51

1.4K 164 15
                                    

Nemesis
Naevan hatte das Zimmer verlassen und ich starrte etwas benommen auf die weiße, geschlossene Tür.
Was... war das? Gestern Nacht. Heute Morgen. Alles.

Aber ich riss mich zusammen, stieß jegliche Gefühle gewaltsam zu Seite und besinnte mich meiner selbst.
Mit ruhigem Gesicht stand ich auf, zog meinen Kampfanzug an und gürtete mein Schwert um. Es war noch immer das aus Schwarzstahl, das ich bei meiner Einstellung im Schloss bekommen hatte.

Nachdenklich griff ich mir an den Hals, wo ich das Amulett des Tempels immer noch trug. Mir fiel auf, dass Drystans Ring ebenfalls dort baumelte.

Wie als hätte dieses Tatsache ihn gerufen, klopfte es an der Tür.
„Nemesis? Ich bin's."

Als ich Drystans die Tür aufmachte, war mir von meinem bevorstehenden Tod, Naevan oder etwaigen Albträumen nichts anzusehen.

Kaum stand ich vor ihm, wanderte sein Blick an mir hoch und runter, ehe er verlegen lächelte.
„Guten Morgen."
„Guten Morgen. Was gibt es?"

„Ich dachte...", er rieb sich den Nacken und zerzauste die dortigen Locken, „Hättest du Lust auf einen kleinen Spaziergang durch den Garten? Wir hatten noch gar nicht richtig Zeit miteinander zu reden."

Überrascht von dem Vorschlag, sah ich kurz über die Schulter zu meinem Zimmer. Doch dann wandte ich mich nickend wieder um.
„In Ordnung."

Beim Raustreten schloss ich die Tür hinter mir, ehe wir beide nebeneinander den Flur entlangschlenderten.
Als wir dabei an Naevans Tür vorbei kamen, kam ich nicht drum herum, dass mein Blick einen Moment lang an ihr hängen blieb. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit aber schnell geradeaus.

„Konntest du einigermaßen schlafen?", fragte Drystan, als wir gerade die Treppe runter zur Eingangshalle gingen. Diener begegneten wir nur wenigen.
„Das übliche", antwortet ich und verbot mir an Naevans Daumen zu denken, der über meinen Handrücken strich. Die Handschuhe hatte ich jetzt wieder an.

Beim Hinaustreten in den Garten wurden wir von der morgendlichen Frische begrüßt.
Zwar bekam ich Gänsehaut an den Armen, aber ich zuckte nicht mit der Wimper. Ich hatte schlimmere Kälte mit weniger Kleidung durchgestanden. Viel schlimmere.

Schnell blockte ich die Erinnerungen, bevor sie mich erreichen konnten und fokussierte mich stattdessen auf Drystan neben mir. Er hatte das Gesicht geradeaus gerichtet, die Haare noch von Schlaf zerzaust.
Er trug eine lockere, hellblaue Tunika mit silbernen Stickereien um den Kragen herum, die er hastig in die schwarze Hose gesteckt hatte. Sein Reif fehlte, aber ein Schwert hatte er mit.

Schweigend betraten wir das Labyrinth aus hohen, dichten Hecken, die uns vor jeglichen Blicken schützten. Meine Augen sprangen von Biegung zu Biegung, immer wachsam.

Drystan dagegen führte uns mit lockeren Schultern durch die gewundenen Weg bis zum Zentrum, wo ein kleiner Tempel aus weißen Stein stand. Von der Machart mit den Säulen, dem Göttertempel in der Stadt nicht unähnlich.
Allerdings bestand dieser im Garten nur aus einem Kuppeldach mit buntem Mosaik, das von besagten Säulen getragen wurde. Zusätzlichen führten Stufen als eine Art Sockel zu der Runden Fläche im Inneren. Geschlossene Wände gab es keine.

Überrascht stellte ich fest, dass Drystan eine hellblaue Decke in der Mitte des runden Tempels ausgebreitete hatte und das Frühstück, dass normalerweise zum Zimmer gebracht wurde, dort auf mich wartete.
Als ich ihn darauf ansah, färbten sich seine Wangen leicht rot.
„Ähem. Ich dachte, das macht das ganze ganz nett."

Schulterzuckend ging ich zu der Decke, ließ mich lautlos drauf fallen und nahm mir eine Erdbeere aus dem Schälchen. Daneben gab es Sandwiches mit zusätzlichen Aufschnitt und Weintrauben sowie gekochtem Ei.

Nemesis - Kronen und GötterWhere stories live. Discover now