Kapitel 12 - Teil 2

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Claire!", ertönte bereits Jace' panische Stimme in meinem Kopf. Erschrocken drehte ich mich nach allen Seiten um und ließ mich schon beinahe automatisch in Kampfhaltung fallen. Das Handy immer noch in meiner rechten Hand.
Mit meiner linken Hand griff ich nach dem Messer an meinem Gürtel.

Doch es war niemand da. In mir schrie trotzdem alles Gefahr. Ohne darüber nachzudenken rannte ich den Gang entlang, zurück zum Hotelzimmer, in dem sich die anderen Hüter aufhielten.

Ich rannte an unzähligen, gleich aussehenden, hellbraunen Holztüren vorbei.
Während ich um die Ecke sprintete, verlor ich mein Handy.
Es schlitterte einen anderen Flur entlang.

Mitten im Sprint stoppte ich und wollten Diesem hinterher rennen. Doch bevor ich dort ankam, trat eine Gestalt in mein Blickfeld.
Eine Gestalt, die sich komplett verhüllt hatte. Aber ich erkannte sie dennoch.

Azriel.

Er hatte uns gefunden.
Schon wieder.
Panik kroch in mir hoch, als die Erinnerungen an das Messer an meiner Kehle zurück kamen.
Mit einer gespenstigen Ruhe hob er das Handy auf und schaute auf das gesprungene Display.

„Claire?", ertönte Linas Stimme und kalte Schauer der Angst jagten meinen Rücken herunter. Gemächlich drückte Azriel sie weg. „Interessant", murmelte er und ließ das Handy in seine lederne Gürteltasche gleiten.
Ich beobachtete jede seiner Bewegungen und staunte über die Ruhe, die er ausstrahlte.

Mein Blick glitt über sein Auftreten.
Er trug eine schwarze, lederne Kampausrüstung, passend zu seiner Tasche.
Die Flügel, die ich beim letzten mal nicht erkennen konnte, prangten nun deutlich auf seinem Rücken.

Erstaunt musterte ich sie.
Azriel wirkte auf mich wie eine Mischung aus Mensch und Vogel.
Rabenschwarze Federn bedeckten seine Flügel.

„Ich an deiner Stelle, würde mir Sorgen um sie machen. Stell dir mal vor, was passieren würde, wenn meine Schergen sie finden", richtete er das Wort an mich.

Ich schluckte. Das wagte er nicht.
„Claire!!!", ertönte erneut Jace' aufgeregte Stimme, die immer panischer wurde.
Doch ich reagierte erneut nicht auf ihn.

Ohne darüber nachzudenken, materialisierte ich ein Messer und schleuderte es Azriel entgegen.
Doch dieser wich geschickt aus, ohne sich groß zu bewegen.

Ohne zu zögern, gab ich meine Verteidigungshaltung auf und begab mich in die Offensive. In dem schmalen Gang gestaltete sich das Alles jedoch schwieriger als gedacht.
Ich erschuf zwei weitere Messer aus dem Nichts und trat einen Schritt auf Azriel zu.
Das Alles geschah beinahe automatisch, so als würde ich seit Jahren nichts anderes machen.

Mit einer geschmeidigen Bewegung holte er ein Schwert aus seinem Gürtel. Ein Schwert, mit einem rubinbesetzten Griff. Es glänzte im Licht der Sonne, welches durch ein Fenster in der Wand hereinfiel. Doch ich hatte keine Zeit es genauer zu betrachten, denn mein Gegenüber begann einige Schritte auf mich zu zumachen.

Ich reagierte sofort und machte einige Ausweichschritte nach rechts. Azriel spiegelte dieses Verhalten. Wie zwei
Wölfe, die ihre Beute umkreisten. Er wusste genau wie ich, dass ich in einem Schwertkampf verlieren würde. Vor allem mit meinen Messern.

„Du könntest mit mir gehen, dann wird ihr nichts geschehen."
Nein, er würde ihr trotzdem etwas antun. Auf diesen Trick würde ich nicht hereinfallen. Denn spätestens wenn ich nicht redete, bräuchten sie ein neues Mittel um mich zu erpressen und dann wäre Lina nicht mehr sicher.

Nur ich konnte sie mit Hilfe der anderen Hüter beschützen, aber dafür musste ich erstmal heil aus dieser Angelegenheit heraus kommen.
Meine Augen huschten suchend durch den Raum, in der Hoffnung etwas brauchbares zu finden. Allerdings war außer dem Spiegel mit dem Tisch nichts.

Der Spiegel. Wieso war ich da nicht früher drauf gekommen. Ich setzte meine Schritte fort, während ich meinen Plan ausreifte. Sobald Azriel mit dem Rücken zum Spiegel stand, konzentrierte ich meine Kraft auf den Spiegel. Doch dabei bemerkte ich nicht, dass mein Gegenüber zum Schlag ausholte.

Unerwartet traf mich die Klinge am Arm und ich schrie auf. Schmerz durchströmte meinen Körper und Blut sprudelte aus der Wunde oberhalb meines Ellenbogens. Doch glücklicherweise war es nur mein rechter Arm. Kraftlos ließ ich das Messer fallen und holte mit dem linken Arm zum Wurf auf.

Doch ich verfehlte das Ziel und dass Messer schlug scheppernd auf den Boden auf. Mit meiner linken Hand versuchte ich die Blutung zu stoppen, während ich jede Regung von Azriel beobachtete, der vor mir stand und mich mit ausdruckslosen Augen musterte.

Wir schätzten beide ab, zu was der Gegner noch fähig war. Allerdings dauerte das nicht besonders lang, denn ich war unterlegen. Deutlich. Ich war verletzt und hatte nicht die Kräfte, die er besaß.
„Claire wo bist du? Ich habe einen Schrei gehört. Warst du das?" erklang die wütende Stimme von Jace in der auch etwas wie... Besorgnis mitschwang.

Ich ignorierte ihn weiterhin. Sollte er doch denken, was er wollte.
Das Blut rann mittlerweile meinen Arm herunter und tropfte auf den roten Teppichboden. Doch in meinem Pullover klaffte ein großes Loch und der Ärmel war blutrot.

Azriel holte erneut aus, doch diesmal wich ich aus, sodass er nur einen Teil meiner Hose aufschlitzte.
Die Hose hatte schon vorher einige Löcher, sodass dieses eine Loch nicht weiter auffallen würde.
Immer schneller musste ich ausweichen und ich bezweifelte, dass es noch länger gut gehen würde.

Ich wurde immer weiter ans Ende des Ganges gedrängt. Wenn ich ihn nur nah genug zum Spiegel bekommen würde.
Irgendwie musste ich es schaffen, dass wir die Seiten wechselten. Allerdings gestaltete sich das schwerer als gedacht, denn Azriel focht ununterbrochen weiter.

„Claire", schrie Jace in meinen Gedanken und ich spürte förmlich seine Panik. Hörte sie aus diesem einen Wort heraus.
Ich wurde immer näher gegen die Wand gedrängt.
Wenn das so weiter ging, würde ich verlieren.

„Wo bist du?", verlangte der Hüter zu erfahren. Entweder würde ich ihn um Hilfe bitten und mal wieder beweisen, dass ich komplett unfähig war, oder ich würde das alleine schaffen. Meine Entscheidung fiel im Bruchteil einer Sekunde und ich schob Jace energisch aus meinen Gedanken.

Mein Arm pochte, aber immerhin blutete es nicht mehr allzu stark.
Entschlossen schaute ich Azriel an.
Es war Zeit meine Stärken auszuspielen.

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now