Kapitel 13 - Teil 2

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Wie ein Häufchen Elend saß ich mitten im Gang. Blutgetränkt und erschöpft, das Schwert noch immer in meiner linken Hand. Über den gesamten Teppichboden verteilt lagen Spiegelsplitter.

Claire?"
Er hatte mich nicht vergessen. Ob er den Anderen Bescheid gegeben hatte? 
„Ich bin hier", murmelte ich schwach und schickte ihm den Ort, damit er mich finden konnte.

Einen Augenblick später stand er bereits vor mir. Mit einem schnellen Blick taxierte er den Raum und suchte nach einer möglichen Gefahr, bevor er sich mir zu wandte.

Sein Blick blieb an dem Schwert in meiner linken Hand hängen.
„Was ist passiert?", verlangte er zu erfahren.

„Azriel, er...", ich stockte, da sich meine Stimme extrem kratzig anhörte, „er hat mich angegriffen", vollendete ich meinen Satz und hob meinen Blick von seinen Schuhen, um ihn nun direkt ins Gesicht zu sehen.

Seine braunen Haare waren zerstrubelt, so als hätte er sie sich wieder und wieder gerauft. Jace zog eine Augenbraue hoch und mir fiel auf, dass ich ihn etwas zu intensiv musterte.

Ich wandte den Blick schnell ab. Jace musterte meine Reaktion spöttisch und ich schaute ihn herausfordernd an.

„Was wollte er?"
Wenn ich ihm das sagen würde, wäre ich die potentielle Verräterin. Allerdings machte es mich doch auch zur Verräterin, wenn ich nichts sagte.
Es war eine verzwickte Situation.

Und ich musste mich entscheiden.
„Er wollte mich zum Chaos bringen", brachte ich schließlich heraus.
Eine Halbwahrheit.
„Hat er auch gesagt, warum?", hakte Jace nach, so als wüsste er von meinem inneren Wettstreit.

Ich schluckte.
Jetzt war der Moment, in dem ich es ihm sagen musste. Denn wenn ich ihm jetzt verschwieg, dass meine Vorfahrinnen auf der Seite des Chaos standen, dann... Mir kam ein schrecklicher Gedanke.

Theresa.

Sie würde doch nicht? Und was war mit meiner Mutter? Standen die Beiden auf der Seite des Chaos?
Kalte Schauer der Angst rannen meinen Rücken herunter.

Nein, das würden sie nicht und außerdem hätten sie doch schon früher versucht mich auf ihre Seite zu ziehen. Oder hatten sie es schon und ich hatte es nur noch nicht bemerkt?

„Claire, was ist mit dir?", holte Jace mich aus meinen Gedanken, da er wild mit dem Finger vor meinem Gesicht schnipste. Ich holte tief Luft, bevor ich zum Sprechen ansetzte.

„Er meinte, er würde mich holen, damit ich auf seiner Seite kämpfen kann", ich stockte, schaffte es nicht die Worte über meine Lippen zu bringen, „So, wie meine Vorfahrinnen vor mir", brachte ich schließlich heraus und senkte den Blick leicht.

Der Hüter antwortete nicht, sondern stand einfach nur stumm da.
Ganz so, als würde sich in seinem Kopf ein weiteres Puzzleteil einfügen.

Mit einer einzigen flüssigen Bewegung, schneller, als ich reagieren konnte, hatte er mich hochgezogen und gegen die Wand gepresst.

Ich registrierte, dass ich vor Schreck mein Schwert fallen gelassen hatte.
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Was sollte das?

Meine Handgelenke hatte er an die Wand gepresst und hielt sie jeweils mit einer Hand fest. Mein rechter Arm tat weh und fing wieder an leicht zu bluten, doch Jace interessierte sich dafür anscheinend nicht.

„Du bist die Verräterin", stellte er fest und schaute mich mit einem finsteren Blick an. Anstelle ihm zu antworten versuchte ich meine Handgelenke zu befreien, scheiterte jedoch kläglich.

„Nein", zischte ich und schaute den Hüter der vor mir stand, finster an.
„Ich würde mich niemals dem Chaos anschließen."

Nicht nachdem, was Kyles Bruder angetan wurde. Nicht nachdem ich das wusste.
Jace schaute mich wenig überzeugt an und verstärkte seinen Griff noch.

Ein leises schmerzerfülltes Keuchen entwich mir. Doch er ließ nicht locker.
„Weiß Theresa davon?", verlangte er zu erfahren.
„Steht sie auch auf der Seite des Chaos?"

„Ich, ich weiß nicht, Nein. Ich stehe nicht auf der Seite des Chaos", verteidigte ich mich und Jace musterte mich erneut unwillig. 
„Beweis es."

Wie um alles in der Welt sollte ich es ihm beweisen?
„Wie?", hauchte ich. Der Hüter lockerte seinen Griff ein wenig, trat jedoch noch einen Schritt näher.
„Ich muss in deine Gedanken, damit du es beweisen kannst."

Nein. Er würde nicht in meine Gedanken. Aber gab es eine andere Möglichkeit? Ehrlich gesagt wusste ich es nicht. Jace sah mich auffordernd an, ganz so als erwartete er, dass ich es sowieso nicht zulassen würde.

In mir legte sich ein Schalter um. Ich hatte nichts zu verbergen, also gab es für mich keinen Grund es nicht zu machen.
„Einverstanden."

Wenn er überrascht war, dann verbarg er es gut, denn sein Gesicht zeigte keine Regung. Stattdessen spürte ich unsere Verbindung.

„Du musst deine Gedanken frei machen.", erklärte er, doch ich verstand nicht wie er das meinte. Er schien meine Unsicherheit zu bemerken.

„Denk einfach an Nichts", wies er mich an.
Dass das Unmöglich war, wusste er aber schon, oder?
Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte.

Mein Blick schweifte unruhig durch den Raum, darauf bedacht nicht den Jungen anzusehen, der vor mir stand und mich an die Wand presste.
Es machte mich nervös, keine Frage. Gleichzeitig war ich von seinem Verhalten unglaublich verletzt.

Vertraute er mir wirklich so wenig, dass er mich für eine Verräterin hielt?
„Claire!", ermahnte Jace mich und riss mich somit aus meinen Gedanken.
„Ich weiß nicht, wie ich das machen soll", gestand ich ihm und senkte meinen Blick.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein", stöhnte er und schaute mich missbilligend an.
„Doch", erwiderte ich kleinlaut und kaute unruhig auf meiner Unterlippe.
Mit einem genervten Seufzen ließ Jace meine Handgelenke los und ich rieb sie erstmal, da sie sich schon ganz taub anfühlten.

Der Hüter beobachtete jede meiner Bewegungen aufmerksam, so als befürchtete er, ich würde ihn jederzeit angreifen.
„Versuche dir Nebel vorzustellen. Nebel, der dich von allem isoliert. Schaffe eine Blase aus nichts um dich herum."

Ich schloss die Augen.
Es war das selbe Prinzip, wie beim wechseln des Ortes oder wie wenn ich Waffen oder ähnliches erschuf. Allein über die Vorstellung.

Mit zusammengepressten Augen stellte ich mir eine Blase vor, umgeben von Nebel. So, dass keine Empfindung zu mir durchdringen konnte. Nach und nach schob ich alle Gedanken von mir weg.

Vollkommene Leere umfing mich. Ich fühlte mich so, als würde ich nicht existieren.

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now