sauberen Schnitte dort. Über meinen Bauch, wo sich noch rosig die Wunde des Infizierten abzeichnete. Diverse blaue Flecken, unter anderem von dem Sturz vom Dach und weiter weiße Linien über meinen Schultern. Er hatte meine Narben bereits gesehen, aber noch nie aus dieser Nähe.

Mit den vom Kämpfen schwieligen Fingern fuhr er hauchzart eine kreisförmige Narbe an meiner Schulter entlang. Ich erschauerte.
Dann glitten seine Finger weiter. Zeichneten Linie um Linie nach.

Mein Atem stockte, aber es kamen keine Bilder auf. Ich sah nur ihn, das dunkle Haar, die warmen Augen und die weichen Lippen.
Seine Wangen waren gerötet und wenn ich zuhörte, wummerte sein Herz schnell in seiner Brust.

Keine Ahnung, wann sich was zwischen uns geändert hatte. Im Nachhinein konnte ich echt nicht sagen, wann ich aufgehört hatte, ihn zu hassen. Hatte ich das überhaupt jemals wirklich getan?

Aber ich wollte, dass er lebendig blieb, wie er es jetzt war. Allein die Vorstellung, dass diese liebevollen Augen, die mich jetzt ansahen, mal leblos sein könnten, jagte mir höllische Angst ein.
Viel mehr Angst, als ich bereit war, mir zuzugestehen.

„Du bist wunderschön", flüsterte Naevan, „Und jede Narbe zeigt nur, wie stark du bist."

Seine Worte wärmten mein Herz und besänftigten die Panik, die nach Aeriennes Ansprache in mir erwacht war.

„Sowas hat noch nie jemand zu mir gesagt", gestand ich leise.
Noch nie hatte mich jemand so zärtlich gehalten oder so ehrfurchtsvoll angesehen.
„Ich sag es dir so oft, du es hören willst", zwinkerte Naevan mit einem spitzbübischen Lächeln.

Eine Sekunde starrte ich ihn mit leicht geöffneten Mund an.
„Warum bist du so... nett?", platzte ich heraus.
Er wirkte etwas irritiert:
„Ist es dir lieber, ich halte dir einen Dolch an den Hals?"

Kopfschüttelnd musste ich ein winziges bisschen grinsen.
„Ich meine, wann hast du aufgehört mich zu hassen? Wieso hältst du dich jetzt nicht mehr zurück? Ich sterbe morgen, macht es das nicht nur schwerer?"

Nemesis - Kronen und GötterWhere stories live. Discover now