#16 Was is'n das jetzt?

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Perspektive Felix Manuel Lobrecht

"Also ich mag ja Alkohol, aber mit der Herstellung kenn' ich mich nicht aus." erhalte ich als Antwort.
Wow. So war das nicht gemeint und ich bin mir sicher, Tommi weiß das und will nur der unangenehmen Situation entgehen. Zugegeben war das ziemlich überraschend und ich ziehe in Erwägung, ihn einfach wieder zu küssen. Wie er auf der Couch sitzt sehe ich ihn an, muss bei jeder seiner Bewegungen schmunzeln. Irgendwas hat er an seinem Handy gemacht, der Bildschirm ist noch an. Verstohlen schiele ich zu dem WhatsApp-Chat, erkenne zwar keine direkten Wörter, aber eines dahinter dafür ganz genau: rote Herzen. Hinter jeder Nachricht. Von beiden Seiten. Und hinter dem eingespeicherten Namen auch. Der Chat mit mir ist es nicht. Ich spüre ein Stechen in meiner Brust und wünsche mir, dass das Schmerzmittel auch gegen solchen Schmerz hilft. Er scheint mit Selina zu schreiben. Klar, es ist sein Freundin und er hat natürlich das Recht, mit ihr zu schreiben und sie trennen fast 600 km, aber irgendwie zerstört das unsere Stimmung gerade. Das Thema überspielend nimmt er wieder sein Handy, tippt lächelnd eine Nachricht ein, versieht sie mit einem Herz, schickt sie ab und legt schmunzelnd das Gerät weg. Er sieht glücklich aus.
"Wer kommt jetzt am 24. alles her?" fragt er und schaut mich an, mein Blick ist immernoch auf sein Handy fokussiert, welches in dem Moment vibriert. Ich hoffe, er lässt das scheiß Teil jetzt in Ruhe.
"Hey, alles gut?" vergewissert Tommi sich und steht auf, meine visuelle Aufmerksamkeit wird nur auf ihn gelenkt, weil er mich am linken Oberarm berührt und leicht streichelt. Aufgeschreckt antworte ich: "Na du, ich, mein Dad mit Heike, Julian,meine Schwester und Ela wollte auch kommen. Später kommen dann noch Sven und so." Wieder angekommen lächele ich ihn kurz an, zwinge mich, mich nicht in seinen Augen zu verlieren und lenke das Thema wieder auf Alkohol: "Lass ma' Bestandsaufnahme machen in Sachen Aaaalk!". Tommi nickt und schmunzelt, danach folgt er mir in den Abstellraum, in dem ein kleiner Kühlschrank voll mit Flaschen steht. Ich öffne ihn, wir schauen hinein, unsere Schläfen berühren sich. Nach wenigen Sekunden Sichtung stellen wir fest, dass alles da ist und nicken zufrieden. Mit "Denk' aber dran, dass du keinen Alkohol trinken darfst." desillusioniert Tommi mir die Vorstellung eines versoffenen Heilig Abend und ich gebe mich widerwillig damit zufrieden, Wasser und Limo zu trinken. Wir verlassen wieder den kleinen, dunklen Raum. "Fränki hat sich übrigens dazu bereit erklärt, zu kochen. Beziehungsweise eher Heike." sage ich schmunzelnd und versuche verzweifelt, ein Gespräch zu etablieren. Tommi nickt und es scheint, als wäre dem Herrn Schmitt die Sprache verschlagen worden.
Kumpelhaft awkward schlage ich ihm gegen die Schulter. "Ey Tommi, wasn los jetze?" frage ich, er winkt nur ab.
"Hast du Bauchschmerzen?" erhalte ich im Gegenzug, schüttele den Kopf und beende vorübergehend das monotone Gespräch mit "Ich geh' aber erstmal duschen. Du kannst ja danach, wenn du willst.". Er nickt, ich verlasse das Wohnzimmer, gehe ins Bad und lasse mich an die Tür gelehnt zu Boden sinken. Mein Kopf fällt schwer in meine Hände, ich versuche, ruhig zu bleiben. Die letzten Tage mit Tommi fühlten sich an, als wäre ich auf Tour und jetzt bricht alles wieder zusammen. Mit diesem Gefühlschaos so viel Zeit mit ihm zu verbringen ist extrem schwer. Ich weiß selbst nicht, was genau ich mit meinen Aktionen bezwecken will, irgendwie passiert das alles automatisch und gerade fällt alles auf einmal auf mich ein. Ich will nicht zu lang im Bad bleiben, da sich Tommi sonst bestimmt Sorgen macht, aber genauso wenig will ich die Gedanken weiterhin verdrängen. Ich bin mir bewusst, dass Zeit für eine Auseinandersetzung erst im nächsten Jahr kommen wird und bis dahin halte ich das nicht mehr aus, vor allem, weil Tommi noch bis Silvester bei mir sein wird.
Schließlich raffe ich mich auf, denn eigentlich ist es nicht meine Art, ewig zusammengekauert auf dem Boden zu sitzen und in negative Gefühle zu versinken. Mein Weg in die Dusche führt mich am Spiegel vorbei und eigentlich will ich vermeiden, mich anzusehen, doch ich komme nicht darum herum: Mich blickt ein zusammengefallenes, müdes Gesicht mit tiefen, dunklen Augenringen und roten Augen an, mit welchem ich meine Identität nur schwer in Einklang bringen kann. Demotiviert seufze ich, ziehe mein T-Shirt aus und bemerke, wie viel es bewirken kann, wenn man zwei Tage nicht trainiert und einen davon im Krankenhaus verbracht hat. Nur mit Mühe kann ich meinen schockierten Blick von dem weniger definierten Oberkörper lösen, auf den ich vor wenigen Tagen noch so extrem stolz war.
Auch der Rest meines Körpers hat gelitten und so dusche ich nur kurz, mit geschlossenen Augen.
Proll wie ich nun mal bin, der auch hart für seinen Körper gearbeitet hat, handhabe ich es eigentlich so, nur mit einem Handtuch um den Hüften nach dem Duschen durch die Wohnung zu laufen. Doch das will ich heute weder mir, noch Tommi antun und so werfe ich mir direkt als ich die Dusche verlasse wieder mein altes T-Shirt über und lasse das Handtuch zusätzlich meine Hüfte und abwärts bedecken.
Die kurze, pregnante Dusche hat gut getan und auch ein bisschen die Sorgen weggewaschen. Als ich schnell vom Bad zu meinem Kleiderschrank gehe, schiele ich kurz zu Tommi- er sieht mich glücklicherweise nicht, denn er ist wieder in sein Handy vertieft. Soll es mir recht sein.
Unglücklicherweise ist für meinen sonst so ausgeprägten Narzissmus ein riesiger Spiegel in meinem Kleiderschrank integriert und so muss ich auch jetzt wieder meinen erbärmlichen Anblick ertragen. Ich will nicht in Selbstmitleid versinken, mein Körper ist immernoch besser trainiert als der von 99% der Gym-Besucher, aber die Situation kratzt krass an meinem Ego.
Immernoch unmotiviert nehme ich mir neue Sachen und ziehe mich an, räume alles auf, atme noch einmal kurz durch, gebe mir eine Backpfeife und trete dann wieder Tommi unter die Augen. Auf mein "Du kannst jetzt." hin schaut er mich an, nickt und steht auf. Sein Weg führt ihn an mir vorbei, ich schaue ihm nicht hinterher, sondern warte,bis ich die Badtür sich schließen höre.

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