#51 Surprise! Bescherung!

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Llleude for your information: Die Kapitel jetzt werden wie so kleine Kurzgeschichten aus Felix' Leben, vielleicht auch mal von Tommi. Je nach dem, was mir so einfällt🤣

Hat natürlich alles Bezug zur story und irgendwann gehts auch mal mit den beiden weiter, versprochen :D


Perspektive Felix Manuel Lobrecht

4. Februar 2020

Einen Monat ist es her, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.
Eine Woche ist es her, seit ich mit ihm zum letzten Mal geredet habe.
Einen Tag ist es her, seit ich zum letzten Mal sein Profilbild angeschaut und mich darin verloren habe.
Eine Stunde ist es her, seit ich zum letzten Mal unseren Chatverlauf gelesen habe.
Eine Minute ist es her, seit ich zum letzten Mal sein Instagram-Profil aufgerufen habe.
Keine Sekunde ist es her, seit ich zum letzten Mal an ihn gedacht habe.

Ich muss zum Training.
Ich muss mich abreagieren.
Ich muss mich ablenken.
Ich muss Tommi vergessen.

Draußen regnet es, lässt Kreuzberg traurig aussehen.
Ein dicker Tropfen fällt vor mir auf den Boden, trifft fast meinen Schuh.
Unbeirrt setze ich meinen Weg Richtung Fitnessstudio fort. Zum Glück habe ich mir einen Hoodie über die Sportklamotten gezogen, dessen Kapuze ich nun aufsetzen kann.
Dummerweise fällt der Regen direkt in mein Gesicht, was die Kopfbedeckung fast nichtig macht.
Meine Haare werden eh nass.
Mit zusammengekniffenen Augen kämpfe ich mich weiter der Strömung entgegen und merke mit jedem Meter, wie meine Kleidung immer vollgesogener wird und sich unangenehmer anfühlt.

Hinter der Tür des Fitnessstudios warter eine warme Luft auf mich, die erst angenehm scheint, dann aber von Schweiß- und Mattengeruch getrübt wird.
Weiter mit Tunnelblick strebe ich die Umkleiden an, nicke den Trainern auf meinem Weg begrüßend zu, ein Lächeln bringe ich nicht hervor.
Motivationslos werfe ich meine Sporttasche auf eine der Bänke, wechsle gekonnt meine Schuhe, werfe mir das Handtuch über die Schulter und lasse mein Handy in die Hosentasche gleiten. Die Flasche nehme ich in die rechte Hand.
Bei den Treppenstufen nach unten verzähle ich mich, komme einmal komisch auf und fixiere mich auf den Freihanteltrainingsbereich, der nur wenige Meter vor mir liegt.
Zum Glück kennen mich hier nicht so viele.

Ein letztes Mal schaue ich auf mein Handy, ob ich eine Nachricht von Tommi habe, bevor ich die Lautstärke von Nirvana auf die höchste Stufe drehe und mit der ersten Übung beginne.
Nichts.
Die Gedanken daran, dass ich mit meinen letzten Nachrichten bei ihm verkackt habe, setzen sich so fest, dass von nichts anderem mehr mein Kopf gefüllt ist.
Die einzelnen Übungen und das Zählen laufen zum Glück bereits automatisiert ab, sodass ich alles andere um mich herum ausblenden kann.
Mein Blick geht starr geradeaus, ohne dass ich etwas in diese Richtung wirklich anschaue.

Ich liebe es, wenn er über meine Witze lacht.
Ich hasse es, wenn er nicht mit mir interagiert.

Während Übung vier an der Langhantel sehe ich von vorn eine Frau auf mich zukommen. Anhand ihres entspannten Gangs, ihrem Lächeln und Nicken zu anderen Anwesenden und beim näheren Hinsehen auch an ihrer Kleidung, kann ich mit Sicherheit sagen, dass sie eine Trainierin ist.
Sie grinst und scheint direkt auf mich zuzusteuern, was mir jetzt schon missfällt.
Konzentration vorspielend schließe ich die Augen und presse die Lippen zusammen und hoffe inständig, dass sie mich in Ruhe lässt.
Ich brauche gerade keine sozialen Kontakte mit Menschen, die nicht Tommi Schmitt heißen.

"Felix, oder?" nehme ich nur dumpf wahr. Geschriene Vocals übertönen ihre hohe Stimme, ich höre sie aber leider trotzdem und muss so tun, als wäre ich an einem Gespräch mit ihr interessiert.
Entnervt drücke ich auf den Knopf zum Anhalten und lege meine Kopfhörer im Nacken ab.
Erst jetzt öffne ich die Augen wieder, lege die Hantel in die Vorrichtung und schaue sie an.
"Ja?"
"Hi. Wollte mich nur kurz vorstellen."
Sie streckt mir ihre Hand entgegen.
Für einen Moment denke ich darüber nach, sie zu schütteln, entscheide mich dann jedoch für ein weniger teilhabendes Nicken.
"Ich bin Jasmin." fährt sie fast unbeirrt fort und lächelt weiterhin professionell.
Jasmin trägt ein dunkelblaues Oberteil und eine schwarze Sportleggings mit hellen Streifen an den Seiten. Die braunen, halblangen Haare sind mit einem dezenten Zopfgummi zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihr dezentes Make-up glitzert im sonderbaren Studiolicht. Kleine Lachfalten zieren ihre Augenpartie.
"Hi." presse ich hervor. Meinen Namen weiß sie ja anscheinend schon.

Die Fortsetzung des Gespräches halte ich für sinnlos. Sie anscheinend nicht.
"Wenn ich dir bei der Übung mal noch einen Tipp geben darf: Fass die Hantel mal noch ein Stück breiter."
Erzwungen nicke ich, sage kurz "Danke." und bete innerlich, dass sie jetzt nicht noch überprüft, ob ich ihren Rat auch ordnungsgemäß umsetze.
Zur Ablenkung setze ich theatralisch die Kopfhörer wieder auf und drücke auf <<Play>>. Billy Talent beschallt meine Ohren, was ich als wesentlich angenehmer empfinde als Jasmin.
Erwartungsvoll steht sie immernoch neben mir, jedoch weigert sich alles in mir, vor ihr weiterzutrainieren. Ich bin kein Zirkusaffe.
Ausweichend laufe ich bedacht langsam zu dem kleinen Holztisch, auf dem einige Flaschen stehen und greife mir meine. Mit einem aufgesetzten Lächeln hebe ich kurz die Flasche, nicke ihr zu und signalisiere Jasmin, dass sie ruhig gehen kann.
Sie hat bestimmt noch andere Trainierende vollzuquatschen.

Glücklicherweise rettet mich in dem Moment ein ausgemergelter älterer Herr in gestreiftem, in die dunkelblaue Trainingshose gesteckten T-Shirt und hält ihr unbeirrt seine elektronische Fitnessstudiokarte vor die Nase. An seinen Lippen lese ich im Augenwinkel ab, dass sie nicht funktioniert und er Hilfe benötigt. Knapp bedanke ich mich leise bei dem Mann und gehe zurück zu der Langhantelbank. Dass Jasmin mit ihrer Anwesenheit und ihrem "Tipp" meinen Trainingsablauf durcheinander gebracht hat, stört mich zutiefst. Zur Orientierung schließe ich erneut kurz die Augen, lasse die letzte Line von "Devil on my shoulder" auslaufen und versuche, mich an meine letzte Übung zu erinnern.

Erst dachte ich, ich würde es schaffen, auf sie einzugehen. Zumindest spielerisch.
Ich hatte gedacht, für einen Moment könnte ich Tommi vergessen und wieder das heterosexuelle Leben führen, wie ich es vor ihm getan hatte.
Aber ich springe einfach nicht darauf an. Auf sie, ihr Aussehen, ihre Art, die Weise, in der sie sich bewegt.
Es liegt jedoch nicht an ihr.
Es liegt an mir.
Ich bin von mir selbst und meiner unermesslichen Sinn- und Identitätskrise genervt.

Da ist sie wieder,
Jasmin.
Kommt wieder auf mich zu,
diese durchaus hübsche Frau.
Lächelt mich wieder an, die schlanke Trainerin.
Greift nach meiner Hand und schiebt sie nach außen, als ich in einer stabilen Position bin, die braunhaarige, fast schon noch Jugendliche.

Ich brauche deinen Tipp nicht, denke ich mir. Keine Begründung für den Hinweis. Wie unprofessionell
Es auszusprechen reizt mich nur wenig.
Ich weiß, dass meine Ausführung korrekt ist.
Ich mache diese Übung seit mehr als 15 Jahren.
Diverse Trainer haben mir bestätigt, dass es so richtig ist.
Es verspricht keinen Erfolg, mich in diesem Moment anzumachen, geschweige denn anzufassen.
Ich verbleibe einfach tonlos.
Sie soll mal weggehen jetzt.

Innerlich bete ich erneut. Schon zum zweiten Mal heute.
Es fehlt gerade noch, dass sie mir ein extra Angebot für Bauch-Beine-Po- oder Pilates-Kurse andrehen will.
So weit entfernt sind Fitnesskauffrauen von Versicherungsvertretern oft auch nicht.
Dass meine momentane Lebenssituation meiner Kreativtät noch keinen Abbruch getan hat, zeigt sich zwei Sekunden später, als sie auf einmal ein Tablet in der Hand hat und eifrig scrollt und tippt:
"Surprise! Bescherung! Diesen Monat schenken wir dir ein unschlagbares Duo: Fünf Kurse plus fünf Mal Rabatte für Qi² Sporternährung! Nur zu Weihnachten!" hallt in Werbesprecherstimme durch meinem Kopf. Ich muss nicht schmunzeln. Der Gedanke, dass die Aktion noch im Februar läuft, weil niemand darauf angesprungen ist gepaart mit der Erinnerung an meine eigentliche Situation, die gar nicht zum Lachen ist, hindert mich daran.

Die restlichen Übungen laufen wieder wie maschinell, automatisiert. Ich spüre fast gar nichts, keinen Schmerz, keine Erschöpfung, kein Glücksgefühl, keine Erlösung, als die Gewichte von mir fallen. Denn da lastet immernoch etwas auf mir, egal, wie schwer die Hanteln waren.
Und das kann ich nicht einfach so loslassen.

Zu allem Überfluss fragt sie mich ganz frech nach meiner Nummer, als sie sieht, dass ich mit dem Workout fertig bin.
Als ob sie die nicht auch aus meinen Vertragsdaten bekommen könnte.

Mit tonlosem "Ich bin schwul." wimmele ich sie ab, dränge mich an ihr vorbei und räume die Hantel wieder an Ort und Stelle. Auf dem direkten Weg zur Umkleide denke ich über diesen Satz nach: aus meinem Mund kommt er mir komisch und befremdlich vor. Kann aber auch an der Ungewohnheit liegen.

"Ich bin Comedian." fühlte sich am Anfang ja auch nicht mir zugehörig an.



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