Kapitel 15 - Teil 4

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Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her.
"Egal was passiert, das Gleichgewicht muss erhalten werden", schärfte sie mir ein weiteres Mal ein.
Zusätzlich zu den drei Mal, die sie es schon getan hatte. Ich nickte brav.
"Was meintest du damals, als du gesagt hast, dass ich Chaosmagie genutzt habe?", stellte ich die Frage, die mir seit Tagen auf der Seele brannte. Tatsächlich waren es erst wenige Tage und doch kam es mir vor wie ein ganzes Leben, so viel war passiert.
"Nunja", setzte sie an und lehnte sich etwas weiter in ihrem Sessel zurück, "du hast die Chaosenergie der Exiti für dich genutzt."
Die Chaosenergie, nicht die Lebensenergie wie ich erst dachte.
„Bedeutet das, dass ich jetzt.. böse bin?" Einen langen Moment sah Zephyr mich einfach nur an, so als wollte sie ergründen, was tief in meinem Inneren vorging. Sie konnte meine Gedanken lesen. Eigentlich war ich ihr schutzlos ausgeliefert. Das war unglaublich beängstigend.
„Nein", antwortete sie nach einer Weile und schaute mir direkt in die Augen.
„Du musst aufhören in Gut und Böse zu denken. Nichts ist nur schwarz oder weiß, das ist es nie."

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Aber das Chaos war doch ganz offensichtlich böse, oder nicht? Und Azriel doch auch. Welchen Grund sollte er sonst haben mir ein Messer an die Kehle zu halten und uns ständig anzugreifen, ja mir sogar zu drohen?
Dieser Satz von Zephyr verunsicherte mich mehr als ich zugeben würde.
Denn bedeutete er nicht genauso, dass die Wächter böse waren?
„Was ich eigentlich sagen will ist, dass es sowohl Gut als auch Böse geben muss, denn wenn eins von Beiden überwiegt, stürzt es die Welt in den Abgrund."

„Aber dann.. darf der Fluch nicht gebrochen werden?", fragte ich und warf einen Blick zu den Jungs. Sie schliefen immer noch, dabei waren wir nun schon einige Stunden hier.

„Der Fluch darf nicht gebrochen werden und er darf nicht in Erfüllung gehen", stellte sie richtig.

Dabei musterte sie jede Regung meines Gesichtes. Unwohl klemmte ich meine Hände unter meine Oberschenkel um das Zittern zu verbergen. Wenn er weder gebrochen werden durfte noch in Erfüllung gehen, dann... ja dann bedeutete es, dass die Welt untergehen würde.
Denn es gab nur diese zwei Möglichkeiten.
„Was hat es mit der Vergangenheit auf sich? Und mit der Prophezeiung?", wollte ich wissen und hob meinen Blick.
„Das musst du selbst herausfinden."
„Warum? Du weißt alles, warum kannst du mir nicht helfen?", fragte ich und hörte die Verzweiflung, die in meiner eigenen Stimme mitschwang.
„Du musst deinen eigenen Weg finden", erklärte sie und stand geschmeidig auf. Das Gespräch war beendet.
Enttäuscht sank ich in mich zusammen.
Dabei hatte ich noch so viele Fragen. Eigentlich hatte ich nicht wirklich etwas erfahren. Wie immer.
„Hach, wie toll. Der Apfelkuchen ist fertig", stellte sie fest und öffnete den Ofen, den ich bis dahin noch gar nicht bemerkt hatte. Ein wundervoller Duft stieg mir in die Nase und mein Magen knurrte, wie als Antwort darauf. Wann hatte ich das letzte Mal etwas Richtiges gegessen?
„Magst du ein Stück?", trällerte sie und beförderte den Kuchen nun aus dem Ofen.
„Gern", murmelte ich mit erstickter Stimme.
Das alles kam mir so grotesk vor. Gerade eben hatte sie noch über so ein ernsthaftes Thema, den womöglich, nein, den sicheren Weltuntergang, gesprochen und jetzt bot sie mir Kuchen an.
„Mit Schlagsahne?", fragte sie fröhlich. Diesmal nickte ich nur.
Zephyr drehte sich gar nicht erst um. Ich fragte mich, warum sie überhaupt den Anschein eines Gesprächs wahrte, schließlich wusste sie sowieso wie ich antworten würde.
Die Wächterin stellte ein dampfendes Stück Apfelkuchen vor mir ab und mir floss das Wasser im Mund zusammen. Die Frau, die sich wieder mir gegenüber auf den Stuhl sinken ließ, kaute genüsslich ihr Stück und schneller als ich mich versah war sie bereits fertig.
„Ich glaube, du solltest langsam von hier verschwinden", nuschelte sie mit vollem Mund während sie sich ihrem zweiten Stück widmete.
„Und Kyle und Jace?", fragte ich verwundert.
„Na die nimmst du natürlich mit", antwortete sie, so als wäre das klar. Allerdings fragte ich mich wirklich wie ich das anstellen sollte, wo genau ich überhaupt hin sollte. Schließlich wurden wir noch immer von den Praelictas verfolgt.
„Werdet ihr nicht. Denkst du ernsthaft die Beiden sind nur wegen den Kratzern so fertig?", wollte sie belustig wissen und versenkte die Gabel wieder im Kuchen.
„Also Kratzer würde ich das jetzt nicht nennen", widersprach ich. Die Schnitte waren zwar nur oberflächlich, dafür aber mehrere Zentimeter lang.
„Sie sind doch aber schon wieder wach, so schlimm kann es also gar nicht sein", setze sie ihrerseits hingegen an und an die Jungs gewandt fragte sie: „Wollt ihr auch Kuchen?"
Ich schaute über meine Schulter und tatsächlich, beiden waren wach. Jace hatte sich sogar bereits aufgesetzt und fuhr sich mit der Hand durch die zerzausten Haare.
„Kuchen?", fragte er schläfrig.
„Bin ich tot?", war sein nächster Satz.
„Nein, bist du nicht", klärte Zephyr ihn auf, die bereits um ihn herum wuselte. „Magst du jetzt Kuchen, oder nicht? Claire, hol bitte zwei Stück", wies sie mich im selben Satz an.
Konnte sie auch die Gedanken der Jungs lesen? Oder lag es einfach daran dass sie die Antworten im Voraus sah?
Während ich aufstand um  Kuchen zu besorgen, stieß ich gegen den Tisch und stolperte über eine Tischbein.
Ziemlich unbeholfen brachte ich den Beiden dann ihre Stücke, die natürlich verkrüppelt waren, aber was soll's. Sie sollten keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Die Hüter stürzten sich darauf, als hätten sie tagelang nichts gegessen. „Ich kann euch die Stücke gern einpacken", versprach Zephyr und schien dabei eher wie eine überfürsorgliche Mutter, als wie eine jahrhundertealte Wächterin mit einer so unglaublichen Macht.
„Aber jetzt müsst ihr euch wirklich beeilen, schließlich habt ihr nicht alle Zeit der Welt."

Die Welt, die sowieso untergehen würde.

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Einige haben es sicher mitbekommen: Ich habe meine ersten Kapitel überarbeitet. Das hatte auch einen Grund. Ich konnte damit einfach nicht mehr leben. Deswegen gibt es da jetzt einen ziemlich harten Übergang, das wird aber noch ausgeglichen. ^^
Wenn ihr wollt könnt ihr ihn euch noch einmal durchlesen und meinetwegen auch komplett auseinander nehmen. Logik, Rechtschreibfehler. Alles halt. :D
Die Kapitel haben jetzt auch neue Namen. Jetzt wisst ihr alle mal, was die Zahlen dahinter bedeutet haben. xD

Hüter der HimmelsrichtungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt