#39 Weniger Applaus

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Perspektive Felix Manuel Lobrecht

"Was trinken wir heute eigentlich alles?" fragt Selina selbstverständlich, als wäre meine Wohnung eine Bar.
Gut, normalerweise ist sie das auch.
Aber momentan ist Nichts normal.
Und selbst wenn, nicht für sie.
Auch Tommi schaut mich fragend an.
Es ist ja nicht so, als wäre er die letzten Wochen hier gewesen und wüsste, was ich im Kühlschrank in der Abstellkammer habe.

Meinen Vorrat habe ich tatsächlich aus dem Kopf verloren, weshalb ich ihnen anbiete, selbst nachzuschauen.
"Du weißt ja, wo der kleine Kühlschrank steht." nicke ich Tommi zu und zeige mit dem Kopf Richtung Flur.
Das Paar steht auf, sie nimmt seine Hand und sie verlassen gemeinsam den Raum.
Ich bleibe sitzen und lasse so leise wie möglich den Kopf auf den Tisch fallen.
Die sollen nicht auf die Idee kommen, in diesem Raum sich zu küssen, geschweige denn, Sex zu haben oder Ähnliches.
Wenn ich das herausfinde oder höre, lasse ich das Zimmer grundsanieren.

In den zehn Minuten, in denen sie weg sind, weiß ich nicht, ob ich mir die Schmatzgeräusche nur einbilde.
Ich hoffe es.

"Du hast noch zwei Misch-Flaschen Lean da. Die können wir doch trinken, oder?" fragt Selina, als sie wieder da sind und streicht sich mit der rechten Hand eine wilde Strähne aus dem Gesicht.
An der Linken hängt Tommi.
Ich nicke. "Klar. Dafür sind sie ja da."

Lean. Warum muss es Lean sein?
"Lean trinken mit Tommi Schmitt" steht auf meiner verdammten bucket list, die ich nie geführt habe.

Ich will ja nicht sagen, Selina versaut Alles.
Aber Selina versaut Alles.
Mit ihrer Art, sich in meiner Wohnung wie zu Hause zu fühlen, sich wie ein Teenager zu verhalten und Tommi zu 100% in Anspruch zu nehmen, übertreibt sie einfach.

Mit den Sekunden, die unaufhaltbar fortwandern, höre ich auf, mich zu zwingen, positive Eigenschaften an ihr zu suchen.
Dass Tommi, der mir in den letzten Wochen so viel Kraft und Sicherheit gegeben hat, wie sonst kein Anderer, neben ihr steht und sie immer wieder küsst, gibt mir den Rest.
Daraus kann ich jedoch nicht auf das schließen, was vor wenigen Sekunden in meiner Abstellkammer passierte. Wenn überhaupt etwas passierte.

Wie in einem Film sehe ich in Zeitlupe und bewegter Nahaufnahme, dass ihre Hand während des Kusses in Richtung seines Halses wandert.
Anhand seines Gesichtes erkenne ich, dass Tommi das nicht wahrnimmt.
Mit einem Zischen reagiert er darauf, dass sie sich an seinem Nacken festhält und auf seine Initiative hin lösen sich schlagartig.

"Was ist denn, Schatz?"
Ehrlich gesagt hätte ich einen anderen Kosenamen erwartet. "Mausebär" als Aussage würde zu ihr passen.
Unsicher fährt er sich durch die Haare.
"Ich...mein.......Hals..."
Weiter kommt Tommi nicht; er unterbricht seine Erklärung selbst und greift nach ihrer Hand, die für wenige Sekunden an seinem Hals weilte und verschränkt ihre Finger. Die Hände hängen nun neben den Körpern und Tommi ergreift erneut die Initiative:
Verdutzt schaut sie ihn an und ist von dem erneuten Aufeinandertreffen ihrer Lippen offensichtlich überrascht.

Mich ekelt der Anblick an.
Sie löst sich von ihm und ihr Blick verrät, dass sie die Verwirrung aus der Situation nicht so auf sich sitzen lassen will.
"Was ist mit deinem Hals?"
Selina bewegt ihre Hand an den Saum von Tommi's Rollkragenpullover und schiebt ihn fürsorglich nach unten.
Er beißt sich auf die Lippe.
Sie sieht es. Zumindest circa 22% davon.

"Warum wolltest du eigentlich so lang in Berlin bleiben?" lautet ihre nächste provokante Frage.
Sichtlich perplex davon dreht Tommi seinen Kopf zu mir, der immernoch am Küchentisch sitzt und schaut dann wieder seine Freundin an.
Darin, dass sie damit auf seinen Hals abzielt und ihm womöglich Betrug vorwirft, bin ich mir ziemlich sicher.

"Ich...na also Felix und ich..."
"Erzähl' mir Nichts von Felix."
Ihr Blick bestätigt mir, dass die Antipathie auf Gegenseitigkeit beruht.
"Du hast ihn doch nur als Alibi genutzt."

Ihre Hände lösen sich endlich von seinem Körper, während der Vorwurf Tommi schier gleichzeitig die Röte und die Blässe ins Gesicht treibt.

"Du hast dich mit anderen Frauen auf sowas eingelassen, stimmt's?"
Das "sowas" betont sie besonders abwertend und zeigt dabei auf seinen Hals.
Als müsse er wirklich darüber nachdenken, was er antworten soll, zögert er und bleibt still.

Man, Tommi wir hatten das doch so ausgemacht. Ihr führt eine offene Beziehung- Alles moralisch vertretbar. Bis auf die Lüge. Ich glaube, sie ist es, die ihn davon abhält, unseren Plan durchzuziehen.
"Bist du nur in Berlin so lang geblieben, um mit anderen Frauen 'was zu haben? Mit Sexspielchen und Würgen und so?"
Ich glaube, sie vergisst langsam, dass ich mich ebenfalls im Raum befinde.

"Ich weiß, dass wir vorher nie so etwas in die Richtung gemacht haben und unser Sexleben auch eher...unaufregend war. Dass es immer nur die gleiche Stellung war und ich manchmal auch nicht gekommen bin. Du warst aber auch oft und viel unterwegs. Und ich bin keine Nymphomanin und arbeite auch viel. Da blieb der Sex und die Kommunikation auf der Strecke."
Mit jedem ihrer Worte erfüllt mich das Bedürfnis, die Küche zu verlassen, mehr und mehr. Warum sie ausgerechnet hier und jetzt darüber reden will, ist mir unklar.

"Und ja, ich weiß; wir führen eine offene Beziehung. Aber warum hast du denn nie was gesagt? Ich hätte doch Nichts dagegen."

Ihre Aussage überrascht mich und bringt auch Tommi völlig aus der Bahn. In ihrem Gesichtsausdruck schwingt latente Enttäuschung mit und ich erfahre viel zu viel Privates über diese Frau, was ich niemals wissen wollte.

"Nee, so ist das nicht, Selina." hält Tommi nach ihren Ausführungen entgegen.
Allein, wie er ihren Namen ausspricht, bereitet mir Bauchschmerzen.
"Sondern?" erwidert sie erwartungsvoll und ich bin gespannt, wie sich Tommi da jetzt rauswinden will.
Eine Idee habe ich nämlich nicht, es ist aber auch seine Angelegenheit und seine Freundin.
Und ich glaube, egal, was er sich einfallen lässt- wäre unser Leben wieder auf einer Bühne, gäbe es dafür weniger Applaus, als sage er die Wahrheit.

Während Tommi vorerst schweigt, sehe ich mir seine Freundin genauer an und kombiniere meine Beobachtung mit dem, was ich von ihren Aussagen noch im Kopf behalte.
Einen Schluss kann ich fassen: Auf Umwegen könnte man Selina getrost auch Moni nennen.

Moiiin!
Ich pausiere nicht, aber während der GH-Sommerpause werde ich wahrscheinlich jetzt immer mittwochs und nicht dienstags hochladen.
Was sagt ihr zu Selina?🤔
Knv!

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