Julien

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„Wir stehen nicht auf einer Seite", widersprach ich. Zumindest laut meinem Vater und da dieser auf meiner Seite stand, war die logische Schlussfolgerung, dass Azriel mein Feind war.

„Du könntest ja wenigsten zuhören."
„Nenn mir einen Grund dir zu vertrauen."
Einen Moment schien er abzuwägen. Ich wartete angespannt, jederzeit bereit mich zu verteidigen.
„Ich weiß, wer die Nachfahrin von Morighan ist", erklärte er schließlich.
„Und wer genau ist das?", wollte ich wissen und schielte zu der untersetzten Bibliothekarin, um mich zu vergewissern, dass diese nichts gegen mich plante.
„Wenn ich dir das jetzt verraten würde, wäre es doch kein Grund mir zu vertrauen", antwortete er spöttisch und stieß sich von dem Regal ab, an dem er lehnte.
Das war es sowieso nicht. Ein Druckmittel - ja. Ein Grund - nicht wirklich.
„Und wie hast du vor den Fluch zu brechen", forschte ich weiter, um ein Gespür für meinen Gegenüber zu bekommen, so wie es auch mein Vater bei seinen Verhandlungspartner tat.
„Gar nicht. Das ist unsere einzige Möglichkeit. Sonst siegt die Ordnung."
„Aber sollte die Ordnung nicht siegen? Was bringt uns Unordnung?", hakte ich verwundert nach, „und was passiert mit mir, wenn der Fluch gebrochen wird?"
Azriel musterte mich einen Moment abschätzig, bevor er zum Reden ansetzte.
„Wir werden den Fluch nicht brechen." Er sagte das ohne Emotionen in der Stimme. Völlig abgeklärt.
Dann standen wir nicht auf einer Seite. Zumindest hatte ich es so verstanden, dass dieser Fluch gebrochen werden musste. Denn sonst würde meine Frau bei der Geburt meines Kindes sterben.
Ohne zu überlegen, wirbelt ich herum und sprintete aus der Bibliothek.
Davor fand ich mich erstmal im geschäftigen Treiben der Menschen wieder. Während ich mir einen Weg durch die Menge bahnte, blickte ich mich immer wieder um. Sowohl Azriel als auch die grimmige kleine Frau waren mir gefolgt und versuchten mich nun ausfindig zu machen.
Verdammt. Was sollte das denn überhaupt? Wieso hatte mein Vater mir nie von diesem Fluch erzählt? Dann wäre ich eventuell vorbereiteter gewesen.
Immer weiter rannte ich, geradewegs auf die Straßenbahn zu, die gerade die Türen schloss. Mit einem Satz sprang ich gerade so hinein, bevor sie losfuhr und mich somit von Azriel und dem Drachen wegbrachte.
Ich musste nach Hause. Jetzt.
Und dann würde ich das Arbeitszimmer meines Vaters durchsuchen.
Wehmütig dachte ich an die Bücher, die ich leider zurücklassen musste.
Ich würde einen anderen Weg finden um an Informationen zu gelangen.

*

Schon als ich unser Haus beträgt, spürte ich, dass irgendetwas anders war als sonst. Die Schuhe, die mein Vater sonst immer fein säuberlich aufreihte, waren durcheinander. Außerdem hingen zwei fremde Mäntel an unserem Kleiderständer.
Misstrauisch streifte ich meine Schuhe ab und reihte sie neben denen meines Vaters ein, bevor ich den Flur entlang zu seinem Arbeitszimmer lief.
Wenn er Geschäftsbesuch hatte, dann war er nicht in seinem Arbeitszimmer. Das war meine Chance.
Ohne zu klopfen, wie ich es sonst tat, öffnete ich die Tür und blieb erst einmal wie erstarrt stehen.
Mein Vater hatte den Besuch nicht wie erwartet in sein offizielles Arbeitszimmer, in dem er normalerweise Leute empfing, geholt, sondern hier her gebracht.
Allein dieser Umstand war ungewöhnlich und gab mir zu denken.
„Julien, wie schön, dass du da bist", begrüßte mein Vater mich.
Spätestens jetzt war ich argwöhnisch. Mein Vater hätte mich unter normalen Umständen niemals so begrüßt.
Eigentlich hätte er mich mit deutlichem Nachdruck aus dem Zimmer verwiesen. Gerade so, dass er meine Autorität nicht vollkommen untergrub, jedoch trotzdem, seine Stellung vor seinen Gästen verdeutlichte.
Ganz abgesehen davon, dass er ein Wort wie 'schön' niemals in den Mund nahm.
„Ich wollte nicht stören", überging ich seine Aussage und deutet mit einem Nicken in Richtung der beiden Männer, die ich erst jetzt eingehend musterte.
Einer der Beiden trug einen Zylinder, was eigentlich nicht der aktuellen Mode entsprach. Geschäftsleute, vor allem an der Börse, hielten sich an den Dresscode. Außerdem schien er schon älter zu sein. Also entweder kein Geschäftsmann, was sehr ungewöhnlich wäre, oder einer der alten Aristokraten, die mit eiserner Macht an ihrem Wohlstand festhielten und über jüngere Aktionäre versuchten diesen letzten Rest Wohlstand zu vermehren.
Der Andere, ein Untersetzer Mann mit schütterem Haar, schien eher sein Assistent zu sein. Nicht nur, dass er gebückter ging, trotzdem er um einiges jünger war, nein, er stand auch einige Schritte hinter dem alten Herren.
„Du störst doch nicht", widersprach mein Vater, der lässig und dennoch autoritär in seinem Sessel saß, vor dem Alten Gemälde. Jeden anderen hätte der Sessel verschluckt, doch Vater sah nur noch mächtiger aus. Obwohl wir Anderen standen, schaffte er es auf uns herabzublicken.
Seine Aussage allerdings machte mich noch misstrauischer als ich ohnehin schon war.
Er wirkte beinah zufrieden. Nein, zufrieden war er schon, wenn sich eine Investition gelohnt hatte.
Seine Lippen wurden von einem Lächeln umspielt. Etwas, was ich bei ihm noch nie gesehen hatte. Es war keines dieser aufgesetzten Lächeln, die er oft in der Gesellschaft verwendete, wirkte aber auch nicht echt.
„Ich möchte dir Mr. Reeker und Mr. Roosevelt vorstellen", erklärte er und deute dabei zuerst auf den Älteren mit Zylinder und dann auf den Untersetzten.
„Sie haben uns ein Angebot zu unterbreiten", fuhr er fort und lehnte sich ein kaum merklich in seinem Sessel zurück.
Mr. Reeker kam einen Schritt auf mich zu und sein Begleiter folgte ihm.
„Es freut uns dich kennenzulernen, Julien", sprach er mich an und steckte mir die Hand aus, die in einem weißen Handschuhe steckte. Skeptisch ergriff ich sie. Trotz der Handschuhe spürte ich die Kälte, die von dem Mann auszugehen schien.
Glücklicherweise ließ er sie schon wieder los, sodass ich mir keine Gedanken machen musste, wie ich meine Hand möglichst höflich zurückziehen konnte.
„Wie dein Vater bereits sagte, haben wir ein Angebot für dich. Oder eher eine Möglichkeit. Wir können dafür sorgen, dass der Fluch gebrochen wird", erklärte er und rückte seine Brille mit den runden Gläsern zurecht.
„Was ist der Haken?", fragte ich. Mein Vater hatte mir immer beigebracht nach dem Haken zu fragen.
„Es gibt keinen Haken", erwiderte er.
Genauso wie er mir beigebracht hatte, dass es immer einen einen Haken gab.
„Wir bieten dir lediglich eine Chance um deine Vorfahren zu rächen. Ob du sie nutzt, liegt ganz bei dir."

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Ja, die Updates sind eventuell unregelmäßig.
Und sie sind noch nicht kontrolliert.
Das tut mir leid. 
Ich hoffe ihr nehmt es mir nicht übel und holt nicht die Meute.
Schönes Wochenende euch

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now