Kapitel 7 - Teil 1

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Wir landeten auf dem kalten Stein. Es regnete immer noch, wie vor unserem Aufbruch. Meine Schwester kam sofort auf uns zu gerannt und half mir auf. „Und?" fragte sie, „Habt ihr etwas herausgefunden?" Nein. Hatten wir nicht. Wir schwiegen. „Es ist regnerisch kalt." brachte Jace hervor.

„Ja das seh ich." erwiderte Theresa leicht wütend. „Das ist unser Hinweis." stellte ich nüchtern fest und meine Schwester schaute mich nur schockiert an. „Wie jetzt, das ist eurer Hinweis?" fragte sie und musterte uns nacheinander skeptisch.

„Wir müssen wohl oder übel auch die anderen Tore besuchen." erklärte Milan, nicht besonders begeistert. „Das wird uns nur unnötig Zeit kosten." begehrte meine Schwester auf. „Ja wird es, allerdings haben wir keine andere Wahl, dieser Ort könnte praktisch überall sein." stellte Kyle klar.

Ich kickte frustriert einen Stein mit dem Fuß weg. Jace raufte sich die Haare. Auch Theresa und Milan sahen sichtlich unzufrieden aus. „Ihr wisst schon, dass wir möglichst nach Mexiko müssen oder?" fragte Jace und schaute missmutig in die Runde.

„Wieso nach Mexiko?" fragte ich verwirrt. „Weil wir als nächstes zum Wächter des Ostens müssen." antwortet Jace genervt, als wäre es offensichtlich. „Lasst uns doch erstmal in ein Hotel gehen." versuchte Kyle die Lage zu entschärfen. Wir stimmten ihm zu, dankbar, dass einer die Führung übernahm.

Durchnässt saßen wir also im Auto und schwiegen uns an. Im Radio lief leise Musik, und ich schaute nur stumm aus dem Fenster. Dabei ließ ich die Begegnung mit Boreas Revue passieren.

Ich dachte eigentlich, dass er so um die fünfunddreißig Jahr alt war, oder zumindest so aussah. Aber es war erschreckend, wie alt er war. Seine grauen, weißblonden Haare gingen ihm bis zu den Schultern.Tiefe Falten waren in sein Gesicht gegraben.

Sein Bart konnte sowohl mit Gandalf als auch mit Dumbledore konkurrieren. Doch trotz seines Alters hatte er in keinster Weise zerbrechlich ausgesehen. Eher extrem Weise. Jace hatte mir klar gemacht, dass ich Boreas nicht einfach ansprechen konnte. Nur leider zu spät.

Ich hatte Glück, dass ich nicht bestraft wurde. Innerlich kroch die Kälte in mir hoch, als ich mich fragte, wie die Bestrafung ausgesehen hätte. Ich glaubte kaum, dass es etwas einfaches gewesen wäre, so nach dem Motto „Ich muss mich melden bevor ich etwas sage, sonst muss ich die Hausordnung aufschreiben."

*

„Ich geh schon mal rüber zu den Jungs." verkündete meine Schwester. „Ja mach das, ich geh noch schnell duschen und komm dann nach." erklärte ich und stapfte ins Bad. Kurz darauf hörte ich wie die Tür hinter Theresa zu schlug. Ich stütze mich am Waschbecken ab und schaute in den Spiegel.

Ich sah ehrlich gesagt schrecklich aus, meine Haare waren komplett durcheinander und ich hatte einige Schlammspritzer im Gesicht, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte. Ich wusste nicht, was mich so angestrengt hatte. Kyle hatte doch viel mehr Magie aufgebracht.

Magie. Es fühlte sich immer noch komisch an, dieses Wort zu benutzen. Obwohl es schon über zwei Wochen her war, dass ich fünfzehn geworden war. Es waren doch zwei Wochen oder? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Lina meinte bei unserem ersten Gespräch, ich läge seit einer Woche im Koma.

Mir stellte sich nur eine Frage: Wieso lag ich im Koma? Warum man erzählt hatte, ich würde im Krankenhaus liegen, war mir ja noch irgendwo klar, man konnte ja schlecht die Wahrheit erzählen. Aber wieso lag ich im Koma? Ich fügte es meiner schier endlosen Liste von Fragen hinzu.

Zehn Minuten später war ich dann fertig geduscht. Meine noch nassen Haare hatte ich zu einem Dutt gedreht. Ich kramte einen Pullover aus der Tasche und machte mich auf den Weg zu den Anderen.

Vor der Tür blieb ich stehen. Leises Lachen drang aus dem Zimmer, und ich hörte Stimmen. Ohne zu klopfen trat ich ein und sah wie alles ausgelassen mit einander lachten. Alle außer Kyle. Ich hätte eher erwartet das Jace nicht mit lacht, aber anscheinend konnte ich Menschen nicht besonders gut einschätzen.

Dieser saß nämlich entspannt auf seinem Bett und grinste Milan an. Bis... sein Blick auf mich fiel, als ich leise die Tür hinter mir schloss. Sein Grinsen erstarrte und sein Blick verdüsterte sich. Ich stand einen Moment geschockt da. Mit Anderen lachte er und wenn ich hereinkam, hatte er sofort schlechte Laune.

,,Was willst du hier?" fragte er mich.
,,Ich... ich dachte wir treffen uns hier." erwiderte ich geschockt. ,,Dann hast du falsch gedacht." blaffte Jace mich an. Auch die anderen musterten ihn jetzt schockiert.

Er wollte mich nicht dabei haben. In diesem Moment kam ich mir so unerwünscht vor wie schon lange nicht mehr. Ohne die Anderen zu beachten, machte ich auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Zimmer. Hinter mir schlug die Tür mit einem Krachen zu.

Ich rannte einfach. Die Flure des Hotels zogen endlos an mir vorbei. Wieso legte ich so verdammt viel Wert auf Jace's Meinung? Vielleicht lag es auch daran, dass er nur zu mir so Scheiße war? Am Fahrstuhl angekommen, drückte ich wahllos den obersten Knopf und ließ mich auf den Boden sinken, mit dem Rücken zur Tür.

Die verspiegelte Seite, die ich in Fahrstühlen immer schon sinnlos fand, zeigte mir ein verheultes Häufchen Unglück. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich mit Weinen begonnen hatte. Mit einem Rumpeln hielt der Fahrstuhl, und ich wäre beinah nach hinten umgekippt, als sich die Tür quietschend öffnete.

Schwerfällig rappelte ich mich auf. Kalte Nachtluft blies mir entgegen und ich erschauderte. Meine nassen Haare machten es nicht gerade besser, denn innerhalb von Sekunden waren diese eisig. Ein Wunder, dass sie nicht gefroren. Der Fahrstuhl fuhr wieder nach unten, wahrscheinlich hatte ihn jemand gerufen.

Ich stand also allein und verloren auf der riesigen Dachterrasse. Keine Ahnung, in welcher Stadt wir uns befanden, wir waren nicht weit gefahren. Ich trat ein paar Schritte weiter nach draußen, aus der schützenden Ecke des Fahrstuhls. Trotz meines dicken Pullover spürte ich jeden Luftzug und ich schauderte. Mir war zu kalt, aber ich musste einfach an die frische Luft.

Mit einem Bing signalisierte der Fahrstuhl, dass er wieder da war. Stirnrunzelnd drehte ich mich um, sodass ich den Fahrstuhl genau im Blick hatte. Doch nicht Jace trat heraus, um sich zu entschuldigen, sondern Kyle. Er schaute mich verlegen an und fuhr sich dann mit einer Hand durch seine Haare, die allerdings sofort wieder zerzaust wurden, als er einen Schritt aus dem Fahrstuhl machte.

"Alles gut bei dir?" fragte er mich und sein Blick glitt zu meinen nassen Haaren, als er noch einen Schritt näher trat, spürte ich eine Art.... Wärme. Nein, es war keine Wärme. Ich schaute ihn fragend an. "Ich habe die Temperaturen ausgeblendet." erklärte er bei meinem verwirrten Blick.

"Danke." sagte ich mit kratziger Stimme.
Ich wendete meine Blick wieder um und Kyle trat einen Schritt näher.
In diesem Moment kam ich mir trotz Kyle an meiner Seite so winzig vor. Winzig auf dieser Dachterrasse, die so riesig war und doch so klein.

Eine einzelne Träne rann meine Wange herunter. Ich wischte sie mit meinem Handrücken weg.

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now