Kapitel 17 Claire - Teil 3

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Den Rest der Fahrt teilte ich mir die Rückbank mit Kyle. Jace war sowieso der Einzige der fahren durfte, also konnten wir ihn ohnehin nicht ablösen. Langsam sah man ihm die Müdigkeit an. Wir waren die Nacht durchgefahren.
Pünktlich mit den ersten Sonnenstrahlen kamen wir in London an. Leise Musik kam aus dem Radio.
„Wo genau ist jetzt die Bibliothek?", flüsterte ich fragend an Jace gewandt. Kyle war vor ungefähr einer Stunde eingeschlafen. Friedlich schlummerte er neben mir, den Mund leicht geöffnet und das dunkle Haar fiel in seine Stirn.
Jace deutete nur auf das eingebaute Navi. Gut, dann antwortete er mir eben nicht.
„Wie lang dauert es noch", hakte ich nach.
„Sag mal bist du zu blöd ein Navi zu lesen?", zischte er mich an. Gerade so laut, dass Kyle noch nicht davon aufwachte.
„Möglicherweise", blaffte ich zurück und verschränkte die Arme miteinander.
„Was ist denn jetzt schon wieder?", murmelte Kyle verschlafen. Mist. Ich war anscheinend zu laut. Warum musste Jace mich auch so auf die Palme bringen??
Der Junge neben mir rieb sich verschlafen die Augen.
Das hast du wunderbar hinbekommen." Wieso war eigentlich alles immer meine Schuld?
Er hatte mich doch provoziert. Ich ignorierte ihn einfach. Sollte er doch denken was er wollte.
„Streitet euch doch nicht immer", forderte er uns auf. Wann genau hatte er begonnen Milans Rolle als Streitschlichter einzunehmen?
Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht.
„Wir streiten nicht immer", wehrte ich ab, ließ den Satz jedoch in der Luft hängen. Eigentlich lag mir noch ein 'Manchmal zumindest nicht' auf der Zunge, aber ich ließ es weg.
Jace verdrehte die Augen und Kyle schaute mich skeptisch an. Gut, eventuell, wäre der Zusatz gut gewesen, aber jetzt ist es sowieso zu spät. Ich wollte mich damit auch nicht weiter beschäftigen. Mir war es zwar nicht egal, dass Jace mich dauernd beleidigte, aber momentan gab es wirklich wichtigere Themen. Zum Beispiel die Tatsache, dass der brünette Hüter in diesem Moment vor einem Backsteingebäude hielt.
Das war also die Nationalbibliothek Englands.
„Was ist der Plan? Suchen wir einfach nach Informationen oder fragen wir jemanden?", fragte ich, da ich das weitere Vorgehen nicht kannte.
Jace und Kyle sahen sich einen Moment an. Dabei wirkten sie beinah belustigt.
„Du glaubst doch nicht, dass wir da jetzt einfach hineinspazieren und eine Bibliothekarin fragen", brachte Jace schließlich hervor, sichtlich bemüht mich nicht auszulachen.
Wenigstens versuchte er es. Ob es ihm gelang sei dahingestellt.
Genau genommen hatte ich genau das vermutet.
„Die Bibliothek hat zwar über 25. Millionen Bücher die bis 1600 v Chr. zurückreichen, aber wir brauchen nicht die, die für alle öffentlich zugänglich sind", klärte er mich schließlich auf. Insofern man es als aufklären bezeichnen konnte. Schließlich hatte Jace nur mit unnützen Wissen um sich geworfen.
„Welche denn dann?", hakte ich also provokant nach.
„Das werden wir dir zeigen."
Jetzt wusste ich natürlich genau wovon er redete. Nicht.

Missmutig folgte ich den Beiden in die Bibliothek. Die schiere Anzahl der Bücher überwältigte mich. Das musste das Paradies sein. Dagegen wirkte unsere Stadtbibliothek geradezu mickrig.
Staunend versuchte ich alles in mich aufzunehmen. Ich hatte bereits Ewigkeiten nicht mehr gelesen. Seit die Hüter in mein Leben geplatzt waren.
Kyle, der dich hinter mir ging, schien nicht annähernd so beeindruckt wie ich.
„Wusstest du, dass ich unglaublich gern lese?", fragte er mich beiläufig. Seine Reaktion auf die ganzen Bücher sprach nicht dafür, weshalb ich das tatsächlich nicht vermutet hätte.
„Sie sind ähnlich wie Träume. Wir können einen Moment der Realität entfliehen", sinnierte er und starrte gedankenverloren auf einen Stapel Bücher, die sich bedrohlich hoch auftürmten.
„Das ist schön und gut und ich will euch auch nicht hetzen, aber wir haben dezent Zeitdruck:"
Mit diesen Worten lief Jace an uns vorbei und wir folgten ihm stumm.
Während wir Jace durch die Gänge der Bibliothek folgten, in deren Regalen sich Bücher über Bücher befanden, dachte ich über Kyles Worte nach.
Er konnte so der Realität entfliehen. Eigentlich hatte ich nichts anderes getan. Ich war der Realität entflohen, in der meine Schwester alles besser konnte als ich und meine Familie manchmal gar keine richtige Familie.
Genauso meine Träume. Sie gehörten ganz allein mir, waren einzig mein Reich.
Das war eine schöne Vorstellung, dass ich all die Jahre trotzdem etwas hatte, was meine Schwester mir nicht wegnehmen konnte.
„Claire, du gehst in die falsche Richtung." Kyle zog mich sanft an meinem Ellenbogen mit sich in einen anderen Gang.
„Wohin gehen wir denn überhaupt?", fragte ich verwirrt. Ich erkannte keinerlei System in dem Weg, den Jace einschlug.
„Zu einer geheimen Abteilung", erklärte Kyle und lief einen Schritt schneller, sodass wir wieder gleichauf mit Jace waren.
Es gab eine geheime Abteilung? Wie wollten sie die denn bitte vor so vielen Menschen geheim halten?
Ehrlich gesagt erschloss sich mir das nicht so ganz.
Das müsste ja ein jahrhundertealtes Geheimnis sein.
Wie als hätte er meine Gedanken gehört, setzte Kyle seine Ausführungen fort.
„Die Bibliothek wurde bereits vor tausenden von Jahren gegründet. Noch bevor es London überhaupt gab. Die jetzige Bibliothek ist nur das, was seit 3600 Jahren dazugekommen ist."
Nur?
Mittlerweile war ich mehr als gespannt, wie genau sie das Geheim gehalten hatten. Es gab doch sicher genügend Archäologen, die diese Bibliothek eingehend untersucht hatten.
Just in diesem Moment hielt Jace an. Ich hingegen lief weiter und stieß somit unweigerlich mit ihm zusammen.
„Pass doch auf", wies er mich patzig an und wischte sich den imaginären Staub von seinem schwarzen Hoodie.
„Tut mir leid", nuschelte ich. Ganz ehrlich, er hätte doch mal irgendetwas sagen können. Ich war schließlich in ein Gespräch vertieft.
Ich schob seine schlechte Laune einfach mal auf den Schlafmangel. Eigentlich war das nur ein Vorwand um mich nicht weiter damit zu beschäftigen, aber egal.
Jace trat einen Schritt zu der Wand und zog nacheinander vier Bücher aus dem Regal. Ich hätte beinah gelacht. Das alles war surreal. Wie in einem schlechten, mehr als klischeehaften Fantasyfilm. Bestimmt öffnete ich gleich ein Geheimgang, ausgelöst durch die Bücher und den Mechanismus dahinter.
„Wo ist denn dieser verdammte Stein", fluchte Jace vor sich hin und packte das erste Buch kurzerhand am Einband und es einmal kräftig durchzuschütteln.
Ich keuchte entsetzt auf. So ging es doch kaputt.
Erst das klare Pling des auf den Boden fallenden Steines ließ mich den Sinn verstehen.
„Was ist das für ein Stein?" Ich bückte mich um den kleine blauen Stein aufzuheben.
„Blauer Turmalin", antwortete Jace knapp, während er sich das nächste Buch schnappte und auf die gleiche Weise misshandelte.
Mit den vier Steinen, die er so in seinen Besitz brachte, lief er dann zu einer anderen Wand, wir hinterher und fügte die Steine jeweils in eine Kuhle der Ornamente.
Eine Windrose, in die die vier Steine perfekt passten.
Als er auch den Letzten einfügte, begannen sie zu leuchten. Immer heller und heller, sodass ich meine Augen schließen musste, da es mich zu sehr blendete.
Von einer Sekunde auf die andere, nicht länger als einen Wimpernschlag, erlischt dieses Licht wieder. Wo eben noch die Holzvertäfelung war, befindet sich nu ein massiver Steingang. Auf Beiden Seiten erhellen Fackeln den Gang. Unwillkürlich frage ich mich, wieso sie brennen. Vielleicht war es eine dämliche Frage, schließlich funktionierte hier alles über Magie, aber konnten Fackeln wirklich ewig brennen? Magie hin oder her.
Jace drängte an mir vorbei, schnappte sich eine Fackel aus der Halterung und bedeutete uns ihm zu folgen.
Nach kurzem zögern folge ich ihm in den Gang. Nicht sicher, was mich erwartet.

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Ich liebe ja immer diese Momente, in denen mir Donnerstag morgen einfällt, dass ein neues Kapitel kommt und es noch nicht Korrektur gelesen ist. Also äh... sorry. 😅

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now