Jace

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Ein Geräusch weckte mich und ich öffnete meine Augen leicht. Gerade so, dass es niemand merken würde.
Das Bild, das sich mir bot, ließ mich einen Moment stocken. Claire, die gerade leise aufstand. Was hatte sie vor? Sie würde doch nicht...? Nein, abhauen kam nicht in Frage. Schließlich war Kyle hier.

Einen Moment fragte ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn sie uns jetzt verlassen würde. Allerdings hatte ich die Vermutung, dass es dann schlecht für sie ausgehen würde.

Mein Blick wanderte zu Kyle, um zu schauen, ob er etwas davon wusste. Doch er schlief noch friedlich und schien nichts davon mitzubekommen, dass Claire sich aus dem Staub machte. Ich wandte meinen Blick wieder ihr zu und musterte sie. Gerade trug sie nur ein viel zu großes T-Shirt und ich fragte mich unwillkürlich, ob es Kyle gehörte.

Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit, doch ich vertrieb es schnell wieder. Claire hatte sich mit dem Rücken zu mir gedreht und suchte irgendetwas in ihrem Rucksack. Nach einer Weile schien sie es gefunden zu haben und zog eine Männerhose, die ich schon oft an ihr gesehen hatte, sowie einen Anti-Atomkraft-Pullover heraus.

Mal wieder wunderte ich mich über ihren Kleidungsstil. Theresa war immer perfekt gekleidet, alles passte ihr wie angegossen und sie achtete sehr auf ihr Aussehen. Im Gegensatz zu Claire. Ich fragte mich, ob es eine Art Abwehrhaltung war.

Nachdem sie sich umgezogen hatte, fischte sie noch ihr Handy aus der Tasche und schlich dann auf leisen Sohlen zur Tür.
„Wo willst du hin?", wollte ich von ihr wissen, da sie keine Anstalten machte, irgendjemandem Bescheid zu geben.

Wenn die Schergen des Chaos informiert waren, könnte das böse enden.
Raus", lautete ihre knappe Antwort und die Wut in ihrer Stimme ließ mich zusammenzucken.

Du kannst nicht einfach rausgehen. Das ist alleine viel zu gefährlich", widersprach ich, da sie mit ihrem hübschen Sturkopf sonst noch etwas anstellen würde. Ich war mir ziemlich sicher, dass Kyle gar nicht genügend Zeit haben würde zu reagieren und so würde alles an mir hängen bleiben.

Sie schaute mich nur irritiert an und schien gar nicht zu wissen, in was für eine Gefahr sie sich brachte.
Seit wann interessiert dich das?", meinte sie spöttisch. Es interessierte mich schon immer. Das hätte ich ihr am liebsten hinterhergerufen, als sie zur Tür marschierte und auf den Gang hinaus trat.

Was war nur los? Dieses Mädchen machte mich verrückt. Zum einen hatte ich diesen Hass, den ich mir in keinster Weise erklären konnte und zum Anderen gab es diese Verbindung. Eurus meinte ich müsste selbst herausfinden, was es damit auf sich hatte. Doch ich war keinen Schritt weiter gekommen.

In jeder freien Minute hatte ich in Büchern nach Antworten gesucht. Zugegeben, viel Zeit war es nicht gewesen, aber einen Versuch war es wert. Der einzige Anhaltspunkt war eine rituelle Bindung, die allerdings unmöglich war, da beide damit einverstanden sein müssten und wir überhaupt kein Ritual durchgeführt hatten.

Die einzige Bindung, die man nicht kontrollieren konnte war die der wahren Liebe. Aber das wäre nicht möglich. Niemals. Denn sowohl Claire als auch ich hätten es gemerkt.

Ein Schrei riss mich aus meinen Gedanken. Claire. Ihr war etwas zugestoßen. Kalte Schauer der Angst krochen meinen Rücken hinab.

Claire!", schrie ich panisch und sprang auf. Mit einer fließenden Bewegung griff ich nach meiner Hose und zog sie an. Meine Schuhe standen direkt neben der Tür und ich schlüpfte hastig rein.
Noch bevor die Anderen überhaupt aufwachten, stand ich schon vor der Tür im Gang und materialisierte zwei Messer.

Claire!!!", rief ich erneut, doch erhielt keine Antwort. Nicht einmal eine Reaktion. Verflucht, was war los? War sie es, die geschrien hatte? Nein, es klang nicht nach ihr. Trotzdem kroch Panik in mir hoch. Ein einziger Gedanke fand in meinem Kopf platz. Ihr durfte nichts passieren.

Ohne darüber nachzudenken, rannte ich den Gang entlang. Obwohl ich nichtmal genau wusste, wo Claire war. Ich musste die Hüterin finden, koste es was es wolle. Denn alleine konnte sie sich nicht verteidigen. Das hatte ich bereits oft genug gesehen.

Claire wo bist du? Ich habe einen Schrei gehört, warst du das?", wollte ich wissen und versuchte meiner Stimme noch mehr Nachdruck zu verleihen.
Weiterhin war nichts als Stille.

Was ist wenn ihr was passiert ist? Meine Gedanken waren nur noch darauf fixiert sie zu retten.

Claire", schrie ich erneut , doch sie antwortete wieder nicht. Wieso nicht? Konnte sie nicht oder wollte sie nicht?
Ob ich wollte oder nicht, ich machte mir allmählich Sorgen um die Hüterin, obwohl ich sie nicht einmal sonderlich mochte.

„Wo bist du?", verlangte ich zu erfahren.
Erhielt jedoch noch immer keine Antwort. Langsam aber sicher wurde ich wütend. Wenn sie mir aus Trotz nicht antwortete, dann war das echt leichtsinnig von ihr.

Claire!", rief ich erneut wütend, da sie immer noch nicht antwortete.
Es war zum Haare raufen. Während ich wahllos die Hotelgänge entlang hastete, strich ich mir die Haare aus dem Gesicht, was jedoch nichts brachte, da sie direkt wieder zurückfielen.

Claire finden. Claire finden. Claire finden.
Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn sie in Gefahr geraten war, denn ich hätte sie aufhalten können.

Jace!!", ertönte ihre Stimme und ich atmete erleichtert aus. Sie lebte. Ihr ging es gut. Ich hatte das Gefühl, dass ich es durch unsere Verbindung gespürt hätte, wenn sie gestorben wäre. Denn seit sie mit mir verbunden war, war da diese Wärme in meiner Brust.

Wo bist du, Claire?", fragte ich ohne zu zögern.
Ich bin im Hotel, warte ich schicke dir die Eindrücke."
Ich war noch nie so froh ihre Stimme zu hören, wie jetzt in diesem Augenblick.
Im nächsten Moment schickte sie mir bereits die Eindrücke des Ortes.

Ich sah Narzissen, die in einer Vase standen, einen Spiegel, der das Licht reflektierte und Sonnenstrahlen, die durch das Fenster am Ende des Ganges hineinfielen. Ich nahm all diese Empfindungen in mich auf und konzentrierte mich einzig auf diesen Ort.

Ich wechselte zu ihr, doch bevor ich es schaffte, prallte ich... gegen eine Wand.
Wieso konnte ich nicht weiter?
Erneut versuchte ich zu ihr zu gelangen, doch wieder und wieder wurde ich aufgehalten.

Angst stieg in mir auf.

Ich konnte nicht zu ihr.

Hüter der HimmelsrichtungenWhere stories live. Discover now