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Nemesis
Mir stockte der Atem und ich wurde still. Traute mich nicht, mich zu bewegen. Wartete, dass er die Worte zurückzog. Dass ich es mir nur einbildete.
Aber das tat er nicht.

Nein, Naevan stand zu seinem Wort und sah mich entschlossen an. In seinen Augen wirbelten die Gefühle, die er nicht aussprach.

„Aber ich werde sowas nie von dir verlangen", sagte er mir einem gequälten Lächeln, „So egoistisch bin ich nicht."

Es gab so vieles, was ich antworten wollte, aber ich hatte Angst. Statt der Antwort, die mir auf der Zunge lag, fragte ich:
„Ich dachte, wir hassen uns?"
Naevan schnaubte und fuhr sich durch das nasse Haar.
„Ich glaube, darüber bin ich schon lange hinaus."

Er ließ den Arm wieder sinken und die Strähnen fielen ihm zurück in die Stirn. Erneut lag sein Blick auf mir und mein ganzer Körper kribbelte, als stünde er unter Strom.

Vielleicht war es dumm. Vielleicht hätte mich die Burg und die Menschen, die mich dort verraten hatten, etwas besseres lehren sollen, aber ich machte einen Schritt vor. Und noch einen.

Ich hatte meine Hand dabei nicht von seinem Herzen genommen und spürte es schneller schlagen, als ich Stück für Stück den Abstand verringerte. Stück für Stück auf eine Klippe zusteuerte. Ein möglicher Sprung, den man nicht rückgängig machen konnte.

Naevan ließ mich nicht aus den Augen, war komplett regungslos, wie eine Statue. Er wagte kaum zu atmen.

„Was wenn ich will, dass du mich küsst?", wollte ich so leise wissen, dass es kaum zu hören war.
Aber Naevan verstand es klar und deutlich und ein Feuer loderte in seinen Augen auf.
„Nemesis...", hauchte er, als ich mittlerweile so nahe getreten war, dass unsere Fußspitzen sich beinahe berührten.

Langsam sah ich zu ihm hoch. Ich spürte seinen Sturm, der im Einklang mit meinen in seiner Brust wirbelte. Ich hörte sein schneller schlagendes Herz, spürte die Stärke seine Muskeln, seine Präsenz, die jegliche Bilder vertrieb. Mich abschirmte vor der Vergangenheit, der ich versuchte zu entfliehen.

„Was ist, wenn ich dich will, Naevan?"

Denn das tat ich. Genau hier und ihm so nah, fühlte sich so richtig an, wie schon lange nicht mehr. Die Hitze seines Körpers schmolz das Eis in mir und ließ einen Funken Wärme in mir entstehen.
Ich wollte ihm nah sein. Ich wollte ihn.

Zusammen mit diesem Gefühl, mischte sich die Angst. Ich erwartete den Verrat, die Zurückweisung. Wappnete mich innerlich gegen den Schlag, aber er kam nicht.

Stattdessen beugte Naevan sich langsam zu mir runter ohne mich aus den Augen zu lassen. Ein Zurückziehen von mir und er würde es sein lassen. Er bedrängte mich nicht, ließ mir die Wahl zum letzten Schritt, als unsere Lippen nur Zentimeter voreinander schwebten. Der Rest seines Körper bewegte sich nicht, seine Arme hingen vergessen an ihm herab.
Er würde mich nicht berühren, so lange ich es nicht erlaubte.

Ich spürte seinen Atem, hielt seinen Blick eine Sekunde fest und beschloss, dass ich alles riskieren wollte.

Also überbrückte ich den letzten Abstand zwischen und und legte meine Lippen auf seine.

Der Kuss war sanft, vorsichtig. Ohne Drängen, ohne Gewalt. Und doch zerfloss ich im Inneren, als Wärme mein ganzes Sein erfüllte.
Der Kuss war so zart, so liebevoll, wie ich es noch nie erlebt hatte.

Naevans Hände zuckten in meine Richtung, aber er hielt sich zurück, machte keine Anstalten den Kuss zu intensivieren.
Er überließ mir die Führung.

Doch dieser zärtliche Kuss reichte mir nicht.

Ich legte meine Hand an seinen Hinterkopf und zog ihm weiter zu mir runter. Gleichzeitig drängte ich mich gegen ihn, um jeden Zentimeter seines Körpers an meinen zu spüren.
Wir stöhnten beide leise auf, wie Verdurstende, die gerade ihren ersten Tropfen Wasser erhielten.

Nemesis - Kronen und GötterWhere stories live. Discover now