#76 Sex-Scheide

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Perspektive Thomas "Tommi" Schmitt

"You had a ticket to my heart but you threw it away"

Ihre anglizistische Seite war mir immer symphatisch und hat mich oft zum Lachen gebracht.
Gerade versetzt mir dieser Satz jedoch einen Stich in das Herz. Nichts zuvor hat mich so aus der Bahn geworfen.
So stark wie nie zuvor werde ich von ihren Worten erschüttert. Dabei ist sie nicht einmal hier.
Schon oft hat sie mich beleidigt, keine netten Sachen gesagt.
Das kleine, unordentlich von einem Werbeblock der Firma, für die sie arbeitet abgerissene Papier, ist eigentlich ziemlich stumm, wie es so vor mir auf der Küchenzeile weilt.
Als ich es in die Hand nehme und seine Worte lese, schreit es mich an. Viel zu laut. So laut, dass es ich vor Schreck wegwerfe und mich abstützen muss.
Ihr Wohnungstürschlüssel liegt neben dem Zettel. Bis vor einigen Monaten fand ich dieses Muster unglaublich schön. Jetzt ekelt es mich an. Ich will ihn wegschmeißen, zerbrechen, einschmelzen, in den Rhein werfen, verschwinden lassen.

Aber das kann ich nicht tun. Mein Gewissen hindert mich daran. Ich muss ihn ihr wiedergeben.
Nervös werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr und vergleiche die Zeit mit der an der Wand. Sie geht 27 Sekunden vor. Selina müsste in einer viertel Stunde hier sein.
Innerlich aufgebracht wende ich meinen Blick ab und greife den Zettel, zerknülle ihn. Ich sehe mich um, will ihn an die Wand, irgendwo hinwerfen. Mir gefiel die Wohnung eigentlich immer, sie ist hell und offen, die Räume sind schön und ästhetisch verteilt. Aber jetzt schreit auch sie mich an, ohne, dass es jemand hören kann, ohne Skrupel, sie haben sich verbündet. Alle gegen einen. Gegen mich.

Ich schaffe es gerade so, mich zu kontrollieren. Nicht, dass so ein kleines Blatt großen Schaden anrichten würde- ich tue es trotzdem nicht.
Ich muss Fassung bewahren, wenn ich meine Ex-Freundin gleich wiedersehe.

Felix weiß davon nichts. Er weiß, dass ich in Köln bin, um zu arbeiten. So weit stimmt das auch. Dass ich in Selinas Wohnung bin, einige Sachen von ihr hole und mit ihr reden werde, weiß er nicht.
Unsicher werfe ich einen Blick auf die riesige blaue IKEA-Tasche, in der unter anderem Klamotten und Einrichtungsgegenstände von mir sind. Einiges hat sie bereits zusammengesammelt, anderes musste ich selbst finden.

Der Anblick der Tasche bereitet mir tiefstes Unbehagen. Es fühlt sich so an, als hätte mir Selina diesen Teil meines Lebens genommen und ich müsste ihn mir jetzt zurückholen, gegen ihren Willen.
Und ich weiß, dass es eigentlich anders ist, dass ich mit ihr zusammen war, mich ihr hingegeben habe, fast bei ihr eingezogen bin und meine Sachen freiwillig hier gelassen habe. Aber niemand von uns hat diese Entwicklung vorhersehen können.
Je länger ich die Tasche anstarre, desto unwohler wird mir.
Ich hole mein Handy aus der Hosentasche und schreibe meinem Freund.
<<Können wir dann telefonieren?>>
Ich weiß, dass er heute Organisatorisches und Bürokram erledigen wollte.

Eine Antwort kommt wenige Minuten später, in der Sekunde, in der meine Ex-Freundin die Tür zu ihrer Wohnung aufsperrt.
Ich schaue von meinem Handy auf und kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Das erschreckt mich.

"Hi, Tommi. Wie geht's?" sagt sie, während sie sich ihre Jacke auszieht und die Tasche hinter mir beäugt. Auch ihr Nicken kann ich nicht deuten- ist es anerkennend, prüfend, abwertend oder einfach nur neutral?
"Hallo." sage ich und lächle verhalten, habe erst den Instinkt, ihr die Hand zu geben, weil sie mir so fremd vorkommt.
Sie legt stattdessen ihre Hand an meinen Oberarm.

"Hast du alles?" will sie wissen, ich missverstehe ihre Frage erst als "Hast du sie noch alle?" und schaue kurz verwundert, ehe ich dann realisiere, was sie gesagt hat und nicke. Obwohl ich mir dessen nicht einmal sicher bin.
"Dann...die Schlüssel noch." meint sie und sieht sich nervös um.
Es scheint, als wolle sie das Ganze schnell klären, was mir einerseits viele Gedanken und Worte erspart, andererseits missfällt.
Eigentlich will ich das mit ihr aus der Welt schaffen. Ein für alle Mal. Ihr erklären, warum, wie, wer, was und wo. Dass ich mit Felix und nicht mehr mit ihr zusammen bin. Dass ich die meiste Zeit in Berlin und nicht mehr hier in Köln bin. Dass er der Mittelpunkt meines Lebens ist, nicht mehr sie.
Aber wenn sie so vor mir steht, kann ich nicht sagen, ob ich das schaffe.

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