#25

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Perspektive Felix Manuel Lobrecht

"Ey Tommi, man. Das ist doch safe sie, oder? Ich weiß halt wirklich nicht, was dein Problem ist. Es ist weder deine, noch ihre Schuld, dass deine Eltern sich getrennt haben, du bist ihr nur eine Erklärung für dein Verhalten schuldig!" beharre ich sturköpfig auf meinem Vorschlag.
Ich stehe auf, stelle mich vor ihn und schaue ihn an. "Komm, wir gehen jetzt wieder zu mir und du klärst das.". Tommi hebt seinen Kopf und sieht mir unsicher in die Augen, woraufhin ich ihm auffordernd meine Hand hinhalte und meinen Blick klar und deutlich "Aufstehen!" sagen lasse.

Leicht widerwillig steht er auf und macht kurz Anstalten, meine Hand zu nehmen, steckt sie dann aber doch in die Jackentasche und läuft los. Überrascht stürze ich ihm hinterher, da er eh nicht weiß, wohin wir müssen. "Falsche Richtung.". Wir wenden.

"Tommi, Augenfutter auf elf Uhr!". Ich zeige auf eine hübsche, aber willkürlich ausgewählte Frau und beobachte sie, um ihn sicherheitshalber von meiner "Heterosexualität" zu überzeugen und meinen Kusswunsch von vorhin einfach runterzuspielen. Auch zu Testzwecken missbrauche ich die Dame: Ich beobachte, wie ihr Tommi interessiert hinterherschaut und ziehe daraus Rückschlüsse auf seine Sexualität. Ob er trotzdem auf Typen steht, kann ich dadurch leider nicht herausfinden. Und aus dem Gedankenwirwarr, das man als „Meine Gefühle" bezeichnen könnte, werde ich auch nicht schlau. Sicher bin ich mir nur in einer Sache: Der große Felix Lobrecht empfindet für Tommi mehr als nur für einen normalen Kumpel, was er bis vor Kurzem ja auch noch war.

"Jaaaaa ich weiß, ich sollte Hitler töten, oder beim Titanic-Bau das Schiff zerstören
Aber hätt' ich eine Zeitmaschine, wär' mein Reiseziel in deinen Armen und da bleib' ich liegen"
singe ich leise vor mich hin, wohlwissend, dass Tommi jedes Wort versteht. Und ja, ich ziele auf Nachfragen seinerseits ab. Er soll endlich checken, wie viel er mir wirklich bedeutet, nur bin ich äußerst schlecht darin, solche Gefühle direkt auszusprechen. Also wähle ich den Weg über Song-Zitate- stets in der Hoffnung, dass er die Anspielungen versteht.
"Hast du noch mehr solcher Lieder, die du mit deiner Mutter assoziierst? Das interessiert mich grad."
Och Tommi, du verkopfter Typ. Sicherlich stammen meine Trauer- und Sentimentalsongs nicht von Alligatoah. „Es geht um dich!" will ich ihn aufwecken, unterlasse es aber und schüttele dementierend den Kopf. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er mich verwirrt ansieht, langsamer wird und Anstalten macht, stehen zu bleiben. „Komm jetzt, du musst telefonieren. Dringend!" fordere ich den Größeren leicht genervt auf und werde im Gegensatz zu ihm schneller, was er jedoch zügig wieder aufholt. Die Sache mit der Line lasse ich ganz klassisch versanden; das jetzt zu erklären wäre viel zu deromantisierend.

Natürlich wähle ich den kürzesten Weg zu mir nach Hause, öffne ohne Zögern die Haustür, sprinte die Treppe nach oben und warte an der Wohnungstür ungeduldig auf Tommi, der die 72 Stufen nach oben eher träge und gelassen bezwingt. Immernoch ungebremst entledige ich mich meiner Jacke und meiner Schuhe, lasse beides achtlos fallen, drehe etwas die Heizung auf und schmeiße mich auf das Sofa. Tommi in seiner Perfekter-Schwiegersohn-Manier stellt seine Straßenschuhe akkurat hin, richtet seine minimal verrutschten Socken, findet für seinen Mantel einen Platz am Kleiderhaken, an dem er nicht beim Vorbeilaufen stört und geht erstmal bedacht in meine Küche, um mit einem Glas Wasser wiederzukommen und sich zögerlich neben mich zu setzten.
„Ich weiß, dass du dich drücken willst. Ich versteh' zwar immernoch nicht, warum, aber mach' es bitte einfach jetzt." flehe ich schon fast. „Nee, weißt du was, es reicht doch, wenn ich sie anrufe, kurz bevor sie am 30. losfährt.". Sein Satz bringt mich aus der Fassung, was ich äußerlich jedoch ganz gut verstecken kann; für einen Moment zumindest. „Man, Tommi, du..."- ich will ihn wirklich nicht hart beleidigen und suche nach einer anderen Möglichkeit- „...du Hirni. Sie ist deine Freundin. Willst du ihr das noch so lange verheimlichen? Sonst bist du auch nicht so und du kommst auch so gerade kaum klar darauf, ich merk'das doch!"
Tommi sieht mich schuldbewusst an und es scheint, als würde er sich nicht mit mir wegen ihr streiten wollen, nur liegt mir das gerade am Herzen. Egal wie, ich werde ihn dazu bekommen, heute noch anzurufen, verspreche ich mir selbst.

„Lea wird auch nicht schlau aus deinem Verhalten und du weißt, wie gut ihre Menschenkenntnis ist. Ich mache mir wirklich Sorgen. Hab' ich 'was falsch gemacht?" liest er von seinem Handy ab und schaut mich fragend an.
„Sie hat dir DAS gerade schrieben, du hast die Nachricht gelesen. Frag, ob's grad passt und ruf sie halt an, sonst mach' ich das!". Schon fast bin ich dabei, ihm das Ding aus der Hand zu nehmen, kann mich aber gerade noch zurückhalten. Das ist so ein Neukölln-Ding: Wenn man will, dass jemand was macht, einfach drohen, dass man das selbst in die Hand nimmt. Bei jeder Kleinigkeit. Auf radikalste Weise.
Und auch, wenn die Metapher „etwas selbst in die Hand nehmen" in dieser Situation viel zu bildlich ist, finde ich es absolut nicht witzig. Dass er unsicher ist, habe ich auch schon bemerkt, aber warum?
„Man was spricht dagegen? Ich kann dir nicht auf Dauer so gut helfen wie sie wahrscheinlich. Meine Eltern wurden vom Tod geschieden. Ihre sind doch auch getrennt, oder nicht?" Langsam nickt er bestätigend. „Keine Ahnung so richtig, ich hab' halt Angst vor ihrer Reaktion."

Ich gehe in die letzte Instanz:
„Komm, es gibt auch 'ne Belohnung." zwinkere ich und bin mir dabei bewusst, dass er genau weiß, was ich meine und eigentlich genauso Bock hat wie ich. Zwar ist es bizarr, dass ich ihn damit dazu bringen will, seine Freundin anzurufen, doch es zeigt Wirkung: Tommi tippt auf den weißen Hörer oben rechts und schaut mich unbeholfen an. Ich lächele ihn versichernd an und lausche gespannt dem Freizeichen.

Knv!

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story Where stories live. Discover now