Kapitel 11 - Teil 1

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Der Tornado schien aus dem Nichts zu kommen und ich war mindestens genauso überrascht über das plötzliche Auftreten, wie Jace, Kyle und Milan.
Der Anflug eines Lächelns schlich sich auf mein Gesicht und ich schaute stolz zu den Jungs herauf.

Mit der Energie war es sogar relativ einfach gewesen, nicht schwerer als den Ort zu wechseln.
Es funktionierte sogar nach dem selben Prinzip, nur dass ich den Ort selbst spüren musste, weil ich ihn noch nie gesehen hatte.

Jetzt verstand ich auch, warum dieser Ort die Seele von uns widerspiegelte. Wir erschufen einen Weg zu unserer Seele, zu dem was uns ausmachte.

„Ich geb euch Rückendeckung", versprach Jace und ich stand hastig aus dem Schneidersitz auf. Ohne groß nachzudenken sprang ich in den Tornado.
Die Welt begann sich zu drehen und einen Herzschlag später befand ich mich auf dem Waldboden.

Dieser Ort war meine Seele, spiegelte mein Innerstes wieder. Ich weiß nicht was ich erwartet hatte. Doch das war es definitiv nicht. Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das bunte Blätterdach und das Laub raschelte unter meinen Füßen während ich mich im Kreis drehte, um alle Eindrücke einzufangen.

Ich fühlte mich wohl so, als wäre ich gerade angekommen. Es war mein Ort. Ganz und gar. Von den kleinen Wühlmäusen, die im Laub nach Nüssen suchten bis hin zu den Eichhörnchen, die sich ein Nest bauten. All diese kleinen Dinge machten diesen Ort aus.

Auf der einen Seite des reich bewaldeten Tales stand eine kleine Holzhütte. Auf der anderen ragte ein großer Berg weit in die Höhe, der nach oben hin immer kahler wurde.
Der kleine Bach, der sich seinen Weg durch das Tal bahnte, plätscherte fröhlich vor sich hin.

Ohne dass ich es mitbekam, standen nun auch die anderen da und musterten interessiert ihre Umgebung.
„Bei Theresa sah es ganz anders aus", kam, als einziger Kommentar, von Jace.
„Liegt wahrscheinlich daran, dass ich anders bin als sie", gab ich bissiger als beabsichtigt zurück.

„Lasst uns nicht streiten", unterband Milan die Antwort von Jace, der zum Sprechen angesetzt hatte, nun aber seinen Mund wieder schloss.
„Lasst uns lieber Zephyr suchen", fügte er hinzu.
„Ich glaube das müssen wir gar nicht mehr", wandte Kyle ein und zeigte dabei auf eine Frau mittleren Alters, die durch den Wald wanderte und auf uns zu kam.

„Zephyr, Hüterin des Westens, mein Name ist Claire und ich bin die Nachfolgerin von Theresa, der sterblichen Hüterin vor mir", sprach ich die Worte, die Jace mir vorher eingebläut hatte.
Sie musterte mich nun interessiert und ich tat es ihr gleich.

Ihre braunen Haare waren zu einem strengen Dutt im Nacken geschlungen. Ihr Kleidung war sowohl praktisch, als auch edel. Dass sie für Weiblichkeit stand, erkannte man auch sofort, da ihre Kleidung sich perfekt an ihre Kurven schmiegte. Die braune Stoffhose wirkte auf merkwürdige Weise modisch, obwohl sie bestimmt aus den 80er Jahren stammte.

Sie lächelte mir freundlich entgegen und Lachfalten umspielten ihr Augen, allerdings liesen diese sie eher jünger wirken, wie ich es bei meinen Eltern auch oft bemerkte.
„Es ist schön dich im Kreis der Hüter begrüßen zu können, Claire."

„Die Freude ist ganz meinerseits", entgegnete ich und verzog meine Mundwinkel ebenfalls zu einem Lächeln.
„Lassen wir doch die oberflächlichen Höflichkeiten. Ich hoffe der Rat hat dich bereits über alles aufgeklärt", plapperte sie freudig los und während sie das sagte, kam sie auf mich zu und legte einen Arm um mich.

„Weißt du, deine Schwester war mir auch schon so unglaublich sympathisch."
Ich schaute hilflos zu den Jungs, da mir der ganze Körperkontakt irgendwie zu viel war. Diese allerdings machten keine Anstalten mir zu helfen.
„Ich würde sagen, dass wir dann bald beginnen, oder?", wollte sie in diesem Moment wissen und ich nickte nur bestätigend, vollkommen von der Situation überrumpelt.

Sie führte mich zu dem Bach und drückte mich an den Schultern nach unten, sodass mir keine andere Wahl blieb, als Platz zu nehmen. „Du weißt was du tun musst? Sehr schön."
Ich hatte kaum eine Möglichkeit zu antworten.

„Also, ich werde meinen Geist mit deinem verbinden und du musst eigentlich nichts weiter tun als hier zu sitzen und mir Einlass zu gewähren."
Sofort wurden meine Hände schweißnass.
„Ach Schätzchen, das ist doch nicht weiter schlimm. Du wirst es kaum merken", versuchte sie mich zu beruhigen.

„Schließ einfach deine Augen und lass es geschehen."
Ich folgte ihren Anweisungen und saß nun mit geschlossenen Augen da, versuchte mich ganz auf die Geräusche zu konzentrieren um mich von dem Bevorstehenden abzulenken.
Mit Wasser malte sie einige Zeichen in mein Gesicht und in meinen Nacken.

Die Jungs hatten mir versichert, dass man sie nicht mehr sehen würde. Tatsächlich waren sie mir bei den Jungs noch nie aufgefallen, weshalb ich bezweifelte, dass man sie bei mir sehen würde. Allerdings hatten die anderen Hüter auch gemeint, dass sie dort bleiben würden.

Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass man es mir so eine lange Zeit verschwiegen hatte. Generell musste man ihnen alle Informationen aus der Nase ziehen.
„Claire, akzeptierst du dein Schicksal als Hüter und bist bereit dich mit mir, Zephyr der Wächterin des Westens, zu verbinden?", fragte Zephyr in diesem Moment.

„Ja, das bin ich", antwortete ich, wie es von mir verlangt wurde. Mit einem Mal begannen die Zeichen auf meiner Haut zu glühen, zumindest fühlte es sich so an. Ich wagte es nicht die Augen zu öffnen und so konnte ich nur erahnen was geschah.

„Bist du bereit gegen das Chaos zu kämpfen und die Ordnung mit deinem Leben zu verteidigen?", fuhr die Wächterin fort. Ich schluckte. Diese Worte waren so gewichtig, dass ich kurz zögerte, bevor ich mit Ja zustimmte.
Sofort schien die Bemalung zu gefrieren, aber es war in keinster Weise unangenehm.

„Und bist du bereit dich mit meinem Geist zu verbinden, um unsere Kräfte zu vereinen?"
Diesmal antwortete ich ohne zu zögern.
„Ja."
Ich spürte die pure Energie auf meiner Haut pulsieren.

Nun wagte ich es meine Augen zu öffnen. Zephyr und ich waren in einem Kreis aus strahlendem Licht, dass uns komplett von der Außenwelt abschirmte. Immer mehr Kraft sammelte sich in Diesem. Soviel Magie hatte ich noch nie auf einmal gespürt. Nicht einmal, als ich den Tornado erschaffen hatte.

Und dann spürte ich die Verbindung. Sie war der zwischen Jace und mir nicht so unähnlich. Nur floss viel mehr Energie zwischen uns. Und ich konnte nicht mit Zephyr kommunizieren. Sonst wäre es dezent witzlos, immer die Tore zu besuchen.

Das Licht um uns herum begann langsam abzuschwächen und auch die Zeichen auf meinen Armen hörten auf zu leuchten, sodass ich keinem Glühwürmchen mehr Konkurrenz machte.
„Die Zeichen werden nur bei Ritualen zu sehen sein, wenn du dich direkt mit mir verbindest."

Geschockt sah ich sie an. Das hatten mir die Jungs verschwiegen. Bewusst.
„Ist irgendetwas?", wollte Zephyr irritiert wissen.
„Die Bemalungen werden zu sehen sein?", japste ich. Mein Blick suchte den von Jace, welcher mich entschuldigend ansah.

Der konnte noch was erleben.
„Aber bei den Jungs habe ich sie doch auch noch nie gesehen."
„Wahrscheinlich haben sie noch nie Rituale in deiner Gegenwart getätigt", bemerkte Zephyr.
„Doch, die Reise zum Tor. Das ist doch auch ein Ritual", erwiderte ich.

„Ja, aber dabei verbinden sie sich nicht mit uns, den Wächtern."
Ich stöhnte entnervt auf. Das bedeutete, dass ich immer ein Glühwürmchen sein würde, sobald ich mich mit Zephyr verband. Tolle Vorstellung.

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now