#94 Sex-Euter

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"Ich glaube, ich bin noch nicht so richtig bereit dafür." sagt Tommi, als er von dem Fahrersitz seines Autos aus das Ortseingangsschild "Detmold" sieht.
Felix blickt argwöhnisch zu ihm hinüber.
"Was bedeutet das?" will er wissen.
"Dass ich erst noch kurz woanders hin will." antwortet Tommi und setzt den Blinker.
"Hier war ich früher oft, wenn ich allein sein wollte oder traurig war." beginnt er nach einigen Minuten, in denen alles um sie herum ruhiger und dörflicher wurde.
Er verringert die Geschwindigkeit des Wagens und hält an, sieht sich um.
"Hat sich eigentlich gar nicht verändert seit ich das letzte Mal hier war." stellt er fest, blickt zu Felix und steigt aus.

Sein Freund tut es ihm nach einigen Sekunden gleich und hat dann erst die Chance, den wundervollen Ausblick richtig wahrzunehmen. Sie stehen auf einer Art Hügel, um sie herum nur Wiese und Feld, viel Natur. Einige Meter in der Ferne erkennt man die Häuser und Straßen von Detmold. Der Platz, auf dem sie stehen, reicht perfekt für ein Gefährt und zwei Menschen. Von diesem Ort gleichzeitig sowohl die Stadt als auch die Natur zu sehen, beruhigt ihn.
"In der Nacht mit dem Auto hier oben stehen und die Scheinwerfer die Dunkelheit erleuchten lassen ist unbezahlbar." sagt Tommi in die Stille, die sie umgibt. Felix lächelt, er kann sich das genau vorstellen.
"Wer weiß, vielleicht kommen wir heute nochmal her." fügt er hinzu und nimmt die Hand seines Freundes.
"Hast du Angst?" fragt der Berliner und schaut nach oben.
"Nein. Ich weiß nur nicht, wie er reagiert."
Beim Telefonieren hatte sich herausgestellt, dass Tommis Vater zur Zeit allein in dem Haus der Familie wohnt.
"Er erwartet auch immernoch Selina. Und nicht, dass ich ihm sage, dass ich mit einem Mann zusammen bin."
Der Kölner seufzt, zweifelt aber nicht an ihrer Beziehung.
"Sag ihm einfach, dass Selina mit ihren Sex-Eutern nicht mehr aktuell ist. Was hast du zu verlieren? Euer Kontakt war in letzter Zeit eh nicht so gut. Du bist nicht von ihm abhängig, wohnst nicht mehr bei ihm. Dein Bruder steht hinter dir. Und wenn Joachim das nicht tut, ist das kein Weltuntergang. Eventuell hast du immernoch deine Mutter."
Felix legt den Arm um seinen Freund und drückt ihn seitlich an sich, streicht über seine Hüfte. Dass diese schon wieder dünner geworden ist, behält der Kleinere für sich. Das soll weder Tommi noch seinen Vater zusätzlich belasten.

"Du hast recht. Wir fahren da jetzt hin, parken eine Straße davor und du setzt dich ans Steuer."
Tommi atmet tief ein, Felix nickt bestärkend und streicht noch einmal mit dem Daumen über seinen Rücken.

"Thomas, dieser Felix ist nicht gut genug für dich. Er ist irgendsoein Proll aus Neukölln, aber du hast eine gutaussehende Ärztin oder Juristin verdient!"
"Ich liebe ihn aber! Und falls es dich interessiert: Er verdient wahrscheinlich doppelt so viel wie du!"

Seine unendliche Wut wandelt sich heimlich in unendliche Trauer um, die er kaum verstecken kann. Kraftlos steht er von dem großen Holztisch auf, an dem sie sich gegenüber sitzen, ohne etwas zu sagen. Genau bis zur Türschwelle des Badezimmers schafft er es, bis die Tränen über ihn hineinbrechen.
Mit verschwommenem Blick dreht er den Wasserhahn auf, das Wasser ist kalt, das ist ihm egal. Tränen mischen sich in die klare Flüssigkeit, die er über sein Gesicht laufen lässt, in der Hoffnung, dass das seinen Gefühlsausbruch überdeckt.
Nach einigen Sekunden hebt er den Kopf und schaut sich in dem Spiegel an, der über dem Waschbecken hängt. Einzelne Tropfen laufen noch über sein Gesicht, sammeln sich an seinem Kinn und fallen dann hinunter.
Mit diesem Anblick sagt er sich selbst, dass er da jetzt wieder rausgeht und dazu steht, dass er einen Mann liebt.

Felix wartet zugegeben besorgt im Auto, schaut ungeduldig auf sein Handy und zur Tür und zu dem Fenster, hinter dem er die beiden vermutet.
Die ganze Zeit überlegt er, den Motor anzumachen, dass sie so schnell wie möglich wegfahren können. Natürlich könnte das Ganze auch gut ausgehen, sein Vater akzeptiert und unterstützt ihn und sie machen dort drin Witze, reden über früher, Felix' Sorgen sind unberechtigt.
Aber das weiß er nicht.
Trotzdem hat er ein ungutes, ein mulmiges Gefühl.

Tommis Plan ändert sich schlagartig, als er seinen Vater wiedersieht. Er wird kleinlaut, beinahe schüchtern.
"Hast du geweint?"
Er schüttelt leicht den Kopf, beißt sich auf die Unterlippe, traut sich nicht, sich hinzusetzen.
"Thomas, ich bin Arzt. Und dein Vater. Ich kenne den menschlichen Körper ziemlich gut. Und dich auch. Du bekommst Blutergüsse um die Augen, wenn du geweint hast. Seit du ein Jugendlicher bist. Ich weiß das. Ich seh' das. Ich kenn dich."
Stille. Sein Vater war noch nie gut darin, einfühlsam zu sein. Er konnte immer nur analysieren.
"Setz dich mal hin."

Tommi fühlt sich eigentlich gar nicht danach, tut es aber trotzdem, zittert.
"Was ist los?" fragt sein Vater.
Er kann einfach nichts sagen, nicht antworten.
"Thomas, mein Junge. Hör mal zu. Ich will, dass du glücklich bist."
Ehrlich gesagt keimt kein Funken Hoffnung in ihm auf.
"Mit einer Frau an deiner Seite. Was ist eigentlich mit Selina?"
Er schüttelt den Kopf.
"Wir haben uns getrennt."
"Ich glaube einfach nicht, dass du schwul bist. Felix und du wart doch immer nur befreundet."
Genervt lehnt Tommi sich nach vorn, um eindrücklicher zu wirken.
"Man, Papa, ich bin mit Felix zusammen. Vergiss Selina. Sie ist egal."
Nein, ist sie nicht.
"Akzeptiere einfach, wen ich liebe oder verpiss dich aus meinem Leben. Unserem Leben." platzt Tommi schroff heraus, erschrickt aber im gleichen Moment vor sich selbst und lässt sich nach hinten gegen die Stuhllehne fallen. Das Holz knackt. Er fährt sich mit den Händen über das Gesicht und atmet tief ein.

"Sind wir denn alle so schlimm, dass du uns abweisen musst?
Nicht mal zu Mama hast du stehen können!" ruft er dann aus.
"Mama hat immer die gute, humane Seite aus dir rausgekiztelt. Du bist nichts ohne sie."
Er schlägt mit der geballten Faust auf den Tisch, sein Blutdruck ist ungesund hoch.
Sein Vater schaut ihn mit großen Augen geschockt an.
"Weißt du Thomas, ich dachte eigentlich, dass das ein schöner Nachmittag wird. Stattdessen kommst du mit so einem Scheiß an."
Tommi fragt sich ernsthaft, wer in dieser Situation die Fehler gemacht hat.
"Geh, bitte."

"Wir müssen irgendwo hinfahren."
sagt der Detmolder direkt, als er zu Felix ins Auto steigt. Dieser schaut ihn fragend an, bringt den Wagen jedoch gleichzeitig zum Rollen. Den Gesichtsausdruck seines Freundes kann er insofern deuten, dass nicht alles glatt gelaufen ist. Den rechten Arm hat er in der Beifahrertür abgestützt und reibt sich mit der Hand über die Stirn.
"Dahin wo wir vorhin waren?" fragt der Neuköllner vorsichtig, Tommi  nickt.
Angestrengt versucht sich Felix an den Weg zu erinnern, will seinen Freund nicht extra belasten.
Zu seiner eigenen Verwunderung stehen sie nach wenigen Minuten wieder auf dem gleichen Platz.
Tommi lässt das Fenster herunter.

"Er hat böse Sachen gesagt."
Ausgezehrt schließt er die Augen. Eine Träne kullert über seine rechte Wange. Felix greift nach seiner Hand.
"Willst du ihn wieder besuchen?"
Tommi schüttelt den Kopf. Fast energisch, aber so viel Kraft hat er dann doch nicht.
"Weißt du was? Wir fahren jetzt nach Köln in deine Wohnung und nehmen die restlichen Sachen mit. Du musst mit NRW abschließen."
Der Kölner weiß noch nicht so recht, was er von diesem Vorschlag halten soll. Eigentlich will er sich nicht von seiner Wohnung trennen.
"Können wir nicht einfach erstmal hier bleiben bis es Nacht ist? Da ist alles ein bisschen schöner."

Platzierte, verkopfte, elegalante Gemischtes Hack Story Where stories live. Discover now