Kapitel 22 Theresa Teil 4

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Während die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand, hatte ich mich allmählich wieder beruhigt.

Gerade als ich bereit war, wieder zu den Anderen zu gehen, sah ich eine einzelne Gestalt, die die Klippen oberhalb des Strandes erklomm. Claire.

Ich würde mich ihr anschließen. Sie hatte mich vor Julien gewarnt. Sie würde auf meiner Seite stehen.

Hastig sprang ich auf und rannte den Weg hinauf, der vom Strand zu den Klippen führte.

„Claire", rief ich schon von weitem, obwohl sie mich wahrscheinlich nicht hören konnte, da das Rauschen des Meeres beinah alles übertönte.

Als ich endlich bei ihr ankam, ignorierte sie mich. Meine Schwester starrte einfach nur auf das Meer hinaus.

„Was machst du hier?", wollte ich wissen und trat neben sie.
„Das Gleiche könnte ich dich auch fragen", erwiderte sie kühl, ohne den Blick vom Horizont abzuwenden.

„Ich möchte mich dir anschließen", brachte ich heraus und trat unruhig von einem Fuß auf den Anderen.

Claire drehte sich zu mir um und musterte mich abschätzig.

„Wieso sollte ich dir das glauben?", fragte sie misstrauisch.

Ich schluckte hart. Unter ihrem Blick fühlte ich mich nicht besser. Es war ein Fehler gewesen ihr nicht zu vertrauen.

„Theresa, spiel kein falsches Spiel mit mir. Du wirst nicht an Informationen kommen, nur weil du so tust, als hättest du es dir anders überlegt", giftete sie mich an und kickte einen kleinen Stein weg.

„Ich bin keine Spionin", gab ich zurück und straffte meine Schultern. Ich wollte keinen so jämmerlichen Anblick abgeben.

„Wieso solltest du dann hier angekrochen kommen?", hakte sie nach und trat drohend einen Schritt auf mich zu. So hatte ich sie noch nie erlebt.

Sie wirkte beinah gefährlich im Licht der Dämmerung. Obwohl sie kleiner war als ich, fühlte ich mir körperlich unterlegen. Auch wenn ich Ballett getanzt hatte, schien sie sich besser zu kontrollieren.

Was war geschehen? Wann hatte sie sich so stark entwickelt?

„Ich habe ein Gespräch belauscht", setzte ich an und versuchte meiner Stimme einen festen Ton zu geben, was mir jedoch nicht wirklich gelang.

„Julien, er ... er hat mit dem Rat gesprochen." Ich holte tief Luft, bevor ich auch den letzten Satz über meine Lippen brachte. „Er ist bereit mich zu opfern."

Claire stand einen Moment erstarrt da, bevor sie sich wieder fing.

„Er will dich opfern?" Würde ich sie nicht so lange kennen hätte ich den Schock aus der Stimme meiner Schwester niemals heraushören können.

So aber sprang er mir förmlich entgegen. Es war tiefe Bestürzung. Sie hatte mich vor ihm gewarnt. Doch damit hatte sie anscheinend nicht gerechnet.

„Er hat gesagt, dass ich sterben werde. Dass ich mein Leben geben muss, um den Fluch zu brechen", wiederholte ich hastig die wichtigsten Informationen aus Angst sie würde mir sonst nicht lang genug zuhören.

Aufmerksam beobachtete ich jede Regung ihres Gesichtes. Der Ausdruck in ihren Augen wechselte von schockiert zu verbittert.

„Er war bereit mich zu opfern", fügte ich leise hinzu, „und es hat ihm nichts ausgemacht."

Ich wusste, dass es für mich keine Wahl gab. Ich würde sterben. So oder so. Aber die Tatsache, dass Julien mich nur... benutzte, um sein Ziel zu erreichen machte mich unendlich traurig.

„Was hast du vor?", wollte Claire von mir wissen und starrte mich abwartend an.
„Was ich vorhabe?", fragte ich irritiert. Ich hatte erwartet, dass sie bereits einen Plan hatte. Irgendetwas, was ich nur noch ausführen musste.

„Du bist die, die verraten wurde. Was erwartest du? Ich habe einen Plan, ja, aber ich möchte erst herausfinden, ob er mit deinen Vorstellungen übereinstimmt", erklärte sie geduldig.

Der Wind blies heftig und zerzauste ihre dunklen Haare.

„Ich. Ich möchte...", ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich wollte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich kein Ziel. Nichts, auf das ich hinarbeiten konnte.

Was war mein Leben denn überhaupt noch wert? Ohne alles. Ohne die Perfektion.

Ohne Julien.

„Wie kann ich dir helfen?", fragte ich schließlich.

„Nun", setzte Claire an und setzte sich im Schneidersitz direkt auf den Boden. Ich folgte ihrem Beispiel und ließ mich neben sie fallen.

„Du kannst mir helfen den Fluch zu... verzögern", erklärte sie.

„Was meinst du damit?", hakte ich verwundert nach. Der Rat hatte uns immer wieder erzählt, dass uns die Zeit davon lief.

„Du kannst uns Zeit verschaffen. Ein paar Monate, vielleicht Jahre", fuhr sie fort. „Du müsstest dein Leben nicht in den Fluch legen und wir hätten genug Zeit, um uns eine andere Lösung zu überlegen. Wir. Gemeinsam."

Es würde nichts nutzen. Der Fluch wäre nur aufgeschoben.

„Unser Ziel ist es nicht den Fluch zu brechen Theresa", antwortete Claire. Als hätte sie meine Gedanken gehört.

„Ich werde trotzdem sterben, oder? Der Fluch besagt doch, dass die wahre Liebe von Arthurs Nachfahren im Feuer verbrennen. So wie einst Morighan verbrannt ist", wandte ich ein.

„Du würdest nicht sterben, bis der Fluch in Erfüllung geht. Wir könnten eine Lösung finden, um die gesamte Chaosmagie freizusetzen, ohne dass du stirbst", erläuterte sie und sprach eindringlich auf mich ein.

„Gäbe es keine andere Möglichkeit?", forschte ich nach.
„Es gäbe eine, allerdings müsstest du dich auch für diese Möglichkeit opfern", beantwortete Claire meine Frage.

„Und die wäre?"

„Nein." Die Stimme meiner Schwester klang entschlossen. „Ich bin nicht bereit dich für einen Fluch zu opfern."

Aber ich war es. Ich wusste, was ich wollte. Rache. An Julien. Und am Rat.

„Was wäre, wenn wir einen neuen Fluch erschaffen?", wollte ich wissen und Claires Blick verhärtete sich.

„Ich sagte nein. Der Fluch wird morgen in Erfüllung gehen, du wirst ihn aufhalten und danach mit uns kommen. Wir finden einen Weg, um die Macht des Fluches zu nutzen, aber nicht, wenn dein Leben davon abhängt", widersprach meine Schwester mir aufgebracht und gestikulierte dabei mit ihren Händen um ihren Standpunkt und unseren Plan zu verdeutlichen.

Ich wusste, was ich tun würde. Ich würde den Fluch in Erfüllung gehen lassen.
Und Julien mit mir ins Verderben reißen.

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Meinung zu Theresa?

Meinung zu Julien?

Meinung zu Claire?

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now