83

880 123 12
                                    

Nemesis
„Also, gibst du auf?"

Mit flachem Heben und Senken meiner Brust sah ich zu meinen Dämon auf. Der König, der mich Grausamkeit und Schmerz gelehrt hatte. Der das Messer jeden Tag ein Stück tiefer in meine Seele gestoßen hatte, bis ich nichts war als Blut, Rache und Tod.

Allstair hatte den verhassten Dolch ruhig auf meinen entblößten Arm angesetzt. Ich spürte die Spitze des Dolches, aber noch ritzte es nicht meine Haut. Allerdings reichte der Anblick des goldenen Griffes schon, um mich in Angst zu versetzen. Auch das Gefühl des kühlen Eisens öffnete die Schublade zu hunderten von Erinnerungen und Bestrafungen, denen ich ausgeliefert war.

Mein Herz raste mittlerweile so schnell, dass man denken könnte, es würde gleich kollabieren. Vielleicht wäre das sogar gnädiger, als die bevorstehende Folter.

Der König wartet mit der Ruhe eines Mannes, der bereits gewonnen hatte, auf meine Antwort.

War ich naiv? War es eine naive Hoffnung gewesen, mich ihm heute zu stellen? Hatte ich mich überschätzt, wie weit ich mit den Bilder klar kommen würde.

Denn hier lag ich nun. So wie die vorherigen neunzehn Jahre meines Lebens und es hatte sich nichts geändert. Ich wurde zu einem kleinen, leeren Bündel voller Angst in seiner Gegenwart.

Mein Kopf sackte nach hinten auf den Boden und meine Glieder erschlafften, während ich den Blickkontakt zum König hielt.

Ich war müde. So unfassbar müde.
Jeden Tag gegen die Erinnerungen zu kämpfen laugte mich mental aus. Jedes Mal nach einem Bad von einer Panickatacke heimgesucht zu werden, Berührungen zu verabscheuen, Angst zu Lieben, Angst zu Vertrauen, Angst sich zu öffnen.
Angst vor einem selbst und dem, wozu man fähig war. Schrecken vor der Leere in mir, wenn ich tötete.

Da musste ich jeden Tag kämpfen. Mich jeden Tag durch die Erinnerungen quälen und ihnen widerstehen. Musste mir jeden Tag einreden, dass ich nicht gebrochen war, musste mich zusammenhalten.

Und wofür? Wofür war ich geflohen? Wofür hatte ich heute gekämpft?
Wofür, wenn Allstair mich mühelos niederringen konnte. Wenn er mich geschaffen hatte und er mich auch zerstören konnte.

Warum redete ich mit ein stark zu sein, wenn ich jetzt hier lag? Wenn er mich nicht mal mit dem Schwert hatte verletzen müssen, um mich zu überwältigen.

Wieso versuchte ich mir Wert zuzusprechen, wenn der König ihn so mühelos mit den Füßen treten konnte? Wofür hatte ich mich von ihm losgesagt, wenn er mich so leicht wieder beanspruchen konnte?
Was hatte all diese verschwendete Energie, Kraft und Kampf denn für einen Sinn, wenn ich eh wieder bei Allstair landete?

Allstair lächelte kaum merklich und fuhr mir mit der Hand über die Wange, dann mit dem Daumen über meine Lippen. Ich bewegte mich nicht, sah ihn einfach nur an, ohne wirklich zu sehen.

„Gibst du auf?", fragte er erneut.

Meine Hände begannen kaum merklich zu zittern und Tränen sammelten sich in meinem Augenwinkel.

Nemesis - Kronen und GötterWhere stories live. Discover now