Kapitel 22 Theresa Teil 3

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Nachdem ich endlich geduscht und mir frische Kleidung angezogen hatte, trat ich aus dem Bad in das kleine Hotelzimmer, das ich mir mit Julien teilte.
Doch dieser war nicht anwesend. Er hatte mir auch keine Nachricht hinterlassen.
Ich würde warten, irgendwann würde er schon wiederkommen.
Als er jedoch auch, nachdem ich meine Haare getrocknet und zu einem Zopf geflochten hatte, noch nicht da war, begann ich mir Sorgen zu machen. Kurz entschlossen zog ich mir einen dunkelblauen Pullover über meine weiße Bluse und meine braunen Lederschuhe an. Dann würde ich eben nach ihm suchen.
Ich schnappte mir die Zimmerkarte und trat auf den Gang. Unsicher, wo ich mit der Suche beginnen sollte, klopfte ich einfach auf der anderen Seite an das Zimmer von Jace und Kyle.
Jace öffnete und musterte mich einmal von oben bis unten.
„Hast du vor auszugehen?", fragte er mich spöttisch. Er selbst trug nur ein schwarzes T-Shirt und eine Jogginghose.
„Nein, ich suche Julien", gab ich bissig zurück und schaute ihn abwartend an, „hast du ihn gesehen?"
„Er ist vor einer Weile am Fenster vorbeigelaufen", erklärte Kyle, der sich gerade hinter Jace gestellt hatte.
Das Zimmert der Beiden war unordentlich. Überall lagen Sachen herum, obwohl wir die Zimmer vor maximal einer Stunde bezogen hatten.
„Es schien, als wäre er in Richtung Wald unterwegs", fügte er hinzu.
„Danke", sagte ich knapp, kehrte auf dem Absatz um und lief den Gang entlang zum Fahrstuhl.
Warum war er gegangen? Ich konnte es mir nicht erklären und hastetet deswegen durch den Eingangsbereich, als der Fahrstuhl endlich hielt.
Vor der Tür lief ich dann in die Richtung, die Kyle mir gezeigt hatte. Was wollte er überhaupt im Wald?
Ich brauchte fünf Minuten, um durch das kleine Dorf zum Waldrand zu gelangen. Doch Julien war nicht hier.
Kurz entschlossen lief ich in den Wald und versuchte den matschigen Waldboden zu ignorieren. Schon wieder dreckige Schuhe und auch der Saum meiner schwarzen skinny Jeans wieß bereits einige Flecken auf.
Wie ich dieses Wetter doch hasste. Und England gleich mit. Einzig, dass ich hier herausgefunden hatte, dass Julien meine wahre Liebe ist, machte dieses Land und den verdammten Regen, der glücklicherweise für einige Stunden aufgehört hatte, erträglich.
Ich folgte den Spuren im Match, bis ich zu einer kleinen Lichtung kam, auf der ich Stimmen hörte.
Julien redete mit jemandem. Nur mit wem?
Ich wollte nicht lauschen und überlegte deshalb, wie ich mich zu erkennen geben sollte.
Nun, zumindest überlegte ich das, bis ich meinen Namen hörte.
„Theresa ist meine wahre Liebe, wie sie gesagt haben", erklärte Julien in dem Moment irgendjemandem. Ich schlich ein wenig näher, bis ich ihn sehen konnte.
Er war allein. In seiner rechten Hand hielt er ein Smartphone an sein Ohr.
Die Antwort darauf verstand ich nicht.
„Sie vertraut mir. Ich kann sie dazu bringen den Fluch zu brechen."
Das würde ich tun jederzeit. Ich liebte ihn und der Fluch betraf auch mich, aber mit wem redete er?
Wieder verstand ich nicht, was derjenige sagte, der mit ihm telefonierte.
Aber als Julien wieder antwortete, hörte ich genau, was er sagte.
Jedes einzelne Wort. Unwiderruflich in meinen Verstand eingebrannt.
„Ich habe sie soweit, dass sie für mich sterben würde. Ich bin bereit sie zu opfern."
Nein.
Julien.
Er hatte mich verraten.
Mich.
Seine wahre Liebe.
Er war bereit mich zu opfern. Ich dachte, es wäre Liebe. Ich hatte mich sicher gefühlt. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte mich jemand verstanden.
Alle Hoffnung, dass ich es schaffen würde den Fluch zu brechen war dahin. Ich würde sterben. Egal was passieren würde. Und Julien hatte mich verraten.
Schritt für Schritt trat ich zurück. Ich erlebte alles nur wie in Watte gepackt. Als wäre der Ton ausgeknipst wurden. Als wäre der Boden unter mir nicht festgetreten, sondern weich.
Mein Kopf war leer. So leer. Ich spürte nicht einmal Schmerz. Keine Enttäuschung, keine Wut. Einfach nichts.
Ich rannte. Immer weiter weg von Julien und den anderen Hütern. Weg von meiner Schwester, die die ganze Zeit recht hatte.

Die Zukunft, die ich mir ausgemalt hatte, brach in sich zusammen. Ich würde nicht mit Julien alt werden. Er wollte es nicht. Er hatte mich nur benutzt.
Alle Hoffnung war vergebens. So selbstsüchtig es auch war. Ich wollte doch nur glücklich sein.
Ich hatte keinen Überblick darüber, wie lang ich gerannt war. Oder wie weit. Erst als ich mich auf einen Felsen am Strand fallen ließ, brach ich zusammen.
Das Rauschen des Meeres überdeckte meine Schluchzer, während ich bitterlich weinte. Ich konnte hier nicht länger sein. Hier, wo ich mich in Julien verliebt hatte.
Doch auch, wenn ich hier wegwollte, fühlte ich mich dennoch wohl an diesem Ort. So sehr ich ihn auch hassen wollte. So sehr liebte ich ihn.
Und ich verfluchte diese Hüter. Diesen verdammten Rat. Ja sogar mich selbst.
Warum konnte ich nicht einfach ein normaler Mensch sein? Zum ersten Mal im Leben wünschte ich mir nichts anderes. Nur Normalität. Nicht die Aufmerksamkeit, nach der ich mich sonst so sehnte. Nicht die Perfektion, die ich immer erlangen wollte.
Ich wünschte mir nur ein normales Leben. Ein Leben, in dem ich mich in Julien verliebte und es keinen Fluch gab. Keinen Rat. Keine Hüter. Nur uns zwei.
Wie wir alt wurden.
Doch für diese Träume war es bereits zu spät. Ich würde nicht mit ihm alt werden. Er wollte es nicht. Julien hatte sich entschlossen mich zu opfern. Mich, seine wahre Liebe sterben zu lassen.
Irgendetwas in meinem Herzen riss.
Es war nicht dieser Teil, ohne den man nicht weiter leben will. Nein. Es war der, ohne den es nicht mehr geht.
Ich würde sterben. Und es war mir egal.

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Ich freue mich gerade, dass die Absätze weg sind. 😁
Das ist nun das erste Kapitel der Lesewoche.
Es gibt also Grund zum Feiern.🎉

Eure Meinung zu Theresa?

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